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Berlin Daily 20.04.2024
Künstlerinnengespräch

17 Uhr: im Rahmen der Ausstellung Luise Marchand & Laura Schawelka »All Beauty Must Die« Villa Heike | Freienwalder Str. 17 | 13055 Berlin

Friedvolles Chaos oder zersplitterte Ruhe

von Inge Pett (15.12.2017)
vorher Abb. Friedvolles Chaos oder zersplitterte Ruhe

Eija-Liisa Ahtila: Horizontal, 2011 Installation view Kiasma 2013 Photo: Pirje Mykkänen

Aus dem Samstagmittagsgewusel der Tauentzienstraße kommend, muss sich der Besucher erst an die halbdunkle Stille gewöhnen, die ihn im Salon Dahlmann/ Miettinen Collection empfängt. Es dauert einen Moment, bis das Hupen der Autos und das Stimmengewirr der entgegenströmenden Menschen verklungen ist.

Allmählich stellt sich auch die innere Ruhe ein und das Auge fällt auf eine lebensgroße Fichte. Diese erstreckt sich über zwei Räume der großzügigen Altbauwohnung hinweg – in ungewohnter, da horizontaler Darstellung und unterteilt in sechs Abschnitte. Sanft rauscht der Wind durch die feinen Nadeln des über 40 Meter hohen Baumes, dem die Künstlerin Eija-Liisa Ahtila in der Arbeit „Horizontal“ (2011) ein filmisches Denkmal gesetzt hat.

Die finnische Künstlerin sah sich vor der Alternative, den Baum aus der Ferne oder aber aus unmittelbarer Nähe zu fotografieren. Während dieser aus der Distanz perspektivisch stark verkürzt gewirkt hätte, wären ansonsten lediglich einzelne Aststrukturen der Fichte zur Geltung gekommen. Mithilfe einer Hebebühne löste Eija-Liisa Ahtila schließlich das Problem und präsentiert den Baum in einer spezifisch menschlichen „perspektivischen Verzerrung“.

Seit bereits 25 Jahren geht es der international renommierten Künstlerin um die Relativität unserer Wahrheit. In der aktuellen 26-minütigen Arbeit „Studies on the Ecology of Drama“ stellt Ahtila die Frage nach den Grenzen unserer menschlichen Sinne. Wie etwa wäre es, ein Schmetterling zu sein? Ein Tier, das eine Metamorphose durchläuft und alle Zellen hinter sich lässt, die einst die Raupe ausmachten. Ein Tier, das sich komplett neu erfindet.


Eija-Liisa Ahtila: Studies on the Ecology of Drama, 2017, film still Courtesy the artist

Also lässt die Künstlerin Schauspieler in grünen Kostümen über die Baumstämme robben und dort bis zur vermeintlichen Verpuppung verharren, um sie schließlich den unbeschwerten Weg des gelben Schmetterlings auf der sommerlichen Wiese nachgaukeln zu lassen.

„Butterfly“ stamme vermutlich von dem Wort Butter und spiele auf des Schmetterlings buttrige Farbe an, erfahren wir neben anderem Wissenswerten von einer Schauspielerin, die den Zuschauer durch Wiese, Wald, Garten und Weide begleitet. Und ihm weitere Akteure präsentiert: ein Gebüsch, einen Wacholderstrauch, einen Mauersegler, ein Pferd, einen Zitronenfalter und abschließend eine Akrobatentruppe.

Doch kann eine solche Inszenierung unsere Vorstellung von Realität nachhaltig beeinflussen? Der Künstlerin zufolge ist es das Ziel ihrer Kunst, den Anthropozentrismus und den Glauben an die Überlegenheit des Menschen zu hinterfragen, indem sie die Kreaturen gleichberechtigt miteinander in ein ökologisches Schauspiel einbindet.



©Terike Haapoja 160130_red head. From the series Gravitation Caption: 160130_red head. From the series Gravitation

Im Privatapartment des Sammlers Timo Miettinen sind Werke einer weiteren finnischen Künstlerin zu sehen. Die in New York lebende Fotografin Terike Haapoja thematisiert in ihrer Arbeit meist unsere Beziehung zur nichtmenschlichen Welt. Nicht jedoch in ihrem Zyklus „Gravitation“. In dessen 73 Photographien arbeitet die junge Künstlerin ein zutiefst persönliches Thema auf, nämlich ihre eigene Brustkrebserkrankung.

