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Auf der Suche nach dem Nichts. Christoph Keller in der Schering Stiftung

von Verena Straub (11.07.2014)
vorher Abb. Auf der Suche nach dem Nichts. Christoph Keller in der Schering Stiftung

„Small Survey on Nothingness“ von Christoph Keller, Foto: Uta Protzmann, © Christoph Keller und Schering Stiftung

Auf einmal liegt es vor uns: das Nichts. Und zwar ganz kompakt, auf einem beleuchteten Sockel. Eingefangen in einem durchsichtigen Glasgefäß wirkt das Unerklärliche überraschend zahm und handhabbar. Das Nichts in einer Flasche? Die wasserklare Flüssigkeit entpuppt sich als „Äther“ – ein Narkotikum, das den Bewusstseinszustand verändert. Eine chemische Verbindung, die das eigene Selbst betäubt, überwindet, auslöscht. Mit einigen Millilitern Äther beginnt die „kleine Untersuchung des Nichts“, eine „Small Survey on Nothingness“, die Christoph Keller im Raum der Schering Stiftung unternimmt.

Was hier unscheinbar in einem kleinen Fläschchen auf dem Sockel liegt, dient dem Künstler als Stichwortgeber und Motiv für die Ausstellung. Seit der Antike wabert die Vorstellung von Äther als Metapher für das Nichts durch die Wissenschafts- und Ideengeschichte (und lässt einen fast so benebelt zurück wie das gleichnamige Narkotikum). In der griechischen Mythologie bezeichnete Äther einen „oberen Himmel“ als Bindeglied zwischen Gott und Mensch. Später galt Äther als das fünfte Element, masselos, unveränderlich und ewig. Auch in der Physik wurde Äther als Erklärungskonzept für offene Fragen herangezogen und galt lange Zeit als unsichtbares Trägermedium für Licht. 1881 versuchte der Physiker Albert A. Michelson eben jenen Lichtäther experimentell nachzuweisen. Der Versuch scheiterte, ebnete damit den Weg für Einsteins Relativitätstheorie und verbannte den Äther scheinbar endgültig aus den Physiklaboren.


„Small Survey on Nothingness“ von Christoph Keller, Foto: Uta Protzmann, © Christoph Keller und Schering Stiftung

Aber nur scheinbar. Denn mit seinem Selbstversuch bringt Christoph Keller den Äther nun in Michelsons Labor zurück. In einem sieben Minuten langen Video beobachten wir den Künstler dabei, wie er neben der sperrigen Experimentieranordnung von 1881 im Astrophysikalischen Observatorium in Potsdam steht und dabei fleißig Äther schnüffelt. Wenn auch nicht den von Michelson gesuchten Lichtäther, sondern dessen narkotisierenden Namensvetter. Dabei tränkt Keller das vor die Nase gehaltene Baumwolltuch immer wieder neu mit der Flüssigkeit, bis er taumelt, schwankt und umzukippen droht. Schon in früheren Arbeiten hat sich Keller zum Versuchsobjekt gemacht. Für „Visiting a Contemporary Art Museum under Hypnosis“ (2006) ließ er sich beispielsweise hypnotisieren, um in bewusstseinsverändertem Zustand die Werke in einem imaginären Museum zu beschreiben.

Mit seiner metaphorischen Neuauflage von Michelsons Experiment scheint Keller einen späten Nachweis für die Existenz von Äther zu liefern. Zumindest ein Nachweis dafür, dass die Frage danach allgegenwärtig ist. Aus der Physik verbannt, erlebte der Äther zunächst ein Revival in der modernen Theosophie und im Okkultismus und wurde nun beim Menschen gesucht. Und zwar in dessen „ätherischem Körper“, der den sichtbaren Körper beim Träumen oder unter Hypnose verlassen kann (oder eben unter Äther-Narkose). Doch selbst in den Physiklaboren scheint die Frage nach dem Unerklärlichen in neuer Form wieder aufzutauchen. Das zeigt die zweite Videoarbeit der Ausstellung, in der Christoph Keller neben Philosophen, Kulturwissenschaftlern und Psychologen auch die Physiker des CERN nach deren Verständnis vom „Nichts“ befragt.

„Small Survey on Nothingness“ von Christoph Keller, Foto: Uta Protzmann, © Christoph Keller und Schering Stiftungg

Wo steckt er nun, der Äther? Das Nichts – wenn nicht im Glasflakon? Wenn es nach den Wissenschaftlern geht: irgendwie überall und nirgends. Das Nichts im Vakuum gibt es nicht, so der Mathematiker Diego Blas. Auch die Zahl Null ist immer abhängig vom jeweiligen Kontext. Und das Higgs-Feld? Auch das basiert auf der Annahme nach etwas Unsichtbaren, eben wie der Äther. Oder wie Schwarze Löcher. Alles ist Äther, alles entsteht aus dem Äther, so der Philosoph Detlef Thiel: „Der Äther ist die Bedingung für die Möglichkeit von Erfahrung“.

Für ätherische Erfahrungen ist in der Ausstellung jedenfalls gesorgt. Auf Nachfrage erhält jeder Besucher ein Wattepad und darf den halluzinogenen Duft des Äthers selbst inhalieren. Benebelnd und bewusstseinserweiternd funktioniert die Ausstellung aber auch ohne Narkotikum. Im besten Sinne.

Christoph Keller, „Small Survey on Nothingness“
Laufzeit der Ausstellung: 7. Juli - 4. Oktober 2014

Schering Stiftung
Unter den Linden 32-34, 10117 Berlin
Öffnungszeiten: Täglich (außer Di und So), 12-19 Uhr. Eintritt frei.
Führungen: Jeden Donnerstag, 18 Uhr
scheringstiftung.de/

Verena Straub

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Ausstellungsbesprechung: Auf einmal liegt es vor uns: das Nichts. Und zwar ganz kompakt, auf einem beleuchteten Sockel. Eingefangen in einem durchsichtigen Glasgefäß wirkt das Unerklärliche überraschend zahm und handhabbar.

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