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„Der Künstler als Waise“ - Moshe Gershuni in der Neuen Nationalgalerie

von Dr. Inge Pett (13.09.2014)
vorher Abb. „Der Künstler als Waise“ - Moshe Gershuni in der Neuen Nationalgalerie

Moshe Gershuni, Ich bin Soldat, 1980, 70 x 100 cm, Glasfarbe, Industrielack und verschiedene Materialien auf ungestrichenem Papier, © Moshe Gershuni, courtesy Givon Art Gallery Tel Aviv

„Und hatt´ kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt“, erzählte die Großmutter die Geschichte des armen Kindes, dem weder die Erde noch die Gestirne eine Heimat bieten konnten: „Und es war ganz allein. Und da hat sich´s hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein.“

Diese Textpassage aus Büchners Dramenfragment „Woyzeck“ ließ den Künstler Moshe Gershuni nicht mehr los und inspirierte ihn 1998 zum Bilderzyklus „No Father. No Mother“. Bis zum 31. Dezember zeigt die Neue Nationalgalerie eine Retrospektive mit gleichem Titel – die erste Einzelausstellung eines israelischen Künstlers im Mies van der Rohe-Bau überhaupt. „Kaum ein Ort könnte inhaltlich und räumlich enger die Kunst und die Geschichte des 20. Jahrhunderts zusammenbringen“, betont Gabriele Quandt, Vorsitzende des Vereins der Freunde der Nationalgalerie.

Moshe Gershuni, Kein Vater und keine Mutter, 1998, 106 x 75 cm, verschiedene Techniken auf Papier, © Moshe Gershuni, courtesy Givon Art Gallery Tel Aviv

Der 1936 in Tel Aviv geborene Moshe Gershuni – am 11. September, dem Tag der Pressekonferenz, wurde er 78 Jahre alt - hatte seine Laufbahn als Konzeptkünstler gestartet und u. a. gemeinsam mit Micha Ullman 1980 Israel auf der Biennale in Venedig vertreten. In den 80er-Jahren jedoch besann er sich auf seine jüdische Identität und verstand sich zunehmend in der Rolle des „Künstlers als Waise“, wie Co-Kurator Ory Dessau unterstrich. Gershuni konzentrierte sich fortan auf expressive Malerei, die er mit Zitaten und Schriftzeichen kombinierte.

„Wer ist Zionist und wer nicht“ steht in großen hebräischen Lettern an der Wand. Bereits beim Eintritt wird dem Besucher hier abverlangt, um eine eigene Position zu ringen. Die Arbeit, die 1979 entstand, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis von hoher politischer Brisanz.

Die düstere graue Leinwandarbeit „Gab ihre Seele auf“ (2006) ist mit Einritzungen versehen, hat trotz der toten Farben – Acrylgel und schwarze Sprühfarbe - eine lebendige, haptisch anmutende Oberflächenstruktur. Ganz anders die intensive Farbigkeit und augenfällige Virtuosität der Arbeit „Dona Nobis Pacem“ (1996). „Gott voll Erbarmen, in der Himmelshöhe thronend, schenke uns Frieden“, steht auf Hebräisch geschrieben; eine deutsche Übersetzung ist neben dem Werk zu finden.

Mit Industrielack und Pigmenten hat Gershuni ein Inferno aus Rottönen inszeniert, weckt Assoziationen von Feuer und Blut. Die pastos aufgetragene Farbe erinnert an einen ausbrechenden Vulkan, ist an einigen Stellen jedoch durchscheinend, lässt eine hintergründige Ebene durchblicken.

Dabei ging Gershunis Prozess der Malerei nicht selten in eine Performance über. In vielen Arbeiten der 80er und 90 er Jahre hat der Künstler Papierbögen auf dem Boden ausgebreitet und kniend die tropfende blutrote Farbe mit bloßen Händen auf dem Bildgrund verteilt – exzessiv, einem Opferritual gleich.

Moshe Gershuni, Jerusalemer Nächte, 1985, 140 x 200 cm, Glasfarbe, Industrielack und verschiedene Materialien auf gestrichenem Papier, © Moshe Gershuni, courtesy Givon Art Gallery Tel Aviv

Mit zahlreichen Symbolen versehen ist die Papierarbeit „Jerusalemer Nächte“ von 1985. Unter anderem ist hier der Davidsstern auszumachen sowie der islamische Stern und Halbmond (Hilal). Die Monde sind schwarz, wie überhaupt die Stimmung changiert zwischen Bedrohung und Helligkeit, die an einzelnen Stellen zaghaft durch das Dunkel dringt. In anderen Arbeiten findet sich das Hakenkreuz und immer wieder spielt die heilige Zahl Acht eine Rolle, die in der Kabbala, der jüdischen Zahlenmystik, für den achten Schöpfungstag sowie die Neuschöpfung des Menschen, steht.

„Trotz der hebräischen Schriftzeichen und Bezüge zum Judentum kann das Werk universell gelesen werden“, betont Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie und Ausstellungskurator. Das Werk halte sich nicht an Formalien der Kunstgeschichte auf, sondern sei vor allem biografisch zu lesen: „Es ist zutiefst humanistisch.“

Nach der R. B. Kitaj-Retrospektive im Jüdischen Museum 2012-13 ist es die zweite große Berliner Einzelausstellung, die einen Maler ehrt, der seine jüdische Identität und Geschichte reflektiert. „Wer ist Zionist und wer nicht“ so die polarisierende Eingangsfrage Gershunis. Diese 2014 in der Mitte Berlins - vor dem Hintergrund des jüngsten Nahost-Konflikts - zu stellen, wird zum Nachdenken anregen und sicher auch zum kontroversen Debattieren. Also genau zu dem, was Kunst heute leisten soll.

Moshe Gershuni. No Father No Mother
13. September – 31. Dezember 2014

Neue Nationalgalerie
Kulturforum
Potsdamer Str. 50
10785 Berlin
http://www.moshegershuniinberlin.de/

Öffnungszeiten
Di, Mi, Fr 10–18 Uhr
Do 10–20 Uhr
Sa, So 11–18 Uhr
Mo geschlossen

Dr. Inge Pett

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„Der Künstler als Waise“ - Moshe Gershuni in der Neuen Nationalgalerie
Ausstellungsbesprechung: „Wer ist Zionist und wer nicht“ steht in großen hebräischen Lettern an der Wand. Bereits beim Eintritt wird dem Besucher hier abverlangt, um eine eigene Position zu ringen.

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