Entstanden ist ein intensives Werk, changierend zwischen Verletzlichkeit und Aggressivität, zwischen Lebenslust und Todesangst, zwischen Selbstbestimmung und Ausgeliefertsein. Auf einer der Aufnahmen ist der schöne nackte Körper der Künstlerin von gefärbtem Laub überdeckt – eine Metapher von großer Poesie, die den Besucher den Atem anhalten lässt. „Sovereign“ wiederum steht auf einem anderen Bild auf ihrer Brust geschrieben, während die ihr angelegten Handschellen und die Gesichtsmaske diese Souveränität ad absurdum führen.

Stets gelingt es der Fotografin mit dieser zutiefst intimen und mutigen Arbeit, zu der demnächst auch ein Künstlerbuch erscheint, auf dem sehr schmalen Grat zwischen persönlicher Betroffenheit und künstlerischem Ausdruck zu balancieren.

Sobald man seiner eigenen Sterblichkeit wirklich nahekomme, so die Künstlerin, werde die Frage, die unsere Existenz anbelangt, von jeglicher Abstraktion befreit. Sie ist der Überzeugung, dass die gleichen Tiefen, die wir in uns fänden, in jedem Wesen lebendig seien. „Wir fürchten um unseren Körper und strecken die Hand aus, um uns mit den Körpern der anderen zu verbinden. Das ist alles.“


Nina Hoffmann und Kathrin Sonntag, UP IN ARMS, Courtesy the artists and Salon Dahlmann, Berlin Photo Nina Hoffmann und Kathrin Sonntag

Auch die Diaprojektion „Up in Arms“, den die Künstlerfreundinnen Nina Hoffmann und Kathrin Sonntag eigens für den Concierge-Raum geschaffen haben, zeugt von einer sehr engen zwischenmenschlichen Verbindung. Die beiden Frauen haben einander fotografiert und dazu diverse Situationen nachgestellt. Mithilfe von Lehm etwa verwandelten sie Körperteile in teils groteske Korsetts, Prothesen, Masken... Die Themen Verfall, Verletzung, das Nicht-Perfekte, aber ebenso Lust, Freude, Komik und Gestaltungsdrang, wechseln einander ab, zeigen gelebtes Leben als ein mannigfaltiges Kaleidoskop.

Ein Gespräch mit Freundinnen inspirierte die Künstlerin Aleksandra Bielas zu dem Text „Wenn ich dann auf links bin, der als Handout ausgelegt sind: „An der Seite wie ein fliegender Teppich schwebend sehe ich eintausend Puzzleteile, fast flimmern sie, das bin ich. Die Abbildung ist nicht erkennbar. Es ist ein friedvolles Chaos oder eine zersplitterte Ruhe.“

Die Kuratorinnen Isabel Holert und Sophie Prager des Salon Dahlmann/ Miettinen Collection ist es gelungen, auf sensible Weise die Perspektiven vier sehr starker Künstlerinnen zusammenzubringen, die eine ästhetische und poetische Kraft mit dem Drang verströmen, das Leben zu umarmen, wie es ist. Ganz sicher zählen die drei Ausstellungen zu den Highlights dieses ohnedies nicht attraktionsarmen Berliner Kunstherbstes.

EIJA-LIISA AHTILA
ECOLOGIES OF DRAMA

NINA HOFFMANN & KATHRIN SONNTAG
UP IN ARMS

TERIKE HAAPOJA
GRAVITATION

Ausstellungsdauer: 12.09. - 16.12.2017

Öffnungszeiten: Samstag 12 - 18 Uhr und nach Vereinbarung

Salon Dahlmann
Marburger Straße 3
D - 10789 Berlin
salon-dahlmann.de

Inge Pett

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Titel zum Thema Salon Dahlmann:

Friedvolles Chaos oder zersplitterte Ruhe
Heute und morgen letzte Gelegenheit: Eija-Liisa Ahtila / Nina Hoffmann und Kathrin Sonntag / Terike Haapoja im Salon Dahlmann.

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