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Micha Ullman im Jüdischen Museum

von - Marlen Bonke (23.03.2011)
vorher Abb. Micha Ullman im Jüdischen Museum

Das Berliner Publikum kennt Micha Ullman schon lange. Seine unterirdische Bibliothek (1995) auf dem Bebelplatz erinnert als Mahnmal an die Bücherverbrennung im Mai 1933 durch die Nationalsozialisten und gehört zu den bekanntesten, wohl auch eindringlichsten Werken des israelischen Künstlers. 1989 kam Ullman auf Einladung des DAAD Künstlerprogramms nach Berlin, wo er ausgehend von einer Serie von Tonarbeiten, eine monumentale Stahlskulptur schuf, die sich heute in der Lindenstraße befindet. In unmittelbarer Nähe dazu, im Jüdischen Museum, wird nun „Unten“, eine seiner neueren Installationen präsentiert, die erstmals 2009 in den Alexander Ochs Galleries zu sehen war und vergangenes Jahr vom Museum erworben wurde.

Micha Ullmans Interesse richtet sich auf das konzeptuelle Ineinandergreifen von Kunst und ihrer Umgebung, die meisten seiner Werke befinden sich im Außenraum. Umso spannender erscheint hier der Rückbezug der Installation „Unten“ in den musealen Kontext. Das Jüdische Museum pflegt schon weit über sein zehnjähriges Bestehen hinaus die Zusammenarbeit mit Ullman. Mit der gerade eröffneten Einzelausstellung richtet es nun den Fokus auf eine seiner wichtigsten Arbeiten. Ergänzt wird die Bodeninstallation von hängenden Sandzeichnungen, die sich schon länger im Besitz des Museums befinden und einem dokumentarischen Film über den Künstler.

Im trapezförmigen Raum der Eric F. Ross Galerie im Neubau des Jüdischen Museums öffnet sich ein nach hinten ausbreitendes Feld von scheinbar zufällig über den Boden verstreuten kleineren und größeren Stahlskulpturen. Ihre Oberfläche ist mit feinem, roten Sand überzogen, der sich mit der Rostfarbe des Metalls mischt. Erst beim Nähertreten werden Formen zu erkennbaren Gegenständen: da sind ein umgekippter Stuhl, ein Tisch, dessen Beine schräg im Boden versinken, heruntergefallene Gläser, Fragmente einer vorausgegangen Zerstörung. Wie die Spitze eines Eisberges tauchen sie auf, erheben sie sich über das Bodenniveau und verbergen den Rest unter einer undurchdringbaren Oberfläche, einer erstarrten Erde.
Wie in all seinen Werken, erzeugt Ullman hier einen komplexen Eindruck von Räumlichkeit durch Aussparung. Dort, wo unvollständig wahrgenommene Formen auf eine Grenze stoßen, entsteht im Kopf eine Vorstellung ihrer Fortsetzung. „Unten“ ist die imaginäre Weiterführung von „Oben“ - das Abwesende somit sichtbar durch die Präsenz des Anwesenden. Die minimalistische Formensprache und Ausrichtung in stumpfen Winkeln zum Boden treten dabei in Korrespondenz zur Libeskindarchitektur. Trotz der Bescheidenheit, die sich mit der Verwendung profaner Materialien wie Stahl und Sand verbindet, entfaltet die Arbeit einen elementaren Charakter, der auf das Existenzielle verweist.

Die Unaufdringlichkeit mit der sich Ullmans Werke dem Betrachter öffnen, bietet viel Raum für Phantasie. Er fordert uns auf das Fragmentarische in Gedanken weiterzuführen. Erst dann offenbaren sich immer auch Momente des Erinnerns, des Nachdenkens über den Symbolwert seiner Kunst und die Geschichte der Orte, mit denen sie in Dialog tritt. „Unten“ steht für den Aufbruch, das flüchtige Verlassen eines Platzes, an dem zuvor noch Menschen gemeinsam an einem Tisch saßen. Die Möbel sind umgekippt oder zerstört, ihre Besitzer verschwunden, geflüchtet.

Ullman wurde 1939 in Tel Aviv geboren, sechs Jahre zuvor war seine Familie aus einem thüringischen Dorf nach Palästina emigriert. Die Beschäftigung mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit bedeutet für Ullman immer auch ein Zurückkehren zu den eigenen Wurzeln. Seit den 70er Jahren ist er mit seinen Werken in Deutschland präsent. Besonders in Berlin wurden seine Installationen im öffentlichen Raum zu Pilgerorten des Gedenkens. Ein noch nicht realisiertes Projekt für die St. Matthäus Kirche auf dem Kulturforum wird ähnlich wie das Mahnmal zur Bücherverbrennung auch in einer Grube entstehen. Sieben Stufen, stellvertretend für die Zahl der Kinder, mit denen seine Eltern aus Nazideutschland flüchteten, werden in den Boden eingelassen und mit einer Glasplatte abgedeckt. Das Eindringen in die Erdoberfläche - ob imaginär, wie bei der Installation im Jüdischen Museum oder tatsächlich- ist ein wiederkehrendes Motiv. Seine erste Grube in Deutschland hob er anlässlich der documenta 8 (1987) in der Kasseler Karlswiese aus. Die Erde steht in seinem Werk als Symbol für den Beginn und das Ende allen Lebens. Gleichzeitig bewahrt sie große Schätze und noch nicht entdeckte Funde; etwas Geheimnisvolles haftet ihr an.

Micha Ullmans Kunst steht nicht nur für die historische Vernetzung von Deutschland und Israel, sondern als universelles Zeichen für den geistigen Austausch über Staatsgrenzen hinaus. 2010 erhielt er dafür den vom Berliner Senat gestifteten Moses-Mendelssohn-Preis, der für Toleranz zwischen den Nationen und Religionen vergeben wird. Für sein Lebenswerk erhielt der heute 72jährige den Israel Preis, der als höchste israelische Auszeichnung für Wissenschaft und Kultur gilt. Mit der gerade eröffneten Ausstellung präsentiert das Jüdische Museum eine seiner wichtigsten Arbeiten.

Die Ausstellung befindet sich in der Eric F. Ross Galerie im Libeskind-Bau EG und dauert noch bis zum 1. Mai 2011.

Jüdisches Museum
Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin

Öffnungszeiten
Montag: 10-22 Uhr
Dienstag-Sonntag: 10-20 Uhr
jmberlin.de.php

- Marlen Bonke

weitere Artikel von - Marlen Bonke

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Daten zu Micha Ullman:


- daad Stipendiat
- documenta 8 1987
- documenta 9 1992
- Istanbul Biennial 1995
- Preisträger 1995, Käthe-Kollwitz-Preis
- Preisträger 2010, Gerhard-Altenbourg-Preis


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