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Finis Pecunia! Viva Mycelia!

von Urszula Usakowska-Wolff (24.02.2020)
vorher Abb. Finis Pecunia! Viva Mycelia!

Ken Rinaldo, Borderless Bacteria / Colonialist Cash, Ausstellungsansicht, Art Laboratory Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Die Ausstellung Borderless Bacteria / Colonialist Cash von Ken Rinaldo (* 1958 in Queens, New York) bei Art Laboratory Berlin zeigt, dass Banknoten nicht nur Zahlungsmittel, sondern auch ein beliebtes Mikroben-Futter sind.

Ist das Hinterglasmalerei? Die neun kleinen quadratischen Bilder mit abgerundeten Ecken, die in Dreiergruppen an den Wänden hängen und in einer beleuchteten Vitrine liegen, muten auf den ersten Blick so an. Darin formen sich Kleckse und organische Muster, die wie verwitterte Blätter, Blumen, Sporen und Samen aussehen, zu abstrakten Landschaften. Ihre Farben sind getönt – Khaki, Muskat, Ocker – und wässrig. Was aber etwas ungewöhnlich wirkt, sind Banknoten, die von diesen Ornamenten in Besitz genommen werden. Sie breiten sich auf, unter und neben den Geldscheinen unterschiedlicher Währungen aus: Dollars, Euros, britische Pfunds, chinesische Yuan, vietnamesische Dong, ugandische Schillings, kirgisische Som und anderen, deren staatliche Zugehörigkeit nicht mehr identifiziert werden kann, denn sie sind mit großen, schwarzen Flecken übersät. Assoziationen mit schmutzigem Geld, Wucherei und mit Blüten drängen sich auf, doch das ist nicht der Sinn des „mikro-performativen Projekts“ unter dem Titel Borderless Bacteria / Colonialist Cash von Ken Rinaldo, wo am Beispiel der Banknoten die grenzenlose Zirkulation der Bazillen und anderen Mikroorganismen veranschaulicht wird.

Bakterien für die Kunst

Die eigenartigen Hinterglasbilder mit Collage-Elementen befinden sich in Petrischalen, in die der US-Amerikaner, „ein etablierter Künstler auf dem Gebiet der Bio- und Postmedia-Art“, jeweils zwei untereinander liegende Banknoten aus verschiedenen Ländern auf mit Mikroorganismen angereichertes Agar geklebt hat. Dadurch schafft er ein lebendiges und lebendes Gebilde, das sich stets verändert, mäandert, die Banknoten angreift, schwärzt und sie im Laufe der Zeit immer unkenntlicher macht. Auch in diesem Fall gilt: Pecunia non olet („Geld stinkt nicht“). Aus Rinaldos hermetisch verschlossenen Petrischalen kann ja kein Gestank nach außen entweichen. Die olfaktorische Wahrnehmung ist kein Thema seiner Borderless Bacteria. Der Künstler möchte vielmehr darauf hinweisen: Geld regiert die Welt. Das ist zwar nichts Neues im Gegensatz dazu, was da alles auf dem Geld agiert, dessen Weg durch unzählige Hände führt. Für das wissenschaftsfremde Kunstpublikum ist diese Ausstellung unverzichtbar, weil sie diesbezügliche Forschungsergebnisse recht einfach und plausibel visualisiert: Geld ist eine idealer Nährboden für unsichtbare Keime.


Ken Rinaldo, Borderless Bacteria / Colonialist Cash, Ausstellungsansicht, Art Laboratory Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Banknoten, Bakterien, Brieftaschen

