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Käthe Kruse im Interview

von Urszula Usakowska-Wolff (09.07.2020)
vorher Abb. Käthe Kruse im Interview

Käthe Kruse, Raumansicht 366 Tage, © + Courtesy Zwinger Galerie

Interview mit Käthe Kruse: „Wenn ich es mir genau überlege, ist der Zeitpunkt dieser Ausnahmesituation für mich gar nicht so schlecht.“

Urszula Usakowska-Wolff: Du hast jetzt fast zeitgleich zwei Ausstellungen in Berlin, die durch die Corona-Krise unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit laufen: Ich sehe in der Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten (bis 4. Juli) und 366 Tage (bis 11. Juli) in der Zwinger Galerie. Wie lange hast Du Dich auf diese Ausstellungen vorbereitet? Seit wann waren sie geplant?

Käthe Kruse: Beide Ausstellungen sind jetzt schon bis Mitte Juli 2020 verlängert worden; sie waren seit einem Jahr als zeitgleiche Doppelausstellung geplant. Insgesamt habe ich fünf Jahre daran gearbeitet. Es soll im DISTANZ Verlag auch noch ein Katalog dazu erscheinen. Für die beiden Werkkomplexe Ich sehe (Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten) und 366 Tage (Zwinger Galerie) sammelte ich fast zwei Jahre täglich 25 Überschriften aus jeweils einer deutschsprachigen Tageszeitung wie zum Beispiel Taz, Tagesspiegel oder Süddeutsche Zeitung. Unterschiedslos bediente ich mich aus den Sparten Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Ökologie, Sport und Kultur. Bei der Auswahl der Headlines verließ ich mich ganz auf meine eigene künstlerische und politische Sensibilität. Kalendarisch abgespeichert, sammelte ich ein Kontingent aus Sätzen und Substantiven – ein subjektives Archiv zur jüngsten Zeitgeschichte in knappster Form –, welches keiner festen inhaltlichen Systematik folgt, aber in der künstlerischen Transformation ein äußerst beunruhigendes gesellschaftliches Bild entwirft. Auf einzelne DIN-A4-Fototafeln gedruckt, ordnete ich die 366 Tage streng in zeitlicher Abfolge und konzipierte sie zu einem Bildkomplex, der, nun gerahmt, als Fries in der Zwinger Galerie ausgestellt ist.


Käthe Kruse in ihrer Ausstellung in der Galerie Nord / Kunstverein Tiergarten, © Käthe Kruse

Im zweiten Schritt des Komplexes extrahierte ich alle Substantive aus den Überschriften, zeichnete und malte sie über vier Jahre Wort für Wort alphabetisch geordnet und in Druckschrift mit dünnem Pinsel auf Leinwände aneinander. Es entstanden 80 schwarz-weiße, enzyklopädisch anmutende Wortbilder mit insgesamt 3927 Nomina: von Abstiegsangst bis Zuwanderungsrekord. Das Tableau mit dem Anfangsbuchstaben X enthält nur ein einziges Wort: Xenophobie – der Rest ist weißer Bildraum. In der Isolierung und in der monotonen, stakkatohaften und konsequenten Aneinanderreihung der Sätze und Nomina sowie in der reduzierten räumlichen Inszenierung liest sich die gefährliche Kraft der unreflektierten Nutzung von Sprache fast beiläufig. Durch das Entfernen syntaktischer Beziehungen und semantischer Abhängigkeiten zwischen den Wörtern erschließen sich irritierende neue Bedeutungsebenen. Die Wortbilder sind in der Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten auch als Fries präsentiert, der sich über 60 Meter durch alle Räume zieht.

UUW: Was bedeutet es für Dich, dass das Publikum sie nicht sehen, bzw. nur durch die Schaufenster sehen kann?

KK: Es ist eigentlich ein glücklicher Zufall, dass beide Ausstellungen auch perfekt von außen gesehen und sogar gelesen werden können, auch nachts leuchtet die 60 Meter lange Fensterfront der Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten in der Turmstraße. Es ist aber natürlich furchtbar, zwei große Einzelausstellungen in der Stadt zu haben und nicht mit Besuchern zu sprechen, zu diskutieren oder auch nur die Arbeit mit Menschen darin zu sehen. Beide Ausstellungen sind sehr minimalistisch, schwarz/weiß und haben viel Text, es wäre toll, wenn sie durch Menschen eine andere Art von Lebendigkeit erhielten und gesehen und gelesen werden.


Käthe Kruse, Raumansicht Ich sehe, © Käthe Kruse, 2020

UUW: Hast Du ein Atelier? Hast Du Probleme, die Ateliermiete zu bezahlen?

