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Konversation mit Ann Lee. Tino Sehgal im Berliner Martin-Gropius-Bau

von Inge Pett (28.06.2015)
vorher Abb. Konversation mit Ann Lee. Tino Sehgal im Berliner Martin-Gropius-Bau

Tino Sehgal, © Mathias Völzke

Im Lichthof des Martin-Gropius-Baus liegen zwei Pärchen eng umschlungen. Sie umarmen einander, küssen sich, mal übernimmt der Mann den Part der Frau, mal die Frau die männliche Rolle. Viele werden sich erinnern: „Kiss“ so der Titel der Raumsituation von Tino Sehgal, die aus dem Jahre 2002 stammt, war bereits 2006 auf der 4. Berlin Biennale zu sehen. Die Skulptur Cicciolina von Jeff Koons hätte den Künstler ebenso dazu inspiriert wie die Liebespaare Rodins. Er wolle jedoch „verkörpern“, dass jeder Mensch sowohl männliche wie weibliche Anteile habe, die je nach kulturellem Umfeld stärker ausgelebt werden.

Mit insgesamt fünf Arbeiten bespielt der 1979 in London geborene Sehgal bis zum 8. August das gesamte Untergeschoss des Martin-Gropius-Baus. In Berlin ist es die erste große Ausstellung des hier lebenden Künstlers, der in international renommierten Häusern wie der Londoner Tate Modern Gallery oder dem Guggenheim Museum New York ausgestellt hat und seine Arbeiten auf der Venedig Biennale oder der documenta 13 zu sehen waren.

„Das war längst überfällig“, erklärt Thomas Oberender. „Sehgal bildet keine Realität ab, sondern führt sie herbei“, erklärt der Geschäftsführer der Berliner Festspiele. Konsequent stelle Sehgal, der in Essen und Berlin die erstaunliche Fächerkombination von Tanz und Volkswirtschaftslehre studiert hat, in seinem „Museum der Gefühle“ der Idee von Repräsentation das Leben gegenüber. Wer sich ein Bild machen möchte, muss sich auf die bilateralen Situationen einlassen. Und das während der normalen musealen Öffnungszeiten. Fotografieren ist - wie immer bei Sehgal - verboten, einen Katalog gibt es nicht.

Warum diese Zurückhaltung? Sehgal bezieht das auf seine Kindheit in Böblingen. In der schwäbischen Autostadt habe sich alles um Dinge gedreht. Daher beschäftigte er sich sehr früh mit der Frage „Was gibt es anstatt eines Objektes?“. Als junger Mann in Berlin war er vor allem von Einar Schleefs Aufführungen am Berliner Ensemble beeinflusst oder von Christoph Schlingensief an der Volksbühne: „Ich dachte mir, größer geht es nicht“. Inzwischen wird Sehgal selbst weltweit gefeiert. Er animiert Menschen zur Interaktion, verblüfft sie, bringt sie ins Gespräch, lässt sie sich selber wahrnehmen.

Links vom Lichthof des Martin-Gropius-Baus führt eine freundliche Dame in einen dunklen Raum. Die Erinnerung an die documenta 13 wird wach, wo die Arbeit ebenfalls zu erleben war. Ein unheimliches Gefühl stellt sich ein, denn eine gefühlte Ewigkeit tut sich erstmal gar nichts. Schwarz, nichts als Schwarz: Augen und Ohren brauchen ihre Zeit, die Situation zu erfassen. Irgendwo rechts rezitiert eine männliche Stimme einen Text, bis plötzlich die sanfte Stimme der Frau erklingt und fragt, ob alles in Ordnung sei. Dann wieder nichts, bis plötzlich eine Hand – wessen Hand? – sekundenlang zart über den Oberarm streift. Angenehm oder nicht? Irgendwie beides. Aber der Kontrollverlust fällt schwer. Unwillkürlich kommt der Gedanke an kindliche Geisterbahnfahrten auf. Irgendwann sind die Augen auf das Dunkel eingestellt und ahnen den Ausgang - die Füße haben es plötzlich sehr eilig.

Auf eine andere Art unheimlich ist auch die Begegnung mit Ann Lee. In einem weiteren Raum wird der Besucher von einem Mädchen begrüßt, höchstens zwölf Jahre alt. Das Kind mit den Sneakers schaut den Neuankömmling an und stellt sich vor. Erst sei es zweidimensional gewesen, dann drei- und schließlich vierdimensional. „I wanted to be individual, embodied, incorporated“ erklärt Ann Lee mit starrem Blick und robotermäßigen Bewegungen. „I like that word, don’t you?“ fragt sie unvermittelt. Zweimal wiederholt sie mit leichten Variationen ihren Monolog, begrüßt die Eintretenden. „Was ist die Verbindung zwischen Kunst und Melancholie?“ möchte sie wissen. Und ob der Besucher zu busy oder zu wenig busy sei momentan. Dann die Überraschung: Eine zweite Ann Lee tritt ein und übernimmt denselben Part. Ann Lee I. erzählt die Geschichte ihrer Menschwerdung derweil im Nebensaal. Es ist eine reife schauspielerische Leistung, die die beiden Kinder vollbringen. Sie zum Lachen zu bringen dürfte so unmöglich sein wie bei den Guards vor dem Buckingham Palace.

Draußen im Lichthof sind die Pärchen verschwunden. Ganz normaler Publikumsverkehr findet dort statt. Doch das scheint nur so. Plötzlich beginnt die Frau vor der Treppe an zu singen, ebenso der Mann an der Säule. Immer mehr Sänger werden es, bis der gesamte Hof von einem chorartigen Gesang erfüllt ist. Und die Besucher, die sich äußerlich nicht von den Akteuren unterscheiden? Manchmal sängen diese mit, erklärt Sehgal. Ihm persönlich gefiele das natürlich außerordentlich gut – auch wenn ein falsch eingehaltener Takt die vierzehn Tänzer und Sänger bisweilen vor große Herausforderungen stellten.

Öffnungszeiten
Mittwoch bis Montag 10:00–19:00
Dienstag geschlossen
Die Kasse schließt um 18:30.

Martin-Gropius-Bau Berlin
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin [Lageplan]
Tel +49 30 254 86-0
gropiusbau.de






Inge Pett

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