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Berlin Daily 24.04.2024
Künstlergespräch + Buchpremiere

19.00 Uhr: Buchpremiere von Martin Tscholl: »Imaginary Ecologies« und Künstlergespräch mit Dr. Christiane Stahl Alfred Ehrhardt Stiftung | Auguststr. 75 | 10117 Berlin

Die Zerstörung von Ken

von Inge Pett (31.03.2016)
vorher Abb. Die Zerstörung von Ken

Sara Davidmann, For Ken I, 2015.
Chemigram print, 25 x 20cm. Copyright Sara Davidmann


“Ein Teil von mir möchte verzweifelt an dem letzten Prozent Mann festhalten – wie lange auch immer”. Diese Worte schrieb Hazel 1959 an ihre Schwester Audrey.

Es sind Zeilen, die niemals an die Öffentlichkeit gelangen sollten, denn auf dem braunen Umschlag, in dem der Brief zusammen mit anderen Dokumenten aufbewahrt war, stand „Ken – to be destroyed“. Die britische Fotografin Sara Davidmann entdeckte den Brief im Nachlass ihrer Mutter. Und stieß auf ein Kapitel lange verheimlichte Familiengeschichte.

Denn Onkel Ken, der Mann von Tante Hazel, war transgender und outete sich erst fünf Jahre nach der Trauung gegenüber Hazel. In den 50er-Jahren ein Tabu-Thema, das auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen durfte. Darüber war sich die Familie einig. Zwischen Hazel, die in Edinburgh lebte, und Audrey setzte jedoch ein vertrauensvoller Briefwechsel ein, in dem Hazel der Schwester ihr Herz ausschüttete. „Seit Wochen lebe ich eine Jekyll und Hyde Existenz“, gestand sie dieser. Oder „Ich musste in die Klinik, um meine Nerven behandeln zu lassen.“ Denn Ken agierte zwar nach außen weiterhin als Mann, lebte jedoch zuhause als Frau. 93 Briefe zeugen von Hazels Umgang mit der erst einmal so schmerzvollen Offenbarung ihres Mannes; 1963 endete die Korrespondenz – Hazel schien ihren Seelenfrieden gefunden zu haben.

Werkabbildung
Sara Davidmann, K at the roadside between Inverness and Culloden Moor, from the series Looking for K/Finding K, 2015.
Hand-coloured inkjet print, 42 x 28cm. Copyright Sara Davidmann


Für Davidmann, die selber Teil der Trans*-Community in England ist, stand bald fest, dass sie sich dem Willen ihrer Mutter widersetzen und die Unterlagen nicht vernichten würde. Im Gegenteil. Sie forschte weiter in der Familiengeschichte und stieß auf umfangreiches Material. Wie wäre es gewesen, wenn Ken auch in der Öffentlichkeit als Frau gelebt hätte, fragte sie sich. Posthum bot die Künstlerin dem Onkel mit der Ausstellung „Ken. To be destroyed“ die zu Lebzeiten verwehrte Möglichkeit, sich als Frau zu zeigen. Bis zum 30. Juni ist die Schau im Schwulen Museum* in Berlin zu sehen. Aufgrund ihrer Biografie eine besondere Stadt für Davidmann, denn der Vater Manfred war während des Zweiten Weltkriegs mit einem jüdischen Kindertransport von hier nach London gebracht worden. So machte sich Davidmann auch in Berlin, das sie zur Vernissage besucht hatte, auf Spurensuche.

In Edinburgh war sie für die Serie „Looking for K/ Finding K“ in das Fotostudio gegangen, in dem Kens Bilder einst entwickelt wurden. Hazel trägt nun den Kopf Kens. Mittels der Technik des Handcoloring wirken die Bilder traumhaft entrückt. Ken, der/die nur noch geschlechtsneutral als K. bezeichnet wird, erhält so die Freiheit in den 50er-Jahren in Frauenkleidung unterwegs zu sein.

Fasziniert von einem Kleid ihrer Tante, stellte sich Davidmann vor, wie dieses auf Ken gewirkt haben musste. Schließlich war es fast immer Ken, der seine strahlend schöne Frau abgelichtet hatte. Wie muss sich dieser gefühlt haben im Spannungsfeld zwischen Identifikation und Begehren? Davidmann hat alte Fotos bearbeitet und dabei das Kleid zum Hauptakteur gemacht. In einem virtuosen Akt hat Davidmann, die traditionell von der Malerei herkommt, das Kleid übermalt. Ein anderes Foto hat sie mit Tipp-Ex überschüttet – die englische Übersetzung dafür ist „Correction Fluid“. Die Künstlerin korrigiert hiermit also Familiengeschichte, macht durch die Abstraktion und kunstvolle Verfremdung das Unsichtbare spürbar.

Werkabbildung
Sara Davidmann, The Dress V, 2014.
Inkjet print with ink, 23 x 16cm. Copyright Sara Davidmann


In der Serie „Closer“ zeigt sie Details eines Fotos, das Ken und Hazel auf einer Tanzveranstaltung zeigt. Dabei werden Fingerabdrücke oder Fettflecken sichtbar. Durch die Vergrößerung dieser Spuren der Zeit wird das Dargestellte irreal. In einer Serie von Chemogrammen nutzt sie neu geschaffene Negative, um diese digital zu bearbeiten und wirft auch hier die Frage nach der Authentizität auf. Davidmann hat die Fotos mit Entwickler eingesprüht. Die Erinnerung an Ken und Hazel wird dadurch wiederum verblassen und verschwimmen, sich verändern. Doch dieses Mal ist es gewollt.

Die Liebe und Seelenverwandtschaft zwischen Hazel und Ken/K. hat übrigens letztendlich alle Hindernisse überwunden. Die beiden haben sich nie scheiden gelassen und wurden nebeneinander begraben.

Ausstellungsdauer: 17. März 2016 - 30. Juni 2016
Sara Davidmann - Ken. To be destroyed

Nächste öffentliche kostenlose Führungen:
Donnerstag 31. März 18 Uhr
Samstag 16. April 16 Uhr

Öffnungszeiten:
NEU Langer Donnerstag: 14 bis 20 Uhr geöffnet
So, Mo, Mi, Fr 14 bis 18 Uhr
Sa 14 bis 19 Uhr
Dienstag geschlossen

Schwules Museum*
Lützowstraße 73
10785 Berlin
schwulesmuseum.de/

Inge Pett

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Titel zum Thema Sara Davidmann:

Die Zerstörung von Ken
Ausstellungsbesprechung zu Sara Davidmann - Ken. To be destroyed im Schwulen Museum*: “Ein Teil von mir möchte verzweifelt an dem letzten Prozent Mann festhalten – wie lange auch immer”. Diese Worte schrieb Hazel 1959 an ihre Schwester Audrey.

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