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Johnen Galerie: Konversationsstücke - Ein Kammerspiel

von Verena Straub (22.02.2010)


Johnen Galerie: Konversationsstücke - Ein Kammerspiel

Akt II: Konfrontation (noch bis zum 13. März)

Unter einem Kammerspiel versteht man für gewöhnlich ein Theaterstück, das in beschaulicher Atmosphäre und mit geringer Besetzung aufgeführt wird. Der Zuschauer blickt in die Intimität einer Kammer, in der etwas "Privates" stattfindet.
In der Marienstraße, nicht weit vom Deutschen Theater, ist derzeit ein Kammerspiel der besonderen Art zu sehen: Anstelle von Darstellern treten Kunstwerke als Akteure auf. Die Bühne - das ist die Galerie von Jörg Johnen, die derzeit ihr 25 jähriges Bestehen feiert.
Es ist ein Spiel in drei Akten. Jeder Akt dauert zwei Wochen und besteht aus drei Kammer-Szenen, in denen die Kunstwerke dialogisch gegenübergestellt werden. Was passiert nun, wenn ein solches Rahmengerüst auf eine Kunstausstellung übertragen wird? Funktionieren die einzelnen Exponate als "Konversationsstücke", wie der Ausstellungstitel suggeriert, oder bleibt es auf der Galerie-Bühne stumm?

Vorhang auf für den zweiten Akt, der mit einem voyeuristischen Blick ins Schlafzimmer beginnt: Hauptakteure dieser Szene sind die leicht bekleideten Mädchen, deren Bilder von pornographischen Internetseiten heruntergeladen sind. Durch extreme Vergrößerung hat Thomas Ruff die digitalen Fotos in ihrer Auflösung so vergröbert, dass die Eindeutigkeit der Darstellungen traumwandlerisch verschwimmt. Vom sexuell Offensichtlichen wandern die Bilder zurück in den Bereich des Verborgenen, des Geheimnisvollen. Abgeschirmt von einem roten Paravent wartet auf der anderen Seite des Zimmers die Antwort auf Ruffs großformatige Fotografien. Die gleichen Motive hängen dieses Mal als trompe l´oeil-Miniaturgemälde an der Wand. Doch auch sie sind durch das vorgeblendete Opakglas nur verschwommen zu erkennen. Indem Andrew Grassie die Arbeiten von Ruff zitiert und medial verändert, stellt er neue Fragen an die Abbildqualität und mediale Inszenierung sexueller Fantasien. Gerahmter Sex in Salon-Stil-Hängung und Schmuddelbilder in Tempera. In Zeiten, wo nackte Körper auf Theaterbühnen längst nur noch Gähnen im Publikum hervorrufen, erhalten diese Bilder eine ganz neu entdeckte Requisite: Den verschleiernden Vorhang.

Nach solch pikantem Schlafzimmergeflüster wirkt die zweite Szene, wenn auch geräumiger, mit ihrem biederen Möbel-Muff erdrückend. Der Schauplatz ist dieses Mal ein Esszimmer in Eichenholz. Darstellerin: Die Zeit.
Das Heimliche, wie es uns in der ersten Szene mit dem Hauch des Verbotenen begegnet, wird in dieser Kammer schnell zum Unheimlichen. Vertraute Utensilien wie Küchenbretter, Kleiderbügel oder Kochlöffel verschmelzen zu fremdartigen Gebilden aus Holz, die wie afrikanische Masken an der Wand hängen. Zwei leere Augenhöhlen starren uns in Form von Eierbechern entgegen. Und ein gewöhnliches Nudelholz verwandelt sich mit vier Holzbeinen in einen kopflosen Kobold, der wie ein ethnologisches Objekt auf der Kommode steht. In ihrer Installation "Die Fälscherin" führt uns Wiebke Siem in ein Kabinett der Kindheitserinnerungen, in denen alltägliche Gegenstände die Gestalt skurriler, geisterhafter Charaktere annehmen. Im beklemmenden Mobiliar der Vorkriegsmoderne und 50er Jahre entsteht eine Bühne mit psychologischer Qualität, die uns wieder mit Kinderaugen sehen lässt.
In Roman Ondáks Foto-Diptychon "His Affair with Time" begegnen wir einem ganz anderen Denkmal der vergangenen Kindheit. Auf einem Türrahmen sind Markierungen mit Datum zu sehen, welche das körperliche Wachstum eines Kindes dokumentieren. Durch die Dopplung der Fotos wird eine zusätzliche Zeitdimension miteinbezogen. Äußerlich hat sich nichts verändert, die Aufnahmen scheinen identisch. Und doch ist die eine etliche Minuten nach der anderen entstanden - sie entstammt einer anderen Zeit.
Auch wenn beide Künstler in ihren Werken die Zeit als Hauptakteurin auftreten lassen, scheint der Dialog hier zu stocken. Nicht nur, weil Ondáks gerahmte Fotografien angesichts der hölzernen Massenbevölkerung untergehen, auch die Theaterplakate und Vitrinen, die sich zusätzlich in diesem Raum befinden, lenken vom intimen Zwiegespräch ab. Etliche Originaldokumente von Kammerspielen des Deutschen Theaters hängen illustrativ an der Wand oder liegen belehrend in Vitrinen, als ob man die Verbindung zum Kammerspiel beweisen müsste.

Während hier das Schauspiel den intimen Konversationsraum der Kammer verlässt und zum Ausstellungsraum wird, endet der Akt mit der dritten Szene wieder in einer beschaulichen Kinderstube. Ein fluoreszierendes Kinderbett wird darin einer Eule aus Lumpen gegenübergestellt. Auf den ersten Blick wirken die Figürchen aus Rupfensack, dreckigen Lumpen und Holz, die Geoffrey Farmer zusammen mit rätselhaften Unterschriften ausstellt, mysteriös und unverständlich: "You know nothing, the owl knows everything" bekundet entsprechend die gesichtslose Eule, um die sich all die Hinweise und Objekte scharen. Eine kindliche Fiktion - zusammengebastelt aus Abfallprodukten. Farmers Installation ist in sich schon so vielstimmig, dass sie eigentlich kaum eines zweiten Kommunikationspartners bedarf. Ein solcher tritt dennoch als Kammer in der Kammer auf: Martin Honert hat eine Ecke des Schlafraums seiner Internatszeit detailgetreu nachgebildet, die Licht- und Schattenverhältnisse jedoch genau umgekehrt. Fenster und Wand sind dunkel, während Bettrahmen und Stuhl grellweiß aufleuchten. Eine Negativform des Kinderzimmers, welche die subjektive Erinnerung objekthaft in Erscheinung treten lässt. In der schummrigen Atmosphäre einer kindlichen Fantasiewelt weisen die Werke inhaltliche Verbindungslinien auf, wenngleich die materielle Ästhetik eine gänzlich andere ist. Modrige Lumpengestalten treffen auf steril glimmendes Fluoreszenzlicht. Eine Konfrontation wie sie dem Titel des II. Aktes gerecht wird und in dieser letzten Kammerszene anregend endet. Die Akteure - zwei Kinder, die unter der Bettdecke flüsternd Geheimnisse austauschen?

Was also ist das Thema dieses Kammerspiels? Die heimische Kammer als Ort verborgener, unheimlicher oder kindlicher Fantasien wird hier selbst in den Mittelpunkt gerückt. Heimlicher Hauptdarsteller ist dabei der Raum selbst - gewissermaßen als Huldigung ans Kammerspiel. Sieht man einmal von den unnötigen Dokumentar-Requisiten ab, die das Gespräch in der zweiten Szene ersticken, ermöglicht dieses Stück einen unkonventionellen Theaterbesuch, der alles andere als stumm bleibt. Dem Regisseur wird applaudiert und man darf gespannt sein auf den letzten Akt.

Akt III: Auflösung
20.März - 17. April 2010
Szene 1: Dan Graham / Katharina Fritsch
Szene 2: Candida Höfer / Stefan Balkenhol
Szene 3: Wilhelm Sasnal / Jeff Wall

Abbildung: Wiebke Siem, Die Fälscherin, 2009, verschiedene Materialien, Maße variabel

Öffnungszeiten:
Di-Sa 11-18 Uhr

Johnen Galerie
Marienstr. 10
10117 Berlin

johnengalerie.de

Verena Straub

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