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Zwei Minuten Arbeit - Videoprojekt von Antje Ehmann und Harun Farocki

von Dr. Barbara Borek (06.04.2015)
vorher Abb. Zwei Minuten Arbeit - Videoprojekt von Antje Ehmann und Harun Farocki

Wer was wie arbeitet?, Kids&Teens-Workshop mit Maria Mohr und Stefanie Schlüter, 7.-8.3.2015, © Mathilde Frieda Lüderitz Venza

Die Ausstellung „Eine Einstellung zur Arbeit“ im Haus der Kulturen der Welt wirft in einem groß angelegten Videoprojekt von Antje Ehmann und Harun Farocki sehr leise und eindrücklich Blicke auf die globalen Arbeitsverhältnisse.

Der Mann sitzt in einem Sessel, leger gekleidet. Hinter ihm Bücher, neben ihm ein erleuchteter Globus. Er liest und blättert in einem Band, einen Stift in der Hand, denkt nach, notiert etwas. (Aleksandra Hirszfeld. Philosoph, Lodz 2013) Ein müdes Gesicht schaut in die Kamera, wendet den Blick nach unten, Dampf steigt auf. Der Arbeiter in einer Wäscherei tätigt sich immer wiederholende Handgriffe. (Florencia Percia, Wäscherei, Buenos Aires 2013) Die junge Frau kontrolliert die vor ihr liegenden Hosen gründlich, entfernt überstehende Fäden und faltet sie akkurat zusammen. Eine nach der anderen, mit schnellen, präzisen Bewegungen. (Amy Van Houten, Geschickte Finger, Johannesburg 2014).

Dies sind drei Beispiele aus einer Serie von 400 Kurzvideos über die arbeitende Bevölkerung, entstanden in dem Projekt Labour in a Single Shot. Auf Einladung des Goethe-Institutes gaben Ehmann und Farocki von 2011 bis 2014 Filmworkshops, in fünfzehn Städten auf fünf Kontinenten. Gearbeitet wird weltweit, in Dörfern, Klein- und Großstädten, sitzend, stehend, laufend, fahrend. Doch was bedeutet Arbeit heute? Wie haben sich die Arbeitsbedingungen verändert? Welchen Einfluss hat die Globalisierung? Das Projekt gibt keine Antworten, vielmehr verdichten sich die Videos zu einer filmischen Enzyklopädie (eine-einstellung-zur-arbeit.net) globaler Arbeitsverhältnisse.


Beton, Rio de Janeiro 2012, Filmstill, © Cristián Silva-Avária

„Die erste Kamera in der Geschichte des Films war auf eine Fabrik gerichtet – und auf diese erste Filmsequenz kam Harun Farocki in seinem Nachdenken über den Film immer wieder zurück“, sagt Antje Ehmann, Partnerin und Ehefrau des im vergangenen Sommer verstorbenen Künstlers, Autors und Filmemachers Harocki (1944-2014). „Das Thema Arbeit war in seinem künstlerischen Werk und in seinen Filmen stets präsent.“ Im genannten Filmklassiker (Arbeiter verlassen die Lumière-Werke, 1895) hielten die Gebrüder Lumière während der Mittagspause das Eingangstor der elterlichen Fabrik fest. Diese Einstellung übernahm Harocki und gab den Teilnehmern der Workshops strenge formale Vorgaben: Jeder Film darf nicht länger als zwei Minuten sein. Er muss von Arbeit handeln. Er darf keinen Schnitt enthalten.

90 dieser Filmminiaturen wählte Antje Ehmann für das HKW aus, präsentiert in einem Raumkonzept des Architekturbüros Kuehn Malvezzi. Leinwände hängen in der abgedunkelten Ausstellungshalle und zeigen die großflächigen Projektionen der Workshop Filme. Die oftmals sich wiederholenden Arbeitsabläufe, die Geräuschkulisse der Werkstätten und Fabriken, die Blicke der Arbeitenden – ohne Kommentar und Worte sprechen die Sequenzen für sich und mit den Betrachtern. Ein Vorhang trennt die Filme von weiteren 15 Videos, die in einem Halbkreis präsentiert werden. Es sind quasi Aktualisierungen des Lumière-Films: Frauen und Männer verlassen ihre Arbeitsplätze, ebenfalls in den 15 Produktionsorten von Bangalore über Cairo und Hanoi bis nach Tel Aviv. Ergänzt werden die Filme von informativen Piktogrammen, gestaltet von den Künstlern Alice Creischer und Andreas Siekmann. Sie waren eingeladen, die Stationen des Projektes zu begleiten, erstellten Statistiken, die in der Ausstellungszeitung dokumentiert werden.


Ausstellungsansicht, Eröffnung 26.2.2015, 18h, © Aya Schamoni / Haus der Kulturen der Welt

Auch im Foyer der ehemaligen Kongresshalle setzen sich Farockis Studien über die Veränderungen von Arbeit im Lauf der Zeit mit der Videoinstallation „Arbeiter verlassen die Fabrik in elf Jahrzehnten“ (2006) fort. Ehmann und Farocki führen mit ihrem statischen Kamerablick auf die Bewegungen zur Frage: Wo beginnt Arbeit, wo endet sie? Für eine immer größere Zahl von Menschen weltweit ist die geregelte Erwerbsarbeit als Idee des 19. Jahrhunderts nicht oder nicht mehr Realität. Im Jahr 2030, so der Historiker Andreas Eckert, Direktor des Internationalen Geisteswissenschaftlichen Forschungskollegs re:work, werden befristete Arbeitsverträge und Teilzeit auch in Deutschland „normal“ sein. In vielen Gesellschaften existierten schon immer sehr unterschiedliche Beschäftigungs- und Arbeitsformen, seit einiger Zeit unter der Kategorie „informelle Arbeit“ zusammengefasst. Diese ist wenig geregelt, geschützt oder organisiert.

Die Ausstellung nimmt die globalen Arbeitsverhältnisse im 21. Jahrhundert in den Blick, führt über die Filme und ein begleitendes Workshop Programm in die moderne Definition von Arbeit. Haben die Menschen keine berufliche Tätigkeit, so verfallen sie, zumeist in Westeuropa und den USA, eher in eine existenzielle Krise. Die im Projekt von Ehmann und Farocki in Zusammenarbeit mit Filmemachern und Künstlern entstandenen Videos zeigen die Choreographie der Arbeitsabläufe, die für die Mehrheit der Menschen nach wie vor zuallererst materielle Absicherung bedeutet.

Eine Einstellung zur Arbeit / Labour in a Single Shot
Ein Projekt von Antje Ehmann und Harun Farocki
bis 6. April 2015

Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin

täglich außer Di. 11-19 Uhr
hkw.de

Dr. Barbara Borek

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