Anzeige
Boris Lurie

logo art-in-berlin.de
Berlin Daily 25.04.2024
Künstlerinnengespräch

19 Uhr: moderiert von Helen Adkins imRahmen der Ausstellung "approaching world" mit Arbeiten von Birgit Cauer, Nathalia Favaro, Kati Gausmann, Juliane Laitzsch und Muriel Valat-B. Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten | Turmstr. 75 | 10551 B

Weibliche Perspektiven – secondhome projects

von Inge Pett (19.05.2014)
vorher Abb. Weibliche Perspektiven – secondhome projects

Nänzi, Rachefurie, Gips, 2010, 35 x 45 x 40 cm

Nänzi: „I am an artist der ´Ich` sagt“

„Sie gab sich hin. Bedingungslos. Im Leben und in der Kunst. Und war dadurch stark. Aber auch unendlich verletzlich“. Mit diesen Worten charakterisiert Dietmar H. Heddram seine Lebensgefährtin Sybille Reichert, genannt „Nänzi“, die im vergangen November unerwartet verstarb. Im Alter von nur 51 Jahren. Eine Skulpturenausstellung mit dem Titel „Die Menschen, die ich war“ – kuratiert von Helen Adkins - ist bis zum 28. Juni in den Räumen von „secondhome projects“ in der Oudenarder Straße 29 in Wedding zu sehen.

In einem von Heddram gestalteten Raum glaubt man nach einer Weile, die verstorbene Bildhauerin persönlich gekannt zu haben. „So sah ihre Wohnung aus“, erklärt Heddram. „Wie ein lebendiges Notizbuch“. Jeden Tag habe sie etwas verändert, Persönliches nie versteckt. Über und über sind auch die Wände des Galerieraumes bedeckt: mit Zeichnungen, Zeitungsausschnitten, einer afrikanischen Maske, einer Karikatur, in der Nänzi schildert, wie sie artig bei der Galerie Michael Schulz vorsprach – und von dem Kunsthändler höflich, aber bestimmt abgewiesen wurde.

Direkt, brutal, erotisch, obszön, einige Zeichnungen ausgeführt mit Menstruationsblut – die Distanzlosigkeit vieler der zur Schau gestellten Selbstoffenbarungen ist nicht leicht zu verkraften. Unvermittelt wird der Betrachter in einen fremden Kosmos katapultiert. Neben höchstpersönlichen Statements hängen die Abbildungen einer Pietà an der Wand, unzählige Skizzen der Nofretete, Zeitungsmeldungen, die Nänzi inspirierten. Viele diese Gedanken-„Schnipsel“ sind ganz offensichtlich in die Arbeiten eingeflossen.

Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Heilbronn hatte es Nänzi in die Metropole Berlin gezogen, wo sie sich neu erfinden und ausleben konnte – und dies auch immer wieder tat. Mal als Punk, mal als Femme Fatale, mal mit ironischer Kaltschnäuzigkeit, mal als Seelchen. „Eine Mischung aus Rotzigkeit wie bei Zille und Sinnlichkeit wie bei Niki de Saint Phalle“, bringt Adkins die Ambivalenz der außergewöhnlichen Persönlichkeit auf den Punkt.

Spannungsreich sind auch die Figuren - viele eine Kombination aus Puppe und Skulptur. „Minna muss zum Film“ lautet die groteske Darstellung zweier halbentblößter dicker Frauen aus Keramik von 2010 mit Schwarzwaldhüten - und Huhn. „Lüsterweibchen“ finden sich auf den Sockeln, „Häwi Mädel“ und eine „Rüsselvenus“. Eine „Rachefurie“ hinterlässt ein Blutbad – komplett außer Kontrolle. Völlig bei sich hingegen ist eine Figur im Yoga-Sitz – ein Selbstporträt der Künstlerin. Und bei allen diesen gegensätzlichen Darstellungen und unzähligen Facetten des Frauseins geht die Intensität des Gesichtsausdrucks dem Betrachter unter die Haut.

„Indem ich modelliere, setzte ich mich vornehmlich mit inneren Konflikten, mit der Kunstgeschichte, und mit Erfahrungen mit dem ‚anderen Geschlecht‘ auseinander“, hatte Nänzi selber sich kurz vor ihrem Tod zu ihrer Kunst geäußert. Ihre Themen: „Mann, Frau, Sex, wirre Haare, nacktes Fleisch, Verletzlichkeit …“.

Zum Konzept von secondhome gehört es, zwei Künstler parallel in zwei benachbarten Räumlichkeiten zu präsentieren. Miray Seramet, die Organisatorin des Projektes, lädt zu diesem Zweck einen Kurator – in diesem Fall Helen Adkins - ein, der wiederum zwei Künstler auswählt. Das besondere diesmal: Neben Nänzi wählte Adkins Miray Seramet aus, die selber als Künstlerin tätig ist. Mit der Ausstellung „Liebe ist…“ ist Seramet somit Gast in ihren eigenen Räumen in der Reinickendorfer Straße 66.

Miray Seramet, Den 20, Schöne Herrscherin, Nylons, Maurerschnur, gestrickt, 102 x 15 x 2 cm, 2009

Miray Seramet: „Liebe ist…“

Um Gegensätze geht es auch in den Arbeiten der 1971 geborenen Künstlerin Miray Seramet, die sich selber als „Nylon-Fetischistin“ bezeichnet. „Mich fasziniert es, wie das scheinbar Schwache sich als stark erweist und umgekehrt“. Mit dieser Metapher spielt Seramet gekonnt. So umfasst die ausgebildete Textildesignerin mit der Nähmaschine zarte Nylonstrümpfe mit Maurerschnur und beobachtet, wie sich in den so entstandenen Gebilden der Druck verteilt.