Vor sechs Jahren haben Wissenschaftler der New York University für ihr Dirty Money Project 80 gebrauchte Ein-Dollar-Scheine einer Bank in Manhattan auf Mikroorganismen untersucht und herausgefunden, dass diese klitzekleinen Lebewesen auf Geld gedeihen. Sie konnten rund 3000 Bakterien sowie diverse Viren und Pilze ausfindig machen, wovon die Hälfte von Menschen, die andere von Haustieren und sogar von einem … Breitmaulnashorn stammen. Die Lebensdauer der Banknoten, die in der Regel aus einem Baumwoll-Leinen-Gemisch hergestellt werden, beträgt durchschnittlich 21 Monate. Mit jeder Berührung der Scheine, die von Hand zu Hand gereicht werden, hinterlassen wir auf ihren Oberflächen winzige und unsichtbare Haut- und Ölspuren. Da die „kontaminierten“ Banknoten meistens körpernah in Brieftaschen getragen werden, sind sie eine Art Petrischalen, wo sich unter dem Einfluss der Körpertemperatur Mikroben ungehemmt entwickeln können. Fast 150 Milliarden neue Geldscheine kreisen jährlich um die Welt – und mit ihnen potenzielle Krankheitserreger. Große Zahlen sind aber schwer vorstellbar, und so kommt die Berliner Soloschau von Ken Rinaldo, der an der Ohio State University das Kunst- und Technologieprogramm leitet, darüber hinaus für seine Installationen und „lebende“ Roboterskulpturen international bekannt ist, mit einigen wenigen Exponaten aus. Das ist richtig, denn wer globale Zusammenhänge verständlich machen will, soll sie auch im Kleinen überzeugend darstellen können.


Ken Rinaldo, Borderless Bacteria / Colonialist Cash, Ausstellungsansicht, Art Laboratory Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Schimmel der Sieger

Wie in den Ausstellungsunterlagen zu lesen ist, „diskutiert Ken Rinaldos Projekt wichtige aktuelle Aspekte der Biopolitik und eröffnet damit einen Diskurs über die gegenseitigen Verbindungen von ökologischem und ökonomischem Austausch.“ Der Künstler „entwickelt hybride menschlich-nichtmenschliche Ökologien und erforscht das versteckte Mikrobiom des Geldes in einem kritischen Bezugssystem, der auch Tauschen und Macht reflektiert.“ Staaten betreiben Biopolitik, bringen ihre Produkte unter die Leute, wofür der Begriff Colonialist Cash steht. Er erinnert an „die kolonialen Wurzeln des Kapitalismus, als der Austausch von Waren Pocken, Masern und Influenza auf die indigenen Völker Amerikas und Australien übertrug und die lokale Bevölkerung angriff.“ Warum sich aber der aus Asien stammende Pesterreger schon Mitte des 14. Jahrhunderts im feudalen Europa mit verheerenden Folgen ausbreiten konnte, wird im Source Book, das auf dem Tisch im vorderen Ausstellungsraum liegt, nicht erklärt. Die besagte Pest-Pandemie im Mittelalter war weder ein Machwerk der zu der Zeit nicht praktizierten Biopolitik noch des damals noch nicht erfundenen Kapitalismus; sie hing mit der Mobilität von Kaufleuten und Reisenden zusammen. So liegt die Stärke der Ausstellung mit dem poetischen Titel, einem gelungenen Beispiel der Alliteration im Englischen, vor allem in der ansprechenden Präsentation und nicht in der recht verschwurbelten Deskription. Auch ohne im richtungsweisenden Quellenbuch zu blättern, kann man verfolgen, wie Geld arbeitet, wie es mithilfe fleißiger Mikroorganismen wächst und blühende Landschaften bildet. Irgendwann ist ihre Zeit vorbei, dann tummelt sich auf den Oberflächen der Geldscheine nur noch Schimmel: der wahre Sieger. Wie er das vollbringt, kann man mit einem digitalen Mikroskop erkunden und auf einem Bildschirm betrachten. Und siehe da: Die auf den Banknoten verewigten großen Männer und andere nationale Symbole verschwinden unter einem dichten Netz aus Myzelien. Schimmel macht schön: Auch Maos fast unkenntliches, mit dunklem Pilzpelz bewachsenes Konterfei leuchtet so hell wie die Sonnenuntergänge, die Dieter Roth vor einem halben Jahrhundert aus verschimmelten Salamischeiben geschaffen hatte.

Ken Rinaldo: Borderless Bacteria / Colonialist Cash
noch bis zum 1. März 2020
kuratiert von Regine Rapp & Christian de Lutz

Art Laboratory Berlin
Prinzenallee 34, 13359 Berlin-Wedding
www.artlaboratory-berlin.org

Öffnungszeiten: Fr-So 14-18 Uhr

Einige Teile der Berliner Ausstellung entstanden in Zusammenarbeit mit Schülern der Gustav-Freytag-Schule in Berlin-Reinickendorf im Rahmen einer Kooperation zwischen der Schule, ALB und der Gruppe DIY Hack the Panke.

Urszula Usakowska-Wolff

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