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Ecce Homo - Junge Akademie 2010 - Monat der Stipendiaten

von Eva Biringer (23.06.2010)


Ecce Homo - Junge Akademie 2010 - Monat der Stipendiaten

Seit letztem Wochenende (19.6.10) zeigt die Akademie der Künste im Rahmen des "Monats der Stipendiaten" die Ausstellung "Junge Akademie 2010"und stellt elf künstlerische Positionen vor, die vor allem Fotografie, aber auch Video, Zeichnungen und Installationen umfassen.

Anastasia Khoroshilova ist eine Menschenforscherin. Wie eine russische Eisprinzessin thront die Frau auf einem weißen Schimmel, eingehüllt in einen edlen, schweren Mantel, auf ihrem Kopf ein adrettes Pelzmützchen. Umgeben von einer pittoresken Schneelandschaft, zu ihren Füßen einen Hund, der ehrfürchtig zu ihr aufzublicken scheint. Stolz ist sie.
Gleich daneben hängt das Porträt eines alten, eingefallenen Mannes, der den Blick scheu abwendet. Sein Mund ist zu einem schmalen Strich verzogen, die Falten in seinem Gesicht erzählen Geschichten. Als einziger der Fotoserie trägt er keine Tracht und aus seinem sorgenvollen Gesicht lesen wir Sehnsucht und Melancholie.

Die russische Seele, hier kann man einen Blick auf sie erhaschen. Oder doch nicht? Khoroshilova geht es nicht darum, weitere Stereotypen ihrer Heimat zu produzieren. „Russisch“ ist für sie „keine Nationalität und kein Land, (...) sondern eher eine Art Vektor in Geschichte und Wissenschaft“, dem sie nachspüren will.
Für ihre mit dem diesjährigen Ellen-Auerbach-Stipendium ausgezeichnete Arbeit „Ruskie“ machte sich die 1978 in Moskau geborene Künstlerin auf in ihre Heimat, die Kamera stets zur Hand. Gewisse Parallelen zum Werk der Stifterin finden sich in diesem Arbeitsansatz, denn auch Ellen Auerbach machte sich einst auf Spurensuche, wenn auch im Exil in Palästina. Mit der jungen russischen Künstlerin glaubt die Jury schon deshalb die richtige Wahl getroffen zu haben, weil Khoroshilova mit derselben Leidenschaft und Neugierde den Menschen auf ihren Fotos begegnet, zugleich aber auch respektvolle Distanz wahrt und ihnen völlig freistellt, wie und wo sie abgelichtet werden.

Yto Barrada hat nicht gefragt. Sie hat sich angeschlichen und abgedrückt und so die beiden schlafenden Männer in einem Moment der Schutzlosigkeit abgelichtet. Wie ein Diptychon muten die beiden schwarz-weiß Fotografien an, der Kunst-Charakter wird durch deren spiegelverkehrte Pose noch verstärkt. Die Arbeiten sind Teil eines fotografischen Zyklus, in dem sich die Künstlerin (*1971, Paris) mit ihren algerischen Wurzeln auseinandersetzt, am Beispiel des Alltags in Tanger. 2006 reüssierte sie damit als erste Stipendiatin der Ellen-Auerbach-Stiftung. Barradas schlafende Männer stehen mit ihrer fragilen Schutzlosigkeit in starkem Kontrast zu Khoroshilovas selbstinszenierten Trachtenträgern. Mitten in der Hektik der großen Stadt mit all ihren Widersprüchen und heterogenen Lebensformen erfahren sie einen Moment der Kontemplation.

Als Fragender sieht sich der mexikanische Künstler Plinio Avila. „Ich setze Kunst ein, um Fragen anzugehen, auf die ich keine Antwort habe.“ Fragend steht auch der Betrachter zunächst vor seiner Fotoserie „the qualitative order of resemblances and the quantitative order of equivalences“. Ein Mann in Militäruniform blickt ernst in die Kamera, auf einem zweiten Foto trifft man scheinbar auf sein Double. Porträts wechseln sich ab mit Schnappschüssen am Strand, auf Partys und Familienfesten, stets entdeckt man dieselben jungen Männer, die sich gleichen wie eineiige Zwillinge. Tatsächlich handelt es sich um einen technischen Kniff: Avila hat sich selbst als der „Bruder-Freund“ oder dessen Double in alte Aufnahmen seines Vaters eingefügt. Das Ergebnis ist verblüffend: Sieg der Technik über die scheinbare Einzigartigkeit des Individuums.
Menschsein dürfen auch die Protagonisten seiner Videoarbeiten. In „books of the books“, sagt ein kleiner Junge auf Spanisch einen auswendig gelernten Text – die Bibel? – auf. Bei„i like being at your home“, verwendet der Künstler eine kurze geloopte Sequenz einer ausgelassenen mexikanischen Feier. Beide Videos wirken amateurhaft und schnappschussartig. Unterstützt wird die Assoziation des Privatmitschnittes durch die Präsentation auf einem kleinen smartphone-artigen Player. Gut vorstellbar, dass man selbst Erinnerungen dieser Art im Freundeskreis herumzeigt: Schau mal!
Genau dieses „Schau mal!“, dieses Ecce homo, finden wir auch in den Arbeiten von Anastasia Khoroshilova und Yto Barrata wieder. Es sind Versuche, den Mensch in seinem Menschsein einzufangen. Ob dabei die Gleichmachung verschiedener Volksgruppen im Vordergrund steht, der Versuch ein menschliches Lebens in einer unmenschlichen Stadt zu führen oder ein Blick in scheinbar private Erinnerungen, die sich, zumindest im Falle der Doppelporträts als Illusion erweisen: Immer geht es um den Mensch, um den anderen und zugleich um uns selbst.
Vielleicht erzählt uns der kleine Junge in Avilas „books of the books“ ja genau davon.
Wer kein Spanisch spricht, muss es sich vorstellen.

Teilnehmende Künstler: Hyun-Mee Ahn (Südkorea), Plinio Avila (Mexiko), Yto Barrada (Marokko), Julian Bergheim (Deutschland), Malena Bystrowicz (Argentinien), Prinz Gholam (Deutschland, Libanon), Anastasia Khoroshilova (Russland), Marcellvs L. (Brasilien), Alfred Peter (Deutschland), Steve Sabella (Palästina), Luise Voigt (Deutschland) und Arbeiten aus dem Nachlass Ellen Auerbach.

Abbildungen:
- Anastasia Khoroshilova, aus der Serie „Russkie“ #33, 2007, © Anastasia Khoroshilova
- Plinio Avila: Piloto, 2009, © Plinio Avila

Ausstellung läuft noch bis zum 11. Juli 2010

Akademie der Künste
Hanseatenweg 10
10557 Berlin-Tiergarten
Dienstag bis Sonntag 11-20 Uhr
adk.de/jungeakademie

Eva Biringer

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