KK: Glücklicherweise habe ich ein Atelier und ich habe auch die Künstlerförderung wegen Corona erhalten, das heißt, ich bin die nächsten vier bis sechs Monate mit allem gut aufgestellt. Hoffentlich passiert es in der Zeit, dass die Ausstellungen besucht werden können und es so vielleicht zu Verkäufen kommen kann, davon leben wir ja.

UUW: Wie sieht Deine künstlerische Arbeit in dieser Zeit aus? Machst Du weiter, oder lenken Dich die gegenwärtige Situation und die Unsicherheit, wie lange sie dauern wird, davon ab?

KK: Jetzt habe ich besonders viel zu tun, denn die beiden Ausstellungen machen viel mehr Arbeit als normalerweise. Wir drehen Filme, stellen Interviews zusammen, drehen in der Galerie Nord jetzt sogar die ganzen Langzeit-Lesungen für einen sechsstündigen Film. Alle Auftritte werden für das Internet vorbereitet, damit wir Präsenz im Netz haben. Das macht Spaß, aber eben auch viel Arbeit. Manchmal muss ich mich direkt losreißen, damit ich mal einen Spaziergang mache und dann sehe ich, dass es draußen anders ist als sonst. Sorgen mache ich mir vielleicht später, wenn es soweit ist, oder wenn gar kein Ende abzusehen ist. Jetzt kann ich von Glück sagen, dass ich soviel zu tun habe im Atelier und in den Ausstellungen, dass ich überhaupt ein Atelier habe, in das ich gehen kann.


Käthe Kruse, Raumansicht Ich sehe, © Käthe Kruse, 2020

UUW: Kannst Du Dir Arbeitsmaterialien beschaffen, da die Geschäfte mit dem Künstlerbedarf geschlossen sind? Oder hast Du so viel „auf Lager“, dass Du ohne Probleme weiter wie bisher als Künstlerin arbeiten kannst?

KK: Um meine jetzigen Produkte zum Verkauf anbieten zu können und die Kataloge zu bestücken, hatte ich mir vorsorglich noch Material bei Modulor eingekauft. Zum Glück. Und ansonsten gibt es noch viele Ideen, Fotos und Projekte, die ich schon immer mal machen wollte und jetzt tun könnte, wenn ich Zeit hätte. Und dann sollte ich unbedingt auch noch die Steuern machen … Die Situation, ein großes mehrjähriges Projekt abgeschlossen zu haben bedeutet aber auch, dass nun eigentlich die Zeit der Muße kommen muss, damit überhaupt wieder ganz neue Denkansätze stattfinden können und neue Ideen ins Auge gefasst werden. Eigentlich, wenn ich es mir genau überlege, ist der Zeitpunkt dieser Ausnahmesituation für mich gar nicht so schlecht.

UUW: Gibt es für Dich Alternativen für den Lebensunterhalt? Kannst Du Dir ein Leben ohne Kunst vorstellen?

KK: Glücklicherweise bin ich noch in einem Beirat, sodass ich manchmal Geld verdienen kann. Ich habe neun Jahre in der Afghanischen Botschaft für zwei Tage die Woche gearbeitet, Finanzen und Versicherungswesen, aber das habe ich vor zweieinhalb Jahren aufgegeben, damit ich mehr Zeit für meine Kunst habe. Deshalb habe ich nun keine Alternativen zum Dazuverdienen. Ein Leben ohne Kunst ist natürlich möglich, aber ich kann es mir nicht vorstellen!!!

Käthe Kruse: Ich sehe
Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten
Turmstraße 75, 10551 Berlin
website.kunstverein-tiergarten.de
Käthe Kruse: 366 Tage
Zwinger Galerie
Mansteinstraße 5, 10783 Berlin
www.zwinger-galerie.de

Käthe Kruse (*1958 in Bünde, lebt in Berlin), war Hausbesetzerin und Mitglied der Künstlergruppe Die Tödliche Doris. Die Künstlerin und Musikerin schafft seit über 25 Jahren raumgreifende und multimediale Installationen. Sie ist seit 1991 mit dem Schweizer Schriftsteller Yves Rosset verheiratet und hat zwei Töchter: Edda und Klara, mit denen sie in Performances auftritt. Nan Goldin, mit der sie im besetzten Haus in Kreuzberg wohnte, verewigte Käthe und ihre Töchter auf zahlreichen Fotografien, die sich heute in den wichtigsten internationalen Sammlungen und Museen befinden. In letzter Zeit beschäftigt sich Käthe Kruse mit der Sprache und ihrer gefährlichen, manipulatorischen Kraft.

Urszula Usakowska-Wolff

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