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Interviews in Ausnahmesituationen – Barbara Green

von Urszula Usakowska-Wolff (13.05.2020)
vorher Abb. Interviews in Ausnahmesituationen – Barbara Green

Ausstellungsansicht Contemplatio, 2020. Foto: Adam Naparty, © Green/Naparty

Barbara Green: „Kunst hat in Krisensituationen schon immer eine gewichtige Rolle eingenommen. Von jeher wird Kunstschaffenden eine visionäre Kraft zugeschrieben, die uns zu einem veränderten Blick auf unsere Wirklichkeit auffordert.“

Urszula Usakowska-Wolff: Was macht eine Kuratorin und Kulturmanagerin in Zeiten, in denen Ausstellungen entweder verschoben wurden oder gar nicht stattfinden können?

Barbara Green: Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie man als Kurator*in auf die aktuelle Situation in seiner Arbeitsweise reagieren kann. Eine Beobachtung ist, dass Netzkunst nicht mehr nur einer kleinen Gruppe von Kunst- oder Techniknerds ein Begriff ist, sondern zusehends Aufmerksamkeit und Interesse von kunstfernen Gesellschaftssparten erhält. Diese positive Errungenschaft für ein relativ neues Genre ist bestimmt mit den durch Covid-19 hervorgerufenen Umständen verbunden und durch die damit einhergehende stärkere Nutzung des Internets verstärkt worden, aber die Vorarbeit dazu haben Künstler*innen, Kurator*innen und Journalist*innen seit Jahrzehnten geleistet. Die Kunstwissenschaftlerin Anika Meier schreibt zu dem Thema eine Kolumne für das Kunstmagazin Monopol. Gleichzeitig werden Virtual Reality und Augmented Reality im Bereich der bildenden Kunst ausgebaut. Die Kuratorin Tina Sauerländer führt als künstlerische Leiterin beispielsweise gerade den ersten Kunstpreis für Virtual Reality mit institutioneller Ausstellung in Deutschland ein. Der immersiven Kunst wird ein großer Einfluss auf künftige Ausstellungen vorhergesagt; der Intendant der Berliner Festspiele Thomas Oberender bezeichnet sie als „Schlüsselphänomen unserer Zeit“. Die naheliegendste und wohl am häufigsten zu beobachtende Reaktion ist, dass man nach Formaten sucht, um Kunst und Ausstellungen im Internet zu präsentieren, was aktuell in vielen Online-Ausstellungen, Live-Talks und Podcasts geschieht. Die Kuratoren Rachel Rits-Volloch und Emilio Rapanà haben gerade erst ihre Online-Show COVIDecameron auf der Plattform MOMENTUM eröffnet, die sich mit der postviralen Welt auseinandersetzt.

UUW: Internet als Schauplatz der Kunst: Ist das ein dauerhaftes Phänomen oder eine temporäre Notlösung?

BG: Wenn das Konzept und die Darstellung im Internet ansprechend und interaktiv sind, finde ich persönlich Online-Ausstellungen ein adäquates Format. Wobei für mich und für viele andere die direkte Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk und dessen Aura eine viel intensivere und persönlichere Bereicherung darstellt. Aber was ist mit den Menschen, die sich für eine Show interessieren, jedoch auf einem anderen Kontinent wohnen oder aus unterschiedlichen Gründen das Haus nicht verlassen können? Hier haben Online-Angebote den großen Vorteil, dass man über geographische Grenzen hinausgeht und einen globalen Dialog zwischen vielen Menschen möglich macht. Wunderbar gelingt das Konzept der digitalen Kunstvermittlung der Schirn Kunsthalle in Frankfurt. Podcasts, Newsletter, ein digitales Magazin und vieles mehr ermöglichen eine engagierte Teilnahme an der kunsthistorischen Betrachtung und den in den Ausstellungen aufgeworfenen gesellschaftlichen Fragestellungen.


Ausstellungsansicht Contemplatio, 2020. Foto: Adam Naparty, © Green/Naparty

UUW: Wie werden in Zukunft das Kuratieren und die Kunstvermittlung aussehen? Die digitale Vermittlung ist zwar eine Möglichkeit, aber kann sie die sinnlichen Erlebnisse, den direkten Zugang des Publikums zu den Kunstwerken und die damit verbundenen Gefühle und Emotionen ersetzen?

BG: Sieht man sich die substanziellen Aufgaben von