Als Kind eines türkischen Einwanderers der ersten Generation und einer „70er-Jahre-Mutter im Mini-Rock“ sei sie scheinbar unvereinbare Gegensätze gewohnt gewesen. Und diese hätten sie oft gestresst, bekennt Seramet. In ihrer Arbeit lässt sie die Einflüsse beider Kulturen erkennen.

In der Wandinstallation „Gretchen in der Stube“ bezieht sie sich auf die Stelle aus Goethes Faust, in dem Gretchen beklagt, ihre Ruhe sei dahin. „Das ist meine Lieblingsstelle, denn hier geht es um pure Leidenschaft“. Seramet präsentiert in der Wandarbeit verschiedene Paare gefüllter Socken. Dabei handelt es sich um Objekte zwischen Sexshop-Zubehör und Kuscheltieren. Das Fell von Fuchs und Hase, Feinden in freier Wildbahn, kommt hier gleichermaßen zum Einsatz. Die Arbeiten sind sinnlich und frech, sentimental und humorvoll gleichermaßen.

„Das Leben gehört zusammen“, habe ihr Vater immer gesagt, grammatikalisch zwar nicht ganz korrekt, aber dafür mit umso mehr Überzeugung. Ihm ist die gleichnamige Arbeit gewidmet: Zwei prall mit Schafwolle ausgestopfte Stützstrümpfe lehnen aneinander in einem Karton. Beide tragen ein Stück Federboa um den „Hals“ und nur aufgrund ihrer Haltung ist klar, welcher das männliche und welcher das weibliche Prinzip vertritt.

In einer anderen Arbeit haben Faust und Gretchen geheiratet. Ob sie glücklich geworden seien? „Natürlich“, bestätigt die Künstlerin. Wie es eben, wenn es denn gut geht, mit der Liebe ist…

Ausstellungsdauer: 17. Mai – 28. Juni 2014

Öffnungszeiten: Fr/ Sa 15-18 Uhr und nach Vereinbarung 0176/ 38029579

secondhome projects
Reinickendorferstr. 66 / Oudenarderstr. 29
13347 Wedding
oursecondhome.de/projects/

Inge Pett

weitere Artikel von Inge Pett

Newsletter bestellen




top

Titel zum Thema :

artspring berlin 2024 - Zeige deine W_nde
Zum achten Mal lädt artspring berlin vom 3. Mai bis 2. Juni mit zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen zu einem Monat voller Kreativität ein, der die vielen Gesichter der Pankower Kunstwelt präsentiert. (Sponsored Content)

Das Beste rund um das Gallery Weekend Berlin
Am Mittwoch haben wir auf die persönlichen Highlights hingewiesen, heute folgt unsere Auswahl, die rund um das Gallery Weekend stattfinden.

Schritt für Schritt in Richtung Zukunft. UTOPIA – Keep on Moving in der Akademie der Künste
Besprechung

20. Gallery Weekend Berlin
Bereits zum 20. Mal findet am kommenden Wochenende das Berliner Gallery Weekend statt. Hier unsere persönliche Auswahl ...

Mentoring-Programm für Disabled Leadership
Ausschreibung für Künstlerinnen, Künstler oder Kulturschaffende mit Behinderung

berlin daily (bis 28.4.2024)
Unsere Tipps für die Woche ...

paper positions berlin 2024
Kurzinfo

Die Aneignung der Steine. Lucy Ravens Film-Installation in der Neuen Nationalgalerie
Nur noch bis morgen.
--> Besprechung

Justus Bier Preis für Kurator*innen
Preise: Der mit 5.000 € dotierte Justus Bier Preis für Kurator*innen geht in diesem Jahr an die Kuratorinnen Nóra Lukács und Melanie Roumiguière zusammen mit dem Projektteam ...

Kakophonie auf Augenhöhe. „Estuaries“ von Naama Tsabar im Hamburger Bahnhof
Ausstellungsbesprechung: Bässe dröhnen, ein Frauenchor schreit durch die Lautsprecher und ein Mann mit Hut zupft engagiert an den aufgespannten Saiten einer blauen Filzskulptur an der schwarzen Wand. ...

Tiemann-Preis zum zweiten Mal ausgeschrieben
Ausschreibung: Noch bis 30. April sind 2024 Museen aufgerufen, sich um den Preis zum Ankauf zeitgenössischer Malerei zu bewerben.

Ein europäisches Kulturfestival auf Rädern: Der Kulturzug Berlin und Wrocław
Nachricht: Eine perfekte Reisemöglichkeit von Berlin nach Wrocław (Breslau) und umgekehrt zu fahren, bietet der sogenannte Kulturzug.

Ruinart Maison 1729 – From Champagne Vineyards to Berlin (25. April bis 29. April)
Während des Gallery Weekend lässt sich exklusiv das facettenreiche Universum von Ruinart am Tacheles in Berlin-Mitte genussvoll entdecken. (sponsored content)

berlin daily (bis 21. April 2024)
Unsere Tipps für die Woche ...

Stephan Erfurt von C/O Berlin und der Galerist Werner Tammen ausgezeichnet
2 Personalien

top

zur Startseite

Anzeige
Responsive image

Anzeige
artspring berlin 2024

Anzeige
Alles zur KI Bildgenese

Anzeige
Magdeburg unverschämt REBELLISCH

Anzeige
SPREEPARK ARTSPACE

Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
ifa-Galerie Berlin




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Haus am Kleistpark




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Haus am Lützowplatz / Studiogalerie




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin




© 1999 - 2023, art-in-berlin.de Kunstagentur Thomessen Hartlieb-Kühn GbR.