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Kunstgeschichte: Eine Wissenschaft in der Krise, oder das Jammern über ein sich selbst überholendes Problem?

von Hannah Beck-Mannagetta (27.07.2006)


Kunstgeschichte: Eine Wissenschaft in der Krise, oder das Jammern über ein sich selbst überholendes Problem?

Anlässlich der aktuellen Ausgabe von Texte zur Kunst "KUNSTGESCHICHTE. THE MEANS OF ART HISTORY" fand im Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin eine Diskussionsveranstaltung unter dem Titel "Die Mittel der Kunstgeschichte" statt, bei der über den aktuellen Stand des Faches debattiert wurde. Namenhafte Wissenschaftler: Beatrice von Bismarck, Horst Bredekamp, Klaus Krüger, Hanne Loreck und Juliane Rebentisch, die sich seit langem kritisch mit dem Selbstverständnis des Faches und seiner zukünftigen Ausrichtung beschäftigen, waren eingeladen ihre Statements abzugeben.

Entlang der Frage, was es heute eigentlich bedeutet, Kunstgeschichte zu studieren und kunstgeschichtlich zu forschen, wurden einerseits die methodischen Mittel der Kunstgeschichte auch in Abgrenzung zu anderen Wissenschaften, und andererseits die finanziellen Mittel und ihre Verteilung in der Hochschul- und Nachwuchsförderpolitik diskutiert.

Interdisziplinäre Kulturwissenschaft vs. traditionelle Kunstgeschichte:
Wo ist eigentlich das erotische Verhältnis zum Kunstwerk abgeblieben?


In den vergangenen 10 Jahren ist die Inter- und Transdiziplinarität zum Trend geworden. Unzählige "-studies" (Cultural-, Visual-, Gender-, Post-Colonial Studies) sind aus einem Gefühl des Anachronismus der traditionellen Wissenschaften heraus entstanden, die sich nicht auf die zeitgenössischen Fragestellungen einzustellen wussten.
StudentInnen, die sich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigen wollten, sind zunehmend in die explizit interdisziplinären Kulturwissenschaften abgewandert, weil sie das Feld als unterrepräsentiert in der traditionellen Kunstgeschichte empfanden. Dabei hat, so Beatrice von Bismarck, so etwas, wie die "einheitliche Methodik des Austausches" Einzug gehalten, sinnlose Ausdifferenzierung, die immer beliebiger erscheint.
Die Kunstgeschichte hat sich selbst ins Abseits manövriert und verspürt jetzt seit längerem das Bedürfnis sich wieder neu zu definieren und neu abzugrenzen.
Die häufig geäußerte Kritik an der Kunstgeschichte, dass sie überholt und mittelalterlich sei (im wahrsten Sinne des Wortes), würde vor allem von jenen geübt, die sich nicht, oder nicht genügend mit der Historizität des Faches auseinandersetzen. Die Lehre über die alten Epochen, ihre Bildwerke und ihre Methoden, könne eben gerade nicht durch den verkürzten Fokus auf die Zeitperiode nach 1800 ersetzt werden, da man an ihnen Entscheidendes für die heutige Methodik und die Deutung von zeitgenössischen Bildwerken lernen könne und müsse, so Klaus Krüger (Leiter des Kunsthistorischen Instituts der Freien Universität Berlin). Seine Historizität und 450jährige Geschichte zeichne das Fach gerade aus. Es gilt eine Ausgewogenheit und eine Verbindung zu schaffen, gerade auch weil ein Kunstwerk nie eine endgültige oder eine einzig wahre Interpretation liefert, es bleibt "offen" (nach Umberto Ecco), jede Zeit findet ihre eigenen Antworten und Inspirationen.
Seit langem versucht Horst Bredekamp (Leiter des Kunsthistorischen Instituts der Humboldt Universität zu Berlin) in Erinnerung zu rufen, dass die Kunstgeschichte von Beginn an "intrinsisch" interdisziplinär war, sich immer auch mit den philosophischen, den sozial-, politik-, kultur- und medienwissenschaftlichen Aspekten auseinandergesetzt hat. Im Trend der letzten Jahre läuft das Fach nun Gefahr seinen eigentlichen Gegenstand, das ästhetische Werk, aus den Augen zu verlieren. "Wir leiden an einer Übererfüllung dessen, was Texte zur Kunst immer gefordert hat" (inter- und transdisziplinär zu denken), das "erotische Verhältnis zum Werk" muss aufrechterhalten werden, es darf nicht durch eine losgelöste Theoriebildung ersetzt werden, so Bredekamp. Der interdisziplinäre Austausch sei "theorielastig" und diskursfixiert. Es werde ein "Überbau produziert", dem nicht selten der "Unterbau" fehle, meint der Kunsthistoriker Werner Busch in seinem Beitrag zum aktuellen Heft von Texte zur Kunst: "Diskurskompetenz ja, Gegenstandskenntnis nein." (Vgl. zu allen Beiträgen des Kunsthistorikers: Busch, Werner: Mittelfristige Entwicklung. Kunstgeschichte und Wissenschaftsorganisation, In: Texte zur Kunst, 16. Jg., Heft 62, Juni 2006, S. 89-93)
Das Fach darf sich also nicht marginalisieren lassen und dabei ist es eben nicht damit getan, ihm einen neuen Namen zu geben, wie etwa "Kunstwissenschaft" oder "Kunsttechnologie" (neuer Masterstudiengang an der Technischen Universität Berlin). Der erlernte wissenschaftliche Umgang mit Bildern und ihre Deutung in einem historischen Zusammenhang ist das, was die Geisteswissenschaft Kunstgeschichte auch an Know How den Naturwissenschaften zu bieten hat. In diesem Kontext steht die Debatte um eine "Bildwissenschaft", die über das rein ästhetische Bild hinaus geht und in einem Dialog mit anderen Wissenschaften steht. Werner Busch schreibt hierzu: Die "Entgrenzung der Künste und Grenzerweiterung der Disziplin Kunstgeschichte sind zwei Seiten einer Medaille." Der Erfolg der Bildwissenschaft gründet auf der Erweiterung auf alle bildproduzierenden Medien in der Gegenwartskunst und auf dem Interesse an dem Verhältnis von Kunst und Naturwissenschaft. Es gilt, die Erkenntnispotentiale der nicht-künstlerischen Bilder (z.B. Röntgenaufnahmen, Zelldarstellungen, Fahndungsfotos) zu verstehen, um "das surplus der künstlerischen Bilder erkennen zu können, aber auch die Interaktion beider Bereiche, die sicher nicht sauber zu trennen sind, in den Blick zu nehmen."

Bin ich Künstler, bin ich Wissenschaftler, Freak oder Manager, was soll ich bloß werden?

Auch in der Organisation der Studiengänge gibt es weitgreifende formale und damit auch inhaltliche Veränderungen: Internationale Vereinheitlichung in Bachlor- und Master of Arts Studienabschlüssen, die im Zuge des Bologna-Prozesses zur Voraussetzung für das Bestehen auf dem internationalen Wissenschaftsplafond geworden sind. Parallel dazu, machen sich KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und ManagerInnen gegenseitig die Berufsfelder streitig, so Hanne Loreck. Nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch die Wissenschaftswelt ist prekär geworden. Kunstwissenschaftler und Künstler erleiden eine Funktionalisierung, eine ökonomische Instrumentalisierung ihrer immateriellen Arbeit, betont von Bismarck. Professoren und Dozenten sind, nach Meinung von Werner Busch, nur noch mit ihrer Publikationsliste beschäftigt, die ihren "Marktwert" bestimmt und ziehen sich unter dem internationalen Druck aus der Lehre zurück. Ein Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis hat sich aufgetan.
In den Kunstakademien gibt es einerseits die Tendenz, bereits während des Studiums auf den Kunstmarkt hin zu produzieren und andererseits, wieder eine exklusive Individualisierung zu schaffen. Es wird sich bemüht, Aufbaustudiengänge ausschließlich für Künstler (z.B. "Kunst im Kontext" an der Universität der Künste Berlin) und eine Promotion nach einem Kunststudium mit einem theoretischen und einem praktischen Teil zu institutionalisieren, womit, so Loreck, eine "potenzielle Gleichstellung von Erkenntnisprozessen" (Theorie als Praxis, Praxis als Theorie) angestrebt wird. Gleiches gilt für die Integration von KünstlerInnen in die aus Drittmitteln geförderten interdisziplinären Graduiertenkollegs.
Die junge Philosophin Juliane Rebentisch (Zuständig für Drittmittelbeantragung und Sonderforschungsbereiche an der Universität Potsdam) machte auf die Problematik in der Zentralisierung der Wissenschaftsnachwuchsförderung aufmerksam. Waren die DoktorantInnen früher stark von ihrem/r Doktorvater/-mutter abhängig, müssen sie sich heute zunehmend in interdisziplinäre Graduiertenkollegs eingliedern, die unter einem inhaltlichen Zwang stehen und die individuelle Entfaltung einengen.
Sie plädiert für eine Betonung der internen Heterogenität und betont, dass die Stärke der Geisteswissenschaften in einer pluralen Forschungsgemeinschaft bestünde, in der Einzelprojekte und Forschungsarbeiten unabhängig vom Alter möglich sein sollten (an einem vom DFG geförderten Graduiertenkolleg kann man nur bis zum Alter von 28 Jahren teilnehmen). Die Entscheidung könne nicht lauten "Freak oder Manager". Es bedarf neuer Freiräume, "Methodenoffenheit", so Loreck, einerseits und einer klaren Eingrenzung der Fächer in Lehre und Forschung andererseits.
Von diesem Standpunkt aus wird es wieder möglich, meint von Bismarck, einen inter- und transdisziplinären Diskursraum, einen "dritten Raum" im Sinne Homi Bhabhas zu eröffnen. Es muss also einen "Raum für den Austausch von unterschiedlichen Disziplinen und Professionen" geben, argumentiert Loreck weiter, und dabei "gilt es das Aufeinandertreffen von Differenz aufzuzeigen!" Die eigene "Art des Sprechens und Schreibens", die individuellen Skills müssen betont, "Kunst als Differenzposition" verstanden werden.

Ein Weg aus der Krise, scheint sich also in der selbstbewussten (Neu-)Definition der kunsthistorischen Disziplin abzuzeichnen. Bei gleichzeitiger Abgrenzung und Offenheit in einer neuen Annäherung, bräuchten die Wissenschaften nicht mehr unweigerlich in Konkurrenz zu treten, sondern könnten sich wieder gegenseitig befruchten. Es müssen also Synergieeffekte im Austausch der Wissenschaften, zwischen Geschichte und Gegenwärtigem sowie Theorie und Praxis erzielt werden. Dem individuellen künstlerischen und wissenschaftlichen Werk sollte dabei immer genug Freiraum und Beachtung geschenkt werden. Dann entfremdet Vernetzung nicht, wie Krüger meint, sondern macht das Fach stark!

Es gibt also, wie so häufig, gar nicht so viel zu jammern, aber sehr viel zu tun!


Links zum Thema:

www.textezurkunst.de
www.portalkunstgeschichte.de/
www.kunstgeschichte-online.com
Virtuelles Institut für Bildwissenschaft: www.bildwissenschaft.org
Bologna-Prozess: www.bmbf.de/de
DFG Graduiertenkollegförderung: www.dfg.de

Hannah Beck-Mannagetta

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