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FRANCOFONIA von Alexander Sokurov

von Inge Pett (10.01.2016)
vorher Abb. FRANCOFONIA  von Alexander Sokurov

© Piffl Medien, Courtesy höhne.presse

„C´est moi“. Stolzen Schrittes durchquert Napoleon Bonaparte den Saal des Louvre und deutet mit eitler Geste auf Jacques-Louis Davids Bild „Die Krönung in Notre Dame“. Das pathetische Historiengemälde zeigt die Krönung des Feldherren zum Kaiser. „Liberté, égalité, fraternité“ ruft eine Frau im langen Kleid und rotem Tuch aus, das sie einem Piraten gleich um den Kopf gebunden hat: Marianne, die Nationalfigur der Französischen Republik. Sie scheint unmittelbar dem bekannten Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix entsprungen zu sein.

Für seinen Film „FRANCOFONIA“ hat Alexander Sokurov die beiden Ikonen der französischen Geschichte zum Leben erweckt. Er führt Dialoge mit Marianne und Napoleon, neckt sie, weist sie zurecht, lässt ihnen Raum für ihre Selbstdarstellung. Schauplatz: der Louvre. „Für mich war dies eine Rückkehr zu meinem Traum, einen Zyklus von Kunstfilmen mit der Eremitage, dem Louvre, dem Prado und dem British Museum zu machen“, schwärmt der russische Regisseur, der 2013 mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnet worden war. Doch der Louvre ist mehr als nur Kulisse. Unter der Kameraführung des Oskarpreisträgers Bruno Delbonnel wird der Kunsttempel selber zum Akteur.

Das Filmgeschehen basiert auf historischen Begebenheiten. Zwischen Dokumentation und Kunstfilm changierend, versetzt uns Sokurov in das von den Deutschen besetzte Paris des Zweiten Weltkriegs. Während der Okkupation war Franziskus Graf Wolff-Metternich als Leiter des „Kunstschutzes“ für den Louvre zuständig - einer dem Oberkommando des Heeres der Wehrmacht zugeordnete Abteilung. Eine Aufgabe, die den Humanisten und Kunstliebhaber vor ein nicht lösbares Dilemma stellte, das er dennoch kreativ zu umschiffen suchte: Gemäß einem „Führerbefehl“ vom Juli 1940 sollte er alle kulturellen und „herrenlosen jüdischen“ Kunstgegenstände von Wert konfiszieren. Wolff-Metternich jedoch versuchte, seinen Auftrag in Übereinstimmung mit internationalem Recht umzusetzen. Dies führte teils zu bizarren Spektakeln, wie Akten aus dem Archiv dokumentieren.

Jaques Jaujard, Direktor des Louvre, hatte die Kunstsammlung bereits 1939 evakuieren lassen und zum größten Teil in das Chateâu de Chambord im Loire-Tal gebracht. Nach dem deutschen Sieg über Frankreich wurde der Louvre am 29. September 1940 teilweise wiedereröffnet und es erschien ein Museumsführer in deutscher Sprache. Wolff-Metternich hielt bei der Zeremonie eine Rede. Ihm und Jaujard war es zu verdanken, dass die Sammlungen des Louvre den Krieg fast unbeschadet überstanden.

Doch es kam wie es kommen musste: Der Graf zog sich mit seinen unorthodoxen Aktionen die Ungnade des deutschen Botschafters, des Reichsleiters Alfred Rosenberg sowie des Reichsmarschalls Hermann Göring zu und wurde 1942 aus Paris abgezogen.

Francofonia
© Piffl Medien, Courtesy höhne.presse

Der Film zeigt die Begegnungen Jaujards, gespielt von Louis-Do de Lencquesaing, und Wolff-Metternichs (Benjamin Utzerath). „Sie sind so angespannt“, stellt der Deutsche bei einer Begegnung fest, „liegt es daran, dass ich eine Uniform trage?“ Sensibel zeigt Sokurov die Entwicklung dieser beiden außergewöhnlichen Persönlichkeiten, die, eingangs Kontrahenten, schließlich stillschweigend an einem Strang zogen. „Ist es unter den Umständen eines unbarmherzigen Krieges möglich, humanistische Werte zu verteidigen?“ Der Regisseur bejaht seine Frage: „Selbst in den schwierigsten Phasen des Krieges gelang es diesen beiden – nicht einmal besonders einflussreichen – Männern, die Aggression aufzuhalten, und die großartige Kunstsammlung des Louvre zu bewahren.“ Umso mehr bedauert Sokurov, dass nichts Vergleichbares in der Sowjetunion, in Polen und im restlichen Osteuropa passiert sei.

Eine Rahmenhandlung des Films zeigt den Autor, der mit seinem Freund Dirk skyped. Auf hoher See gerät Dirk in Seenot, die Verbindung bricht immer wieder ab. Das Schiff, das einen Container mit Kunstschätzen birgt, hat einen Riss und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Sokurov vergleicht den Louvre und die Eremitage mit einer Arche und stellt die Frage, was man in einer Notsituation retten würde: „Die lebendigen Menschen? Oder die stummen unersetzlichen Zeugnisse der Vergangenheit?“ In diesem Sinne sieht er FRANCOFONIA als „ein Requiem für das, was untergegangen ist, eine Hymne auf den menschlichen Mut und Geist, auf alles, was die Menschheit eint“.

FRANCOFONIA ist ein essayistischer Film, ein Film, der sich Zeit nimmt und sich jeder Kategorisierung zu verweigern scheint. Dabei versteht sich Sokurov als ein Schüler, dem alles, was er tue, fehlerhaft und ungenügend vorkomme. Doch er lässt sich immer wieder auf neue, nicht absehbare Prozesse ein: „Dank meiner wunderbaren, erfundenen Lehrer versuche ich, den Unterricht zu absolvieren und Prüfungen und Tests zu bestehen. Das Ergebnis all dessen ist mir nicht bekannt.“

FRANCOFONIA
von Alexander Sokurov
Frankreich, Deutschland, Niederlande 2015 / 87 min.
Bundesstart: 25. Februar 2016

Inge Pett

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FRANCOFONIA von Alexander Sokurov
Filmbesprechung: Das Filmgeschehen basiert auf historischen Begebenheiten. Zwischen Dokumentation und Kunstfilm changierend, versetzt uns Alexander Sokurov in das von den Deutschen besetzte Paris des Zweiten Weltkriegs.

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