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And Berlin Will Always Need You im Gropius Bau

von Urszula Usakowska-Wolff (15.06.2019)
vorher Abb. And Berlin Will Always Need You im Gropius Bau

Chiharu Shiota, 2019, Detail zur Installation im Lichthof Gropius Bau, Foto: kuag

And Berlin will always need you sang 1977 Dorothy Iannone, nachdem sie ein Jahr in West-Berlin verbrachte. Diese Liedzeile ist der Titel der Ausstellung im Gropius Bau. Die weltoffene und liberale Metropole zieht Künstlerinnen und Künstler aus nah und fern an. Berlin braucht ihre Anregungen, Kreativität und Offenheit. Und sie brauchen Berlin, sonst hätten sie sich hier nicht auf Dauer niedergelassen.

Dazu gehören 18 Künstlerinnen und Künstler, die die neue Direktorin Stephanie Rosenthal zur Teilnahme an der Ausstellung in dem nun tageslichtdurchfluteten Gropius Bau eingeladen hat. Die gezeigten Arbeiten sind in Berlin entstanden, die Künstlerinnen und Künstler stammen aus aller Welt. Sie haben in Berlin eine neue künstlerische Heimat gefunden. Im Lichthof, den man ab jetzt kostenfrei betreten darf, hat Chiharu Shiota (*1972 in Osaka, lebt seit 1997 in Berlin) 780 Kilometer weißer Wolle zu einem Netz versponnen, das – vom Tageslicht beleuchtet – den gesamten Lichthof überspannt. Ist Beyond Memory eine Wolke? Ein Spinnennetz? Ein Leitfaden für das Auge des Betrachters? Im Netz des Gedächtnisses sind kopierte Dokumente aus der Geschichte des Gropius Baus als Kunstgewerbemuseum und Bücher zur Erinnerung an die hier ausgelagerte Bibliothek der Gewerbeschule gefangen.

Schamschürzen und Fußspuren

Kunsthandwerkliche Elemente zeichnen auch andere Exponate dieser Schau aus. Olaf Holzapfel (* 1967 in Dresden, lebt seit 2003 in Berlin und Brandenburg) fertigt aus Stroh Bilder, deren Farbigkeit je nach dem Blickwinkel changiert und dem toten Material Lebendigkeit verleiht. Sie entstanden unter dem Einfluss der sorbischen Volkskunst. Im etwas entfernteren Argentinien ließ er sich von der Textilkunst aus der Kaktusfaser Chaguar, wie sie indigene Frauen schaffen, inspirieren. Sie webten nach seinen Zeichnungen Stoffe, aus denen er Chaguarbilder schuf. Sie bestehen aus geometrischen Mustern, die sich zu einem Stadtplan von Buenos Aires zusammenfügen. Auch Antje Majewski (* 1968 in Marl, lebt seit 1991 in Berlin) nutzt textile Arbeiten, wie etwa die einst traditionellen Cache-Sexe (Schamschürzen) aus Kamerun, die heute von den dortigen Kunsthandwerkern für Sammler und Touristen produziert werden. Oliver Guesselé-Garai (* 1976 in Paris, lebt seit 2011 in Berlin) lässt das Material für Installationen wie zum Beispiel Woven Line meistens von deutschen Handwerkern herstellen. In einer Serie der Assemblagen unter dem Titel Hommage to the Afriacan Square Meter zeigt er mit Humor und Ironie, wie die afrikanische Volkskunst zu einer Pseudo-Folklore mutiert: zum Wandschmuck aus organischen Fasern, mit kleinen, wie Muscheln aussehenden Plastikteilen beklebt. Ganz ernst geht es in der Installation Possible Paths zu, in der sich Mariechen Danz (* 1980 in Dublin, lebt seit 1999 in Berlin) mit der künstlichen und natürlichen Intelligenz auseinandersetzt: Ihre Figuren haben keine Köpfe, aber sie hinterlassen überall im Raum etwas verformte Fußspuren.


Alice Creischer, Andreas Siekmann und die Arbeiter*innen von Brukman, "Brukman Suits (10 Suits with Parallel Stories)", 2004-2006
Installation bestehend aus zehn genähten Anzügen (sechs komplett mit Jacke und Hose) und neunzehn digitalen Zeichnungen auf Papier, Maße variabel, Raumansicht / Detail, Foto: kuag


Antiquiert und vertraut

Ganz anders gehen Alice Creischer (*1960 in Gerolstein) und Andreas Siekmann (*1961 in Hamm, beide leben seit 1995 in Berlin) die Arbeit mit Textilien an. Sie haben die Anzüge der Fabrik Brukman in Buenos Aires, die Bekleidung für internationale Modelabels produzierte, mit politischen Parolen aus der Zeit der Wirtschaftskrise in Argentinien bedeckt. Die Installation Brukman Arbeiter*innen zeigt ihren Kampf gegen die Ausbeutung und ausstehende Löhne, der dazu führte, dass die Fabrik Ende 2001 besetzt wurde und bis heute in Selbstverantwortung geführt wird. Somit wurden faktisch im Leben und symbolisch in der Kunst die Anzüge vom Warencharakter des Bekleidungsgeschäfts befreit, auch wenn sie in der Ausstellung an langen Stangen wie in einem Laden hängen. Haris Epaminonda (* 1980 in Nikosia, lebt seit 2007 in Berlin) inszeniert ihren Raum im Gropius Bau als ein Museum im Museum: ein bisschen erhaben, ein bisschen mit der Patina der Zeit bedeckt, wo die Staffagen und Drapierungen zwar antiquiert, doch vertraut wirken. Katarina Šević (* 1979 in Novi Sad, Jugoslawien, lebt seit 2013 in Berlin) zeigt einen Tisch voller seltsamer Dinge aus dunklem Holz, die wie eine Raritätensammlung wirken. Der Titel News from Nowhere bezieht sich auf den gleichnamigen Roman von William Morris, Mitbegründer der Bewegung Arts and Crafts.

Malewitsch is back!

Nevin Aladağ (* 1972 in Van, Türkei; lebt seit 2002 in Berlin) hat in ihrer Serie Social Fabric Teppichteile unterschiedlicher Herkunft und Machart zu großformatigen Bildern zusammengefügt: Sie sind ein Symbol der Globalität, in der alles vermischt und vermarktet wird. Traditioneller Materialien, Web- und Knüpftechniken bedient sich Leonor Antunes (* 1972 in Lissabon, lebt seit 2005 in Berlin) in ihrer mehrteiligen Installation Franca, die aus seil- und löffelförmigen, von der Decke hängenden Objekten besteht. Ihre Arbeiten sind eine Hommage an Bauhaus-Künstlerinnen. Auch Julieta Aranda (* 1975 in Mexico City, lebt seit 2008 in Berlin) zollt der Moderne Respekt. In ihrer Multimediainstallation Ghost Nets ist der Geist des Suprematismus mit modernster Technik vernetzt. Recht konventionell hat dagegen Willem de Rooij (* 1969 in Beverwijk, Niederlanden, lebt seit 2006 in Berlin) in seinen Wandteppichen Blacks und Black to black das berühmteste schwarze Quadrat der Kunstgeschichte umgesetzt: Hurra, Malewitsch is back!



Simon Wachsmuth, "Qing", 2016
Video: 2-Kanal Videoprojektion, 22:30 Min., Farbe, Ton; Vitrinen mit Archivmaterialien: Familienfotos, Archiv-bilder, Textilien
Foto: Simon Wachsmuth, Leihgeber: Galerie Zilberman Berlin/Istanbul, Courtesy: Simon Wachsmuth VG Bild-Kunst, Bonn 2019


Masken und Monster

Der Multimediakünstler Simon Wachsmuth (* 1964 in Hamburg, lebt seit 2001 in Berlin) zeigt in seiner dokumentarisch-filmischen Installation eine Tänzerin in luftigen seidenen Gewändern aus der Zeit der chinesischen Qing-Dynastie, die sich anmutig zwischen blauem Porzellan bewegt. Er materialisiert dadurch seine Familiengeschichte. Seine Großtante, eine berühmte Avantgarde-Tänzerin der Weimarer Republik, musste in der Nazizeit nach Shanghai flüchten. Objekte aus ethnographischen Sammlungen bringt Theo Eshetu (* 1958 in London, lebt seit 2012 in Berlin) zum Leben. In seiner rasanten Videoinstallation The Phi Phenomenon wechseln die Bilder sehr schnell, sie versetzen den Betrachter in eine Art ekstatischer Erregung. Sie vermitteln nicht nur die künstlerische und handwerkliche Fertigkeit der Hersteller, sondern auch die in unserem Teil der Welt weitgehend unbekannte religiöse Bedeutung dieser Artefakte. In der Installation Incubation and Exhaution von Haegue Yang (* 1971 in Seoul, lebt seit 2005 in Berlin) lauscht man dem Gezwitscher der Spatzen zwischen schwarzen Monstern, Strohfiguren und Tapeten mit Knoblauch- und Zwiebelmotiven. Ganz andere Motive bevorzugt Dorothy Iannone (* 1933 in Boston), seit über 50 Jahren eine eingesessene Berlinerin. Ihre Bilder und Objekte sind ein Loblied auf die Liebe in allen ihren Erscheinungsformen und Positionen, auf die weibliche Begierde, auf die Erotik als Quintessenz des Lebens.
So unterschiedlich die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung And Berlin Will Always Need You auch sein mögen, beherrschen sie alle ihr Handwerk. Damit passen ihre Arbeiten gut zu dem Haus, das einst Martin-Gropius-Bau hieß und ein Kunstgewerbemuseum war.

bis 16. Juni 2019
Öffnungszeiten Mi-Mo 10 bis 19 Uhr

Gropius Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
www.gropiusbau.de

Urszula Usakowska-Wolff

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