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„squatting. erinnern, vergessen, besetzen“ in der Temporären Kunsthalle Berlin

von Teresa Köster (07.04.2010)


„squatting. erinnern, vergessen, besetzen“ in der Temporären Kunsthalle Berlin

Während in Berlin immer mehr besetzte Häuser geräumt werden, will nun eine Kunstinstitution, deren Standort selbst geschichtslastig ist, an vergangen geglaubte Zeiten erinnern: Als „squatting“, also als Einnehmen eines Raumes oder auch als Besetzung eines Hauses, versteht sich die aktuelle Schau in der Temporären Kunsthalle auf dem Berliner Schlossplatz, in der zweiundzwanzig Werke von siebzehn internationalen Künstlern „erinnern, vergessen, besetzen“.

Da Erinnern hier nicht stillem Gedenken gleichkommen, sondern aktive Teilnahme bedeuten soll, wird der Besucher einer Inszenierung ausgesetzt, die an einen Abenteuerspielplatz erinnert: So befinden sich Mauern, Zäune und Möbelstücke im Ausstellungsraum der Temporären Kunsthalle. Durch weiße Zäune in drei Abschnitte geteilt, ist der Raum nicht von allen Seiten sofort zugänglich, sondern muss über Außeneingänge immer wieder neu betreten werden. Parcoursartig erfährt der Besucher den Raum, in dem verschiedenartigste Installationen, Fotografien, Videoarbeiten und Malerei eng nebeneinander platziert wurden. Statt beim Eintreten einen ersten Blick über die Gesamtgestaltung der Ausstellung zu erhalten, wird der Blick durch eine massive Mauer versperrt. Franka Hörnschemeyer hat aus alten Rigipsblöcken einen Kubus zusammengesetzt, der sich motivisch mit den links angrenzenden, von Michael Schmidt Ende der achtziger Jahre in Berlin fotografierten Brandmauern verbindet.

Auf der rechten Seite zeigt sich Simon Wachsmuths Installation „Die Dinge kann ich nicht mehr sehen, wie ich sie einmal sah“, die zwischen all den Farben und der Detailfreude anderer Künstlerkollegen durch ihren Purismus auffällt. Auf und um Biedermeier-Möbel wurden zwei Sakkos, Schuhe, eine Kamera und Bücher von Alexander von Humboldt platziert. Das Arrangement erinnert an eine Lehrstube des neunzehnten Jahrhunderts; alles daran mutet altmodisch an. Der Eindruck wird jedoch von zwei auf Monitoren abgespielten Videos gebrochen. Sie zeigen die Neugestaltung einer historischen Wanderung durch die Alpen, eines in leuchtender Farbe, das andere ist schwarz-weiß. Die zwei in den Filmen agierenden Männer nehmen die Utensilien der Installation wieder auf: Sie tragen die schwarzen Sakkos und Wanderstöcke und sind auf der Suche nach neuen Motiven für ihre Kameras. Mithilfe beider Videos wird die Umwelt aus historischer Sicht erfahren und veranschaulicht: Perspektiven ändern sich im Laufe der Zeit, mit Zunahme von Erkenntnissen und Einflüssen. Die Männer, zu ihrer Zeit modern, erscheinen uns auf einmal altmodisch und auch der Realismus der Fotografie hat unlängst Konkurrenz bekommen. Heike Kati Baraths Leinwandarbeit, dessen abgebildetes Holzgerüst in seiner filigranen Struktur der der Wanderstöcke ähnelt und dessen Himmel ebenso blau leuchtet, erinnert nicht nur an Teile von Wachsmuths Installation, sondern kann sich auch mit dem fotografischen Realismus messen.

Im Zentrum der Ausstellung hat Carsten Fock eine Wand mit farbigen Schraffuren versehen und auf diese eingerahmte Zeichnungen angebracht, die mit religiösen und mythologischen Symbolen spielen. Am auffälligsten ist jedoch Manfred Pernice Beitrag „Haldensleben“. Er hat einen geschlossenen Raum aus Holz geschaffen, der an ein improvisiertes Heimatmuseum mit Keramik, Fotografien und Broschüren erinnert. Eine Plattform auf dem Dach kann vom Besucher betreten werden und ermöglicht nun doch die Sicht auf das Gesamtarrangement.

Der Blick fällt auf zwei abgeschlossene Räume, in denen weitere Filme abgespielt werden. Im hinteren Teil des Ausstellungsraumes stehen zwei verbogene Absperrgitter von Simon Wachsmuth verloren im Raum. Was mit ihnen geschehen ist, bleibt unklar. Explizit politisch werden nur die umgebenden Wandarbeiten. Thomas Lochers Tafel thematisiert durch Textauszüge aus der UN-Konvention gegen Folter diese, ein rotes Kreuz von Olaf Nicolai wiederum das Asylrecht. Von Antje Majewski wurden Arbeiten ausgewählt, die in der Verwesung fortgeschrittene Mumien auf Leinwand bannen.

Im Pressetext heißt es recht allgemein gehalten, die Auswahl würde „die Erinnerung thematisieren und Erfahrungen mit Orten, Situationen, Menschen und Handlungen verarbeiten.“ Sicherlich trifft die Aussage auch bei jeder der präsentierten Arbeiten zu, doch der subjektive Ansatz und die daraus entstandene Verschiedenartigkeit verhindern gleichzeitig eine harmonische Gesamtwirkung der Ausstellung. Durch ihr Arrangement auf zu engem Raum büßen einzelne, fantastische Werke ihre individuelle Wirkkraft ein. Arbeiten, wie Michael Schmidts zurückhaltende Schwarz-Weiß-Fotografien oder die malerisch-sanfte Installation von Glühbirnen in Metallzäunen können sich gegen die vielen opulenten Installationen nicht durchsetzen.

Wer sich also eine übersichtliche und leicht zugängliche Ausstellung wünscht, ist hier am falschen Ort. Doch gerade diese Störung des Harmonieempfindens ist bei näherem Hinsehen ein wichtiger Teil des Ausstellungskonzepts: Auch die Besetzung eines Hauses, die doch laut Titel themengebend war, verläuft nicht ruhig und geordnet; besetzte Orte waren in Berlin auch Begegnungsstätten von Meinungen und Brennpunkt für Diskussionen. Die Thematik der Hausbesetzung drückt sich hier auch optisch in dem irritierenden Arrangement unterschiedlichster Arbeiten aus. In „squatting“ geht es deswegen vielmehr um den Austausch zwischen Künstlern, Werk und Besuchern. Die Gesamtheit der Werke, die durch Form oder Inhalt vernetzt sind, ist hier wichtiger als eine individuelle Erfahrung einzelner Werke.

Beteiligte Künstler:
Heike Kati Barath, Annika Eriksson, Carsten Fock, Franka Hörnschemeyer, Sven Johne, Šejla Kameric;, On Kawara, Thomas Locher, Antje Majewski, Olaf Nicolai, Anna Oppermann, Manfred Pernice, Bojan Sarcevic, Michael Schmidt, Gitte Villesen, Simon Wachsmuth, Haegue Yang.

Abbildungen:
Ausstellungsansichten. © Temporäre Kunsthalle Berlin 2010

Ausstellungsdauer:
02.04. – 24.05.2010

Temporäre Kunsthalle Berlin
Schlossfreiheit 1, Schlossplatz
10178 Berlin

Öffnungszeiten:
Mo 11 - 21 Uhr
Di - So 11 - 18 Uhr

kunsthalle-berlin.com

Teresa Köster

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