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Kunst am Parlamentstisch

von Verena Straub (21.05.2012)
vorher Abb. Kunst am Parlamentstisch

Trotz aller Kritik gelingt es der Biennale, der Kunst neue Relevanz und Gefährlichkeit zu geben

Noch nie wurde eine Biennale in Berlin so heftig diskutiert wie die diesjährige. Die Feuilletons füllen sich mit energischen Kritiken, die sich wie pathetische Verteidigungsreden der “freien” und “wahren” Kunst lesen. Den “Parolenpinslern” (allen voran Artur Żmijewski selbst) wird vorgeworfen, die Kunst zum reinen Werkzeug der Politik zu degradieren und damit einer platten Moraldidaktik zu opfern. Von einer “Vernichtung der Freiheit”, ja sogar einem “Ende der Kunst” ist die Rede (Hanno Rauterberg, Die Zeit). Das interessante dabei ist nicht so sehr die Kritik an den einzelnen Werken selbst, sondern dass vielen Arbeiten ihr Kunststatus überhaupt abgesprochen wird. Als “Camouflage” pappe das Etikett “Kunst” auf vielen Anliegen und verschleiere dabei doch nur propagandistischen Polit-Kitsch (Catrin Lorch, Süddeutsche Zeitung).

Die neue Bedrohung der Kunst, so scheint es, kommt mit Zelten und Pappkartons, mit Bierflaschen und ausgeleierten Phrasen daher, um sich mitten hinein in unsere Museen zu setzen. “Unsere” Museen. Das sind die des Kunstpublikums, das sich lieber nicht mit langhaarigen Neo-Hippies über das Banksystem, über Kriegsverbrechen oder Mülltrennung unterhalten will. Natürlich war es von Anfang an eine gewagte Idee des Kurators, die Occupy-Gruppen einzuladen, in der Hoffnung die Energie der Bewegung auf die Biennale überspringen zu lassen. Sein Konzept ist nicht aufgegangen und die erhoffte Partizipation ausgeblieben. Wenn man sich die vereinzelten Grüppchen ansieht, die ihre Slogans wie zu Marken gewordene Produkte feilbieten, ist die aus den Feuilletons entgegenschallende Empörung durchaus nachzuvollziehen. Die Kraft der Bewegung wird hinter Glas gestellt und musealisiert. Sie zitiert sich selbst zu Tode. Doch kann man deshalb gleich vom Scheitern der gesamten Biennale sprechen? Kann man die Parolen der Occupy-Aktivisten unterschiedslos auf alle teilnehmenden Kunstprojekte übertragen - mit dem Vorwurf, einem stupiden politischen Instrumentalismus zum Opfer zu fallen? Während sich die meisten Kritiken an den dilettantisch okkupierten Kunsträumen aufhalten, wird doch die eigentliche Sprengkraft übersehen, die sich an ganz anderen Orten entfaltet.

Denn die tatsächlich provokativen (und gefährlichen) Gedanken findet man weniger zwischen Pappbechern und Flip Charts in den KW-Räumen, sondern an großen Parlamentstischen. An einem solchen fand letztes Wochenende der erste Kongress des “Jewish Renaissance Movement in Poland” statt. Mit ihrer Film-Trilogie hat die Künstlerin Yael Bartana bereits internationale Aufmerksamkeit erreicht und zahlreiche Kontroversen losgelöst. Allein die Forderung der Bewegung scheint gewaltig: 3.3 Millionen Juden sollen von Israel zurück nach Polen immigrieren. Ein neues Polen, ein neues Europa, sowie ein neuer Naher Osten sollen die Folge sein. Um einen runden Debattiertische reihte sich ein Parlament von Vertretern, die demokratisch über Beschlüsse und Vorhaben der Bewegung abstimmten, um der utopischen Idee konkrete Überlegungen entgegenzusetzen. Die Gelder für die Massen-Umsiedlung soll etwa aus Steuergeldern gewonnen werden - nicht nur aus Polen, sondern aus allen europäischen Ländern. Ein weiterer Vorschlag lautet: Der Vergangenheits-Tourismus junger Israelis an die Stätten ehemaliger Konzentrations-Camps soll Camping-Plätzen im Wald weichen, um deren einseitiges, mit Stereotypen behaftete Polenbild aufzubrechen. Sogar T-Shirts mit dem Logo der “Camping statt Camp”-Strategie wurden schon gedruckt. Alles nur provokatives Spiel, eine künstlerische Farce?

Die Debatte changierte stetig zwischen teils ironischen, teils utopischen Vorschlägen und durchaus ernst gemeinten politischen Anliegen. So forderte Kinga Dunin, die Alice Schwarzer Polens, eine Veränderung der Mentalität polnischer Männer. Andere Vertreter wollen mit der Bewegung die starke Bindung Polens an die katholische Kirche schwächen und ein gegenseitiges Verständnis der Religionen fördern. Es geht um eine Wiedereingliederung der jüdischen Kultur nach Europa. Dorthin, wo seit Hitler eine Leerstelle klafft. In gewisser Weise handelt es sich dabei um eine Umkehrung der zionistischen Bewegung. Gleichzeitig schwingen in den Formulierungen der “Massen-Umsiedlung” immer auch Anklänge an die Deportationen der Nazis und die erzwungene Massenauswanderung mit. Und auch bei der propagandistischen Sprache der Filme mit ihrer totalitär-sozialistischen Ästhetik läuft es einem kalt über den Rücken. Die Frage, ob es sich bei diesem “Was wäre wenn” um eine Utopie oder eine Distopie handelt, bleibt offen und unlösbar. Doch genau in diesem Zwischenraum entfaltet sich eine brisante politische Debatte, die sonst nie so (angst-)frei geführt wird.

Um die Angst vor Ideen ging es auch auf dem New World Summit, der eine Woche zuvor die Sophiensäle in ein weiteres Parlament verwandelte. Jonas Staal lud Vertreter internationaler Organisationen ein, die offiziell als Terrorgruppen gelistet werden (darunter die Tamil Tigers, ETA, PKK oder die Holy Land Foundation). Anstelle von vermummten Terroristen mit Kalaschnikows im Handgepäck traf man hier jedoch auf brave Juristen in Anzug oder Kostüm, was manchen Besucher in Erwartung eines abenteuerlichen Rebellen-Spektakels wohl heimlich enttäuschte. Statt reißerischer Parolen bekam man klug durchdachte Plädoyers zu hören, die die Existenz sogenannter Terror-Listen hinterfragten. Die Kriterien, unter denen Organisationen als Terrorgruppen eingestuft werden, entpuppen sich meist als rein politische, die zudem jeglicher legalen Grundlage entbehren. Es wird schnell deutlich, dass es bei der politischen Rede um “Terrorismus” weniger um Waffen oder drohende Attentate geht, sondern vor allem um eins: gefährliche, unliebsame Gedanken. Der Stempel “Terrororganisation” wird von Regierungen zuweilen dafür benutzt, Diskussionen abzubrechen und einen Dialog zu unterbinden, so die Advokaten, die für ihre Klienten teilweise sogar gegen die US-Regierung zu Gericht gezogen sind. Um die Rednerpulte reihen sich die Flaggen aller Organisationen. Nach Farben geordnet ergeben sie ein kreisrundes Regenbogen-Spektrum, das die Grenzen unserer Demokratie absteckt. Ist es nicht ein Versuch wert, sich an diese Grenzen heranzuwagen und einen Diskurs zu eröffnen, der an die Tabus unserer Gesellschaft reicht?

Der Diskurs um “Terrorismus” scheint schließlich mit Kunst mehr Gemeinsamkeiten zu haben als man denkt. Denn auch in der Kunst geht es um neue, radikale und manchmal eben auch gefährliche Ideen. Folgt man Żmijewskis institutionskritischem Ansatz, wird politische Kunst jedoch immer mehr zur gezähmten, folgenlosen Rhetorik-Blase: “Seit Jahren schon ist ein Lähmungsprozess zu beobachten, der künstlerische Radikalität in samtene Kritik verwandelt.” Die radikalen Ideen der Künstler verpuffen als ästhetische Konstrukte in den White Cubes und werden dabei ihres eigentlichen Handlungspotenzials beraubt. Auf Żmijewskis Fahne steht demnach die Befreiung der Kunst von ihrer ideologischen Impotenz. Dies kann man utopisch oder romantisch nennen. Es muss aber nicht zwangsläufig in einem platten Instrumentalismus münden, wie seiner Biennale (zu Unrecht) verallgemeinernd vorgeworfen wird. Zumindest an den Rednerpulten und Parlamentstischen der Biennale fand (und findet) ein spannendes Spiel statt, das Fiktion und Realität, Kunst und Politik neu vermengt. Es werden hier keine politischen Beschlüsse gefasst, keine radikalen Aufstände geübt oder Parteien gegründet. Aber, und das ist vielleicht das wichtigste: Kunst wird hier zum Schutzraum, in dem kontroverse und gefährliche Gedanken zugelassen werden, die in unserer Gesellschaft ansonsten nur selten Platz finden. Forget Fear! So hört man die geisterhafte Stimme Artur Żmijewskis aus dem Off rufen. Vielleicht geht es zunächst einmal darum, unsere Angst vor einem neuen Verständnis von Kunst abzulegen, die ihren ästhetischen Elfenbeinturm verlässt und politische Meinungen von uns fordert.

Fotos: Copyright Verena Straub

7. Berlin Biennale (noch bis zum 1. Juli 2012)
Veranstalter: KW Institute for Contemporary Art, Auguststr. 69, 10117 Berlin
berlinbiennale.de/

Öffnungszeiten:
Di-So 12-20 Uhr
Mo geschlossen, außer am 30.April, 28.Mai und 11.Juni 2012

Ausführliche Informationen zum Programm unter: berlinbiennale.de/blog

Verena Straub

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Titel zum Thema bb7:

Kunst am Parlamentstisch
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