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C/O Berlin: Die Stimme der Verstummten

von Eva Biringer (15.05.2011)
vorher Abb. C/O Berlin: Die Stimme der Verstummten

Demba Balde hat viel gesehen. Bei all den Pfeilen, die zwischen den Ländernamen hin- und herschießen ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten, zumal unter den Orten handschriftliche Notizen Auskunft über das dort Erlebte geben. Sätze wie „83 morts de faim j’ai eu peur beaucoup“ (83 Hungertote ich hatte große Angst) geben eine Vorstellung der Odyssee, die der junge Mann hinter sich hat. Von Mauretanien nach Libyen, von Portugal nach Spanien – doch wo ist das Ende? Die Pfeile bilden einen geschlossenen Kreis und das ist das Verstörendste: Demba Balde scheint nirgendwo angekommen zu sein.

Jim Goldberg, der diesjährige Gewinner des Deutschen Börse Photography Prize, gibt all jenen eine Stimme, die bisher geschwiegen haben. Der 1953 geborene US-amerikanische Fotograf porträtiert Flüchtlinge und Kriegsopfer, Verschleppte und Misshandelte und hält ihre Geschichte in Polaroids, Fotografien, Videos und Collagen fest. Auf einigen der Aufnahmen haben die Porträtierten ihre Gedanken aufgeschrieben und es sind diese Stichworte, die einen die schmerzhafte Biografie, die sich dahinter verbirgt, noch deutlicher erahnen lässt.

Seit 1996 vergibt die Deutsche Börse den Photography Prize, um herausragende fotografische Leistungen zu würdigen. Neben dem Gewinner Jim Goldberg zählen 2011 Thomas Demand, Roe Ethridge und Elad Lassry zu den nominierten Künstlern, deren Arbeiten bis Juni im C/O Berlin zu sehen sind.

Thomas Demand (geb. 1964), der wohl Bekannteste dieser Reihe und nominiert für seine Ausstellung, die im vergangenen Jahr in der Neuen Nationalgalerie zu sehen war, ist mit nur einer Arbeit vertreten. Seine hoch aufgeladenen Fotografien, die aus fragilen Papierarbeiten hervorgehen, beeindrucken stets aufs Neue, so auch an der zentral platzierten Stelle im C/O. Dass sich die Jury dennoch für einen hierzulande eher unbekannter Künstler entschieden hat, ist eine mutige und, wie die durchweg starken Arbeiten Goldbergs beweisen, richtige Entscheidung.

Der israelische Künstler Elad Lassry (geb. 1977) lässt die Trivialkultur sprechen. Eigener Aussage zufolge interessieren ihn solche Objekte, an denen man sich bereits satt gesehen hat. Indem er diese auf ihre Weise gleichfalls „verstummten“ Gegenstände in Szene setzt, reflektiert er die Flut von Bildern, die täglich über uns hereinbrechen und stellt deren Wahrnehmung infrage. Ästhetisch reizvoll sind die Fotografien von Kätzchen, athletischen Männerkörpern, prächtig inszeniertem Gemüse und anmutig gestapelten Eierkartons allemal und die wuchtigen Rahmen, die die satten Farben der Fotos aufgreifen, tragen zusätzlich zum visuellen Vergnügen bei.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Roe Ethridge (geb. 1969), wenn er als ausgebildeter Werbefotograf die Grenzen zwischen Kommerz und Kunst auflöst. Makellos wirken die großformatigen Aufnahmen von weidenden Kühen, Spitzenschuhen und strahlenden Menschen. Die junge Frau in ihrem adretten Pullover, die an einem reich gedeckten Tisch sitzt und versonnen aus dem Bild herausschaut, könnte ebenso gut der Werbung in einem Hochglanzmagazin entsprungen sein. Gleich nebenan hängt ein Stilleben mit verschimmeltem Obst. Dass es kein Memento Mori ist liegt daran, dass Ethridge es so geschickt inszeniert, dass man sich fragt, ob man nicht auch diese Obstschale samt Inhalt kaufen würde. Selbst der Zerfall wird hier zum ästhetischen Genuss.

Der Kontrast zwischen den verführerischen Bildern von Lassry und Ethridge und den anklagenden Dokumenten des Preisträgers könnte nicht größer sein. Von der Welt des schönen Scheins zu den Tiefen menschlichen Elends sind es im C/O nur wenige Schritte. Angesichts von Goldbergs Porträts verschleppter Mädchen, die zur Prostitution gezwungen wurden, Geschwistern, die angeben, ihren Vater nur ein einziges Mal gesehen zu haben, von Mädchen in rosa Prinzessinnenkleidern, die auf einem Berg von Müll thronen und den zahlreichen vernarbten und geschundenen Körpern überkommt einen eine große Traurigkeit. Nur einmal, auf einer großformatigen Collage, „spricht“ der Künstler selbst, wenn er von seiner Ankunft in einem afrikanischen Dorf erzählt, von der Freude der Menschen über den Fremden, und wie sie begierig ihre Geschichten aufschreiben, „als hätten sie nie einen Stift in der Hand gehalten.“
Dass diese Geschichten erzählt werden können und die Menschen, die gehört werden, ist ein großer Verdienst und zu Recht wurde Goldbergs Engagement ausgezeichnet.
Dass es dabei auch Momente der Hoffnung gibt, davon zeugt ein flüchtig hingeworfener Satz auf dem Porträt eines jungen Afrikaners: „In the open see don’t have border“.
Und selbst Demba Balde, der Mann, der so viel gesehen hat, denkt gerne an Burkina zurück: „Pas de problème j’ai beaucoup espoir.“
Die Hoffnung stirbt zuletzt – aber hören können muss man sie.



Deutsche Börse Photography Prize 2011
Thomas Demand, Roe Ethridge, Jim Goldberg, Elad Lassry

13. Mai bis 19. Juni 2011
C/O Berlin
Oranienburger Straße 35/36
10117 Berlin
Täglich 11-20 Uhr

co-berlin.com

Eva Biringer

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Titel zum Thema Deutsche Börse Photography Prize:

Die Finalisten des Deutsche Börse Photography Prize 2012: Pieter Hugo. Rinko Kawauchi. John Stezaker
Ausstellungsbesprechung

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Ausstellungsbesprechung: Demba Balde hat viel gesehen. Bei all den Pfeilen, die zwischen den Ländernamen hin- und herschießen ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten, zumal unter den Orten handschriftliche Notizen Auskunft über das dort Erlebte geben.

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