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Sieg über die Zeit

von Eva Biringer (06.05.2011)


Sieg über die Zeit

Groteske Fratzen glotzen dem Betrachter aus ihrem Rahmen entgegen. Bewaffnet mit doppelseitigem Klebeband und Fundstücken aus dem Trödelladen versucht Harald Popp, das eigene Antlitz möglichst fremd erscheinen zu lassen.

Erst wenn er sich selbst nicht mehr erkennt, wenn er vor seinem eigenen Spiegelbild zurückschreckt, greift er zur Kamera. All den falschen Bart- und Glasaugenträgern der Fotoserie ist gemein, dass sie nach dem Vorbild der Charaktere der russischen Oper Sieg über die Sonne entstanden. Dieses im 1913 uraufgeführte Großprojekt, an dem unter anderem Kasimir Malewitsch beteiligt war, nahm der Hamburger Fotokünstler zum Ausgangspunkt, um ihrem zeitgenössischem Potential nachzuspüren.

Was kann eine beinahe hundert Jahre alte Oper, konzipiert in der turbulenten Zeit der russischen Avantgarde zwischen Kubofuturismus, Suprematismus und Konstruktivismus, heute noch sein? Lässt sich ihre Wirkkraft auf unsere Gegenwart übertragen? Und, wenn ja: Inwieweit kann, muss man die historische Vorlage modifizieren?

Nina Köller, Kerstin Stakemeier und Eva Birkenstock, drei Kuratorinnen, die bereits 2008 im Hamburger Aktualisierungsraum auf sich aufmerksam machten, widmen sich dieser Frage in der Ausstellung Anfang gut. Alles gut, die bis zum 29. Mai im Basso Berlin zu sehen ist. An drei Wochenenden werden in Workshops, Lesungen, Diskussionen, Performances und musikalischen Beiträgen Antworten formuliert, die mit ihrem betont performativern Charakter die fotografischen, malerischen und installativen Beiträge der eigentlichen Ausstellung ergänzen.

Aus der Not der relativ begrenzten Raumfläche des Basso machen die Kuratorinnen eine Tugend, wenn sie die Ausstellung als „work in progress“ verstehen.
So sind von Ruth May am Abend der Vernissage lediglich farbenfrohe Zeichnungen zu sehen, die dann im Laufe der nächsten Tage Gestalt in Form handgenähter Masken annehmen werden, um dann ihre papiernen Vorgänger zu ersetzen. Auch andere Teilnehmer werden ihre Arbeiten während der drei Wochen austauschen, variieren und umgestalten.

Nach Berlin gastiert die Schau bis Oktober in der KUB Arena in Bregenz, wo eine neue Ausstellungssituation neue Möglichkeiten bereithält. Man darf gespannt sein, wie das Team der Kuratoren sie nutzt – Stakemeier zufolge wird sich dort filmisches und fotografisches Dokumentationsmaterial der Berliner Aktionen unter die anderen Exponate mischen.

Besonders erfreut der kuratorische Ansatz, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, ganz im Sinne der russischen Vordenker, die als Kinder ihrer Zeit auf die stetig postulierte „Symbiose der Künste“ setzten. Konsequenterweise finden sich unter den vierzig Teilnehmern von Anfang gut, alles gut darum nicht nur bildende Künstler, sondern auch Philosophen, Architekten, Textilkünstler und ein DJ.

Wie es der aktuelle Trend so will, ist Zuschauerpartizipation ausdrücklich erwünscht. Es darf nicht nur still rezipiert, sondern diskutiert, getanzt, gemalt und sogar genäht werden: Am 21. Mai nämlich, wenn bei der Performance with Coffee&Cake in kollektiver Arbeit ein textiles Werk in Form eines überdimensionalen Wandteppichs entsteht.

Wenn das avantgardistisch anmutende Musikkollektiv Tschilp seine Performance am 21. Mai We didn´t obey the fathers, and we are not like them nennt, steht diese Ansage stellvertretend für das ganze Projekt. Malewitschs Oper lässt sich nicht eins zu eins auf unsere postmoderne Gegenwart übertragen. Weil diese aber gleichwohl eine Zeit der veränderten Realitäten ist, die permanent Fragen stellt, wenn auch unter anderen künstlerischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, lohnt der Versuch, den Sieg über die Sonne auf ein Neues durchzuspielen.

Auf dem Weg nach draußen, vorbei an Harald Popps Auto-Dekonstruktionen, die im Laufe des Abends nichts von ihrer unheimlichen Wirkung verloren haben, schnappt die Rezensentin Gesprächsfetzen zweier Vernissagebesucher auf: „Wenn du das Menschsein noch so wenig begriffen hast...“. An einer solchen Aussage hätten Malewitsch und seine Kollegen bestimmt ihre Freude gehabt. Das Rätsel der menschlichen Existenz ist heute so wenig gelöst wie hundert Jahre zuvor. Ob die Oper dabei ein Kraftwerk der Zukunft ist, wird sich vielleicht Ende Mai im Basso herausstellen.

Anfang gut. Alles gut.
Aktualisierungen von Sieg über die Sonne.
3. – 29. Mai 2011

Basso Berlin
Köpenickerstr. 187-188
10997 Berlin

anfanggutallesgut.net

Eva Biringer

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Daten zu Kasimir Malewitsch:


- BKV Brandenburgischer Kunstverein Potsdam e.V. 2017
- documenta 8 1987


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Titel zum Thema Kasimir Malewitsch:

Sieg über die Zeit
Was kann die beinahe hundert Jahre alte Oper "Sieg über die Sonne", konzipiert in der turbulenten Zeit der russischen Avantgarde zwischen Kubofuturismus, Suprematismus und Konstruktivismus, heute noch sein?

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