Anzeige
Boris Lurie

logo art-in-berlin.de
Berlin Daily 28.03.2024
Kyiv Perenniale: Connected Tour

15-18.30h: Von Ort zu Ort durch die Ausstellungen. station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf, nGbK am Alex. anmeldung[at]ngbk.de

Nicht von dieser Welt? Eine Ausstellung in der NGBK will wissen, wie Künstler forschen

von Verena Straub (06.03.2013)
vorher Abb. Nicht von dieser Welt? Eine Ausstellung in der NGBK will wissen, wie Künstler forschen


Sarah Schönfeld, LSD, Heroin, MDMA, seit 2011, Fortlaufende Serie

Gleich im ersten Raum findet man sich irgendwo zwischen Berghain und Chemielabor wieder. LSD, MDMA und Heroin hängen hier an der Wand – in Gestalt von großformatigen Tableaus, die eher an leuchtende Kristalle erinnern oder an mysteriöse Planeten, die in einer violetten Atmosphärensuppe schwimmen. Entgegen aller Vermutungen handelt sich aber nicht um tranceartige Visualisierungen unter dem Einfluss eben jener bewusstseinsverändernden Substanzen, sondern um die chemischen Versuche der Berliner Künstlerin Sarah Schönfeld. Das Video nebenan, das waagerecht wie auf einem Labortisch präsentiert wird, dokumentiert den Prozess: Auf ein belichtetes Fotopapier träufelt die Künstlerin mit einer Pipette den Drogenwirkstoff, der die entwickelte Fotoschicht chemisch verändert und das Bild transformiert. Diese „pseudo-alchemistische Reise in die Geschichte der Wirkungsweise von Drogen“ ist Teil der neu eröffneten Ausstellung „It is only a state of mind“ in der Kreuzberger NGBK, die der Rolle des Experiments in der zeitgenössischen Kunst nachspüren will.

Gerade in den letzten Jahren ist Artistic Research zum Lieblings-Mantra der Kunstszene geworden. Für die einen ist künstlerische Forschung eine Möglichkeit, die festgemauerte (und immer noch streng bewachte) Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft endlich einzureißen. Aus akademischen Reihen werden indessen immer mehr Stimmen laut, die sich gegen diese „Waffe im kuratorischen Arsenal“ wehren (z.B. Susanne von Falkenhausen über das Konzept der documenta13). Auch in den Ausstellungsräumen in der Oranienstraße wird nun fleißig geforscht, experimentiert und dokumentiert. Die Künstler begegnen uns im weißen Laborkittel mit Reagenzgläschen in der Hand (Sarah Schönfeld), machen elektromagnetische Wellen sichtbar (Annie Goh), agieren als Naturfilmer (Joao Maria Gusmao & Pedro Paiva) oder führen Tierversuche mit narkotisierten Spinnen durch (Rosemarie Trockel).

Doch was macht das Experiment eigentlich zum „künstlerischen“? Die Kuratorinnen Sonja Hempel, Michaela Richter und Susanne Weiß suchen die Antwort in den blinden Flecken der Wissenschaft: „Weitestgehend befreit von Machtstrukturen, die legitimieren, wer forschen und was beforscht werden darf, lenken die künstlerischen Positionen den Blick auf mystische und spiritistische Untersuchungsgegenstände oder hinterfragen Bereiche der psychologischen Forschung.“ So begibt sich die Künstlerin Annie Goh mit ihrer Persiflage eines „EVP maker“ (bestehend aus zwei riesigen Spiegeln, einer Menge Elektronik und Lautsprechern) auf Stimmenfang im Totenreich. Die Anhänger des sogenannten „Electronic Voice Phenomena“ glauben, dass man mithilfe dieser elektronischen Technik mit Verstorbenen kommunizieren kann – in diesem Fall lauschen wir den zufällig durchgeschüttelten und tatsächlich außerirdisch klingenden Liedfragmenten von Michael Jackson. Ein ebenso wirrer und kryptischer Text („T-F 3, das Schutzschild. Die starke mentale Explosion. O!“) sowie wild verstreute Metallbumerangs, deren Formen an aneinandergeklebte Dildos erinnern, sind die Resultate einer Séance der dänischen Künstlerin Lea Porsager mit einem litauischen Hellseher. Während Annie Goh die „Wissenschaftlichkeit“ des Experiments leichtfüßig kentert und mit Ironie füllt, wirkt Porsagers Werk mit bedeutungsschwerer Mystik vollgestopft. Wie Porsager übt sich auch Matt Mullican im Selbstversuch und tritt durch Hypnose in Kontakt mit seinem anderen Ich („That Person“), dessen Meinungen sich in Form riesiger Slogans oder kalligraphischer Linien auf bespannten Papierwänden niederschlagen. Der Künstler wird zum Psychoanalytiker und jagt sich zugleich selbst als Versuchskaninchen. Wesentlich dokumentarischer ist da der Film „After Image“ von Susan Macwilliams, der auf einer Meta-Ebene vor Augen führt wie sich Fakt und Fiktion, Glaube und Wissen fortwährend infizieren. Der Film behandelt den wissenschaftlichen Mythos, laut dem das letzte Bild auf der Netzhaut eines Sterbenden für sieben Stunden wie auf einer fotografischen Platte gespeichert bleibt. So versuchte man 1888 den letzten Blick eines Jack-The-Ripper-Opfers aus der Netzhaut zu extrahieren und sichtbar zu machen. Wo man jedoch die fiese Grimasse des Mörders erwartet hatte, war nichts zu sehen als schwarze, gähnende Leere.

Auch wenn die Ausstellung einige interessante Einzelpositionen zu bieten hat, läuft das Konzept insgesamt Gefahr, künstlerische Forschung in die Ecke des Esoterischen abzuschieben. Angesichts all dieser para-natürlichen und pseudo-wissenschaftlichen Kuriositäten erinnert die Ausstellung an manchen Stellen eher an eine Messe für okkultistisches Wissen denn an künstlerische Laboratorien. Handelt es sich hier nicht um eine erneute Grenzziehung zwischen einer „seriösen“ Wissenschaft und einer künstlerischen Forschung, die hier explizit als nicht-wissenschaftlich und spiritistisch präsentiert wird? Gerade um die Artistic Research zu verteidigen und Vorurteile, bzw. Missverständnisse zu vermeiden, hätten die Kuratorinnen gut daran getan, ihren Schwerpunkt anderswo zu legen als auf Alchemie und Totenbeschwörung.

„It is only a state of mind“: 2. März – 3. April 2013

Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V.
Oranienstraße 25
10999 Berlin
www.ngbk.de
Öffnungszeiten: Sa-Mi: 12-19 Uhr, Do: geschlossen, Fr: 12-18.30 Uhr

Verena Straub

weitere Artikel von Verena Straub

Newsletter bestellen




top

Titel zum Thema Forschen:

Künstlerisches Forschen
Ausschreibung: Die Berliner Senatsverwaltung hat ein neues Förderprogramm für Künstlerisches Forschen ausgeschrieben. Bewerbungsfrist ist der 24.2.2020.

Nicht von dieser Welt? Eine Ausstellung in der NGBK will wissen, wie Künstler forschen
Ausstellungsbesprechung: Gleich im ersten Raum findet man sich irgendwo zwischen Berghain und Chemielabor wieder. LSD, MDMA und Heroin hängen hier an der Wand – in Gestalt von großformatigen Tableaus, ...

top

zur Startseite

Anzeige
Alles zur KI Bildgenese

Anzeige
Responsive image

Anzeige
SPREEPARK ARTSPACE

Anzeige
Magdeburg unverschämt REBELLISCH

Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Galerie im Saalbau




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Verein Berliner Künstler




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Akademie der Künste / Hanseatenweg




© 1999 - 2023, art-in-berlin.de Kunstagentur Thomessen Hartlieb-Kühn GbR.