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Kyiv Perenniale: Connected Tour

15-18.30h: Von Ort zu Ort durch die Ausstellungen. station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf, nGbK am Alex. anmeldung[at]ngbk.de

"Die Schachtel"

von Christiane von Gilsa (26.01.2006)


Es ist schwierig, die Frage zu beantworten, was "Die Schachtel" überhaupt ist: Ausstellung, Tanz, Environment, Theater, Installation, Musikkonzert, Performance? Als gelungene Symbiose all dieser künstlerischen Einzeldisziplinen ist "Die Schachtel" vor allem eine intensive synästhetische Erfahrung, die den Besucher für die Dauer seines Aufenthaltes in eine ganz eigene, im wahrsten Sinne mehrfach "verschachtelte" Welt entführt.

Bereits die auf zwei Stockwerke verteilte Ausstellungsfläche, bestehend aus Haupträumen, Nebenräumen, Gängen und dem Treppenhaus, ist ungewöhnlich. In diesem Labyrinth bewegt sich der Besucher zunächst frei innerhalb der installativen Ausstellung. Es beginnt eine Entdeckungsreise, die immer wieder Überraschungen mit sich bringt. Eine in mehrere Segmente unterteilte Videowand direkt im Eingangsbereich zeigt in grobkörniger schwarz-weiß Optik Menschen in einem Raum. Sie gehen, sie stehen, mal einzeln und mal in Gruppen. Diese Videoästhetik ruft Assoziationen von TV-Dokumentationen mit kleinen Handkameras in Nachrichtensendern hervor: Sind es Gefangene? Oder werden hier unwissende Leute heimlich beobachtet? Irgend etwas scheint seltsam vertraut... Die plötzliche Erkenntnis ist geradezu unheimlich: die Menschen in dem Video sind die Ausstellungsbesucher selbst. Aufnahmen aus unterschiedlichen Perspektiven und mehrfach zeitversetzte Wiedergaben lassen ein verzerrtes Bild der unmittelbar vergangenen Wirklichkeit entstehen. Diese irritierende Methode einer zeitlichen Verschachtelung wird in der Ausstellung an verschiedenen Orten wiederholt eingesetzt.

In den oberen Räumen werden große begehbare Pappkartons, die mit einer Linse versehen als camera obscura funktionieren, als tatsächliche Schachteln von einem Mitarbeiter permanent auf- und abgebaut, um von immer neuen Standorten aus die unterschiedlichsten Ein- und Ausblicke zu ermöglichen. Nicht nur dadurch verändert sich laufend die installative Ausstellungsarchitektur im Sinne einer räumlichen Verschachtelung. Auch Musiker sind innerhalb der Ausstellung unterwegs, um, ebenfalls ständig ihren Platz wechselnd, ein paar Töne zu flöten, ein paar Takte zu trommeln, einen Melodiefetzen mit Geige oder Saxophon hervorzuzaubern. Untermalt durch diesen wunderlichen Klangteppich changieren die Wände im ständigen Wechsel der Diaprojektionen. Nicht einmal die anderen Besucher sind eine sicher zu bestimmende Größe, denn plötzlich sinkt der neben einem stehende, ganz normal wirkende Mitmensch im performativen Kunstakt begriffen in sich zusammen, um kurz darauf wortlos aufzustehen und einen anderen Platz einzunehmen.

Dieser "Expositionen" genannte Teil der Ausstellung verdichtet sich allmählich zur Aufführung der in acht "Strutture" eingeteilten Partitur. Während choreographische Elemente sich mit dirigierten musikalischen Stücken abwechseln, bilden die Besucher wie von Geisterhand geführt einen lockeren Kreis um einen zentral wirkenden Ort, der zu diesem Zeitpunkt des Abends auch als Bühne bezeichnet werden könnte, obwohl er vom Publikum in keiner Weise erhöht oder abgegrenzt ist. Die Ausstellung verwandelt sich so zu einer seltsamen interaktiven Theateraufführung, zu einem Musikkonzert, bei dem die Musiker immer wieder eigene Entscheidungen über die nächste Tonfolge treffen, zu einem aberwitzigen Ballett bizarrer Gesten.

"Die Schachtel" des labor für musik : theater entstand unter der künstlerischen Leitung von Daniel Kötter nach dem Vorbild des gleichnamigen musiktheatralen Szenarios des italienischen Komponisten Franco Evangelisti (1926-1980). Dessen kompositorisches Werk, das von der Spannung zwischen Ordnung und Freiheit dominiert ist, steht im Mittelpunkt des Festivals UltraSchall. Sein Hauptwerk "Die Schachtel" von 1962/63 gilt als einer der radikalsten Entwürfe des zeitgenössischen Musiktheaters und gehört zu den wenigen intermedial fundierten Versuchsanordnungen in der neueren Musikgeschichte.

www.schachtel-berlin.de

Christiane von Gilsa

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Titel zum Thema Festival UltraSchall:

"Die Schachtel"
Ausstellungsbesprechung: Environment für Musiker, Performer, Raum, Video, Licht und Elektronik mit Musik von Franco Evangelisti.
Mit "Die Schachtel" wurde am 19. Januar 2006 in den sophiensaelen (Berlin-Mitte) "Ultraschall - das Festival für neue Musik" eröffnet.

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