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Boris Mikhailov: "CASE HISTORY"

von Christine Roth (12.12.2001)


Boris Mikhailov:

"CASE HISTORY" - eine Krankengeschichte zeigt der ukrainische Fotograf Boris Mikhailov am Beispiel von Obdachlosen: Alte und Junge, Männer, Frauen, Kinder, die aus seiner Heimatstadt Charkov stammen. Die Krankengeschichte ist die der neuen Gesellschaftsordnung in der ehemaligen Sowjetunion; ob Charkov, ob Moskau oder Irkutsk - überall ließen sich ähnliche Bilder finden. Obdachlosigkeit ist ein neues Phänomen: früher hatten alle wenigstens ein Dach über dem Kopf und eine gewisse Absicherung durch die Rente, heute haben viele die Orientierung verloren, jedwegliche Sozialabsicherungen fehlen. Das einzige Angebot für Leute, die in Charkov auf der Straße leben, ist eine Suppenmahlzeit, die einmal pro Woche von der katholischen Kirche verteilt wird.

Mikhailov zeigt nun diese neuen Antihelden beim Reden, Lachen, Posieren, Trinken, Pinkeln, Baden. Viele der Aufnahmen sind inszeniert, was sie von reinen Dokumentarfotografien unterscheidet. Mikhailovs Ehefrau, Viktorija, bat die Dargestellten Modell zu stehen und zahlte ihnen dafür eine geringe Summe. Bewußt thematisiert Mikhailov so die Macht des Geldes, indem er die Modelle anleitete, Tabus zu durchbrechen und sie ihre Geschlechtsteile zeigen läßt oder sie beim Waschen fotografierte. Eine Schamgrenze existiert nicht mehr. Einem reinen Voyeurismus steht entgegen, daß Mikhailov Fotografien von sich und seiner Frau unter die Porträts der Obdachlosen gemischt hat, wie um Grenzen zu verwischen und zu sagen: "Seht her, ich bin einer von ihnen." Diese Anteilnahme spürt man in den Bildern, trotzdem möchte man zugleich hin- und wegsehen können.

Die große Ausstellungshalle ist nicht, wie sonst häufig, durch Trennwände unterteilt und das ist gut so, denn der Raum wird dringend zum Luftholen gebraucht. Das Projekt CASE HISTORY umfaßt nicht ganz 500 Fotogafien, die zwischen 1997-99 entstanden sind; zum ersten Mal sind in Berlin fast 300 davon zu sehen. Kleine Brüche in der Hängung verhindern jedoch eine Ermüdung beim Betrachter. Die zentrale lebensgroße gerahmte Gruppe von Fotografien in einer winterlichen Landschaft sind für Mikhailov Schlüsselwerke, die er "Requiem" nennt und die bewußt christliche Ikonografie zitieren. Sie sind erhaben, distanziert und von einer gewissen Romantik. Die ungerahmten großen Farbaufnahmen hingegen vermitteln eine große Präsenz der Modelle, sie springen den Betrachter förmlich an, während die unzähligen kleinen Arbeiten an der Stirnseite gerade zum Näherhinsehen einladen, aber durch die Menge und die offene Hängung eine Unendlichkeit suggerieren. In einem kleinen Kabinett sind die intimsten Fotografien zu sehen; sie zeigen immer wieder die gleichen Personen und im Kopf des Betrachters entsteht eine kleine Geschichte, was durch die unbeschnittenen Papierabzüge mit dem Filmstreifen am Rand auch im Formalen seine Entsprechung findet. Ein Foto von einer Bananenschale fällt aus dem Rahmen, unterstreicht die Inszenierung und vielleicht auch Mikhailovs Sinn für absurde Komik.

Das Projekt wurde zuerst in Zusammenarbeit mit dem daad als Buch veröffentlicht (Scalo-Verlag 1999), bei dessen Präsentation schon ein kleiner Teil der Fotografien ausgestellt wurde. Die Verleihung des renommierten Hasselblad-Award 2000 und des Photopreises der City-Bank, ebenso wie die Ausstellung in der Saatchi-Collection London, gaben Anlaß für die Berliner Ausstellung.

 

Die Ausstellung ist bis zum 20.1.2002 zu sehen (mit einer Unterbrechung vom 24.12. - 1.1.2002) im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin. Öffnungszeiten
Di bis So 11 - 20 Uhr, Eintritt frei.


Christine Roth

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