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Die Verflüssigung der Erinnerung

von Vivi Kallinikou (22.11.2012)


Die Verflüssigung der Erinnerung

Wie tragisch ist der Verlust fotografischer Erinnerungen? Geraten wir nicht in Beweisnot, auch wenn der Verlust fotografischer Erinnerungen nicht mit einem Verlust der Erinnerung an sich gleichzusetzen ist. Waren wir tatsächlich dort? Wie waren wir dort? Die voyeuristisch inszenierten Selbst- und Gruppenporträts, die jeden neuen Look, jedes Mottoshirt, jede Mimik und Geste festgehalten haben; die intimen Küsse mit dem Jugendfreund, die verrückte Party mit dem ersten Alkohol, oder der nackte Sprung in den See, alles ist irgendwo festgehalten. Ja, Fotos sind uns wichtig. Sie zeigen wer wir waren und wer wir geworden sind. Sie sind unsere Vergangenheit und die Geschichten, die sie erzählen, bauen unsere Zukunft. Aber was geschieht, wenn sie verschwinden, sich verflüssigen? Verflüssigt sich auch die Erinnerung? Verschiebt sich etwa unsere Wahrnehmung? Der nichtkommerzielle Berliner Projektraum Import Projects gibt mit dem „Liquid Archive“ des jungen deutschen Fotografen Johannes Förster Input für eine nostalgische Debatte.

Johannes Förster (*1985) fotografiert seit seiner frühen Jugend. Er dokumentiert sein Leben und das seiner Freunde in allen Facetten des jugendlichen Charmes ohne Angst vor Entblößung. Auf seinen 10x15cm großen analogen Fotografien sah man einst seine Clique im Park oder erschöpft nach einer Party auf dem Boden liegen, Freunde beim Lesen von Pornoheften oder zwischen Kissen tollen. Es waren spontane Aufnahmen, wie wir sie aus unserer eigenen Jugend kennen, je eine Millisekunde einer Stimmung, die Aura eines Moments. Um seine Jugenderinnerungen vor Sanierungsarbeiten zu schützen, bewahrte Förster sie in seinem Keller auf. Als der Keller nach Regenfällen im Wasser stand, waren seine Fotografien nicht mehr zu retten. Das Wasser ließ die Farben verlaufen, Formen, Körper und Gesichter auflösen und durch farbige Wasserflecken oder schattige Figuren ersetzen. Wellige, wässrige Tropfen rahmten von da an die aufgenommenen Szenen. Mit der Form verflüssigte sich auch die Erinnerung, Försters Drucke und Negative waren für immer verändert. Die unbeabsichtigte Geste, eher ein unglücklicher Zufall, stellte sich für den Fotografen nicht als Katastrophe heraus, sondern führte zum Konzept einer Ausstellung, die in ihrer Zufälligkeit elementare Fragen aufwirft. Der Verlust seiner Jungenderinnerungen sei traurig, sagt Förster, aber nicht tragisch, denn genau dieser Verlust kann auch eine Befreiung sein, und als neue Herausforderung verstanden werden.

In drei großen Räumen zeigen die Kuratoren drei verschiedene Displays der beschädigten Fotografien. Gleich am Eingang projizieren sie die Negative an die Wand und man erahnt das Ausmaß des Schadens. Es ist nichts mehr darauf zu sehen. Farbwellen und –tropfen schmücken kunstvoll, fast poetisch die Negative. Im linken Flügel der wohlsanierten Altbaufläche hängen kleine Collagen aus Negativen, Verpackungen und Fotos mit einem dezenten Abstand voneinander entfernt. Im rechten Flügel sind auf drei Wänden die noch erhaltenen, aber verflüssigten Fotografien zu sehen. Sie hängen alle ganz nah beieinander in einer zeitlichen Abfolge wie Fotos in Fotoalben. Es sind zweifellos private Fotografien, ergeben in ihrer Gesamtheit ein biografisches und privates Archiv. Durch den Wasserschaden wirken sie wie eine andere, von der Zufälligkeit und Unvollkommenheit geprägte Welt. Die ungewollte, malerisch wirkende Rahmung romantisiert die Privatheit der Dargestellten und verfremdet sie zugleich, so dass es nicht mehr die privaten Erinnerungen eines Johannes Försters sind. Sie macht aus den Fotografien endlich Bilder.

Import Projects ist eine kuratorische Initiative der Künstlerin und Kuratorin Anja Henckel und des Kurators und Kunstkritikers Nadim Julien Samman. Der 2012 in Berlin gegründete nichtkommerzielle Projektraum versteht sich als experimentelle Plattform für zeitgenössische Kunst. Die beiden Kuratoren sind um die Erforschung der Schnittstellen zwischen Technologie, persönlicher Identität und Gemeinschaft bemüht. In ihren Räumen wollen sie zeitgenössischen Künstler versammeln, die sich etwa mit der durch das Internet geschaffenen, neuen Realität beschäftigen. Im Programm stehen neben Ausstellungen auch Performance, Symposien und Debatten zur Erkundung dieser Themen. Mit „Liquid Archive“ ist ihnen die Eröffnung eines interessanten Diskursesgelungen. So erfahren wir die Flüchtigkeit und Fragilität nicht nur analoger Fotografien als Archiv unserer Erinnerung, sondern vor allem die Vergänglichkeit der Erinnerung an sich.

Das „Liquid Archive“ ist noch bis zum 7. Dezember von Donnerstag bis Samstag und nach Vereinbarung in der Keithstraße zu sehen. Der Eintritt ist kostenlos.

Liquid Archive – Johannes Förster
IMPORT PROJECTS
Keithstraße 10
10787 Berlin
Ausstellungsdauer: 8.11. – 7. 12. 2012
Öffnungszeiten: Do – Sa 12 – 18 Uhr
import-projects.org

Vivi Kallinikou

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Titel zum Thema Johannes Förster:

Die Verflüssigung der Erinnerung
Ausstellungsbesprechung: Wie tragisch ist der Verlust fotografischer Erinnerungen? Geraten wir nicht in Beweisnot, auch wenn der Verlust fotografischer Erinnerungen nicht mit einem Verlust der Erinnerung an sich gleichzusetzen ist.

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