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Schere, Stein, Papier - Wangechi Mutu im Deutschen Guggenheim

von Eva Biringer (26.05.2010)


Schere, Stein, Papier -  Wangechi Mutu im Deutschen Guggenheim

In der Mitte der Höhle wächst ein Baum aus Filz in den Himmel, notdürftig von braunem Klebeband zusammengehalten. Auch die Fenster sind mit Bahnen von grobem Filz verhängt, kein Tageslicht dringt herein und ein stetes Tropfen mischt sich mit Hundegebell und dem Summen unsichtbarer Fliegen.
Die Höhle ist genau genommen das Deutsche Guggenheim und der Himmel die Decke des Ausstellungsraumes Unter den Linden. Wangechi Mutu hat das allgegenwärtige Postulat des White Cube umgekehrt und sich ihren eigenen „kleinen schmutzigen Himmel“ – so der Titel der Ausstellung – geschaffen.

Anlässlich der Wahl zum „Artist of the Year 2010“ erhält die 1972 in Kenia geborene Künstlerin eine Einzelpräsentation in der Berliner Dependance des Guggenheim.
Es gibt zahlreiche Arbeiten auf Papier: Collagen, die Mutu in „wochenlanger Arbeit“ aus Pflanzenmaterial, Perlen, Pailletten und Zeitungsausschnitten – etwa Bilder von Frauenkörpern, die dem westlichen Schönheitsideal entsprechen und scheinbar typisch afrikanische Motive, wie zum Beispiel Zebras und Menschen in Stammestracht – gefertigt hat. Heraus kommen dabei eigenartige Chimären, halb Tier, halb Mann, halb Frau, deren Tentakel, Exkremente, Flügel über die Bildfläche wuchern. Der Gedanke an Platon und seine Idee der ineinander verschlungenen Körper beziehungsweise der Wiedervereinigung der Geschlechter wird schnell verworfen angesichts der Tatsache, dass es der Künstlerin vielmehr um die zunehmende Vereinzelung und Entfremdung des Individuums in einer globalisierten Welt geht. Hierzu bedient sie sich der Collagetechnik und der Massenmedien, um deren Bilder laut eigener Aussage im Benjaminschen Sinne auratisch aufzuladen.

Dennoch wirkt die Monotonie der Collagen plus ihre ausgestellte malerisch-gefällige Ästhetik ermüdend und der gesellschaftskritische Anspruch der Künstlerin bleibt vage.

Enttäuscht wendet man sich der Installation Metha (2010) zu, einer Reihe von Tischen, auf denen Emailleschüsseln stehen, über denen wiederum Flaschen hängen, aus denen stetig Flüssigkeit tropft. Einige der Schüsseln sind fast leer, andere drohen bald überzulaufen und beinahe hätte man die rostbraune Pfütze auf dem Boden übersehen. Auf Nachfrage erfährt die Rezensentin, dass es sich um Milch und Rotwein handelt und auf die Frage nach den vom Ausstellungskatalog angekündigten „olfaktorischen Reizen“ schlägt ihr Erstaunen entgegen: „Riechen Sie nicht, wie das stinkt?“ Und tatsächlich, die Milch hat bereits ein fortgeschrittenes Stadium des Verwesungsprozesses erreicht und auch der Rotwein lädt nicht zum Probieren ein.

Entscheidende Kriterien für die Wahl zum Künstler des Jahres sind für das Guggenheim „Internationalität, Diversität und die Verbindung von künstlerischen Fragestellungen“; der Schwerpunkt liegt auf Arbeiten auf Papier und Fotografie.
Hier zeigt sich die Schwachstelle der Ausstellung. Wagechi Mutus Arbeiten sind vielschichtig und assoziationsreich und auch die erwünschte „Unverwechselbarkeit und Vielfalt“ ihres Werkes ist zu erkennen. Ihre Stärke liegt aber unübersehbar nicht auf den Arbeiten auf Papier, sondern im Bereich Video und den raumgreifenden Installationen.
So zieht den Besucher zuallererst die überdimensionale Säule im hinteren Teil des Raumes in Bann, auf der das Video Mud Fountain (2010) zu sehen ist.
Die Künstlerin selbst steht in einer Art Latrine, frontal zum Betrachter, nackt, mit gesenktem Blick. Ihre Brust hebt und senkt sich, sie atmet schwer, keucht beinahe und plötzlich fällt von oben Dreck auf sie herunter. Dumpf klatschen die Klumpen auf ihren Körper und nun kann man sich auch den Ursprungsort des Hundegebells und das Summen der Fliegen erklären. Die „schmutzige“ Leinwand, die von Farbschlieren überzogen ist, verstärkt die Aversion, man könnte auch sagen: Den Ekel. Mit dem Titel „Mud Fontain“ bezieht sich Mutu offensichtlich auf Marcel Duchamps Pissoir - eine Ikone der westlichen Avantgarde -, das die Signatur „R. Mutt“ ziert.
So behauptet Mutu einerseits ihre Stellung als zeitgenössische Künstlerin, die souverän Ikonen der westlichen Kunst zitiert und auf ihre eigene Weise interpretiert und andererseits scheint sie gegen die Vormachtstellung des eurozentristischen Blicks auf die Kunst aus „Dritte-Welt-Ländern“ zu protestieren.
Der minutenlange Anblick der nackten Frau bleibt zugleich verstörend.

Wangechi Mutu schafft mit My Dirty Little Heaven einen Präsentationsraum, der durchaus originell die reduzierte Ästhetik des westlichen Kunstraumes konterkariert. Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass die Filzbahnen auf die Shantytowns in Metropolen wie Lagos oder Kapstadt anspielten. Dementsprechend besteht die Gefahr, Mutus bewusste Distanzierung von ihrer Rolle als „afrikanische“ Künstlerin und ihrem Selbstverständnis als Kosmopolitin durch den erneuten Bezug auf ihre Heimat als das Gegenteil misszuverstehen.

Abbildungen:
- Wangechi Mutu, Blue Eyes, 2008, Mixed media, ink, collage on Mylar, 42 x 62 inch , The Collection of Paul and Linda Gotskind, Photo: Bill Orcutt, Copyright: © Wangechi Mutu and Susanne Vielmetter Los Angeles Projects
- Wangechi Mutu,, Zebra Crossing, 2008, Watercolor, ink, collage on paper Overall dimensions 48 x 44 inch, Photo: Robert Wedemeyer, Copyright: © Wangechi Mutu and Susanne Vielmetter Los Angeles Projects
- Blick in die Ausstellung: Wangechi Mutu: My Dirty Little Heaven
Photo: Mathias Schormann, Copyright: © Deutsche Guggenheim

Wangechi Mutu
My Dirty Little Heaven

Ausstellung: noch bis zum 13. Juni 2010

Deutsche Guggenheim
Unter den Linden 13
Täglich 10-20 Uhr

Eva Biringer

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Daten zu Wangechi Mutu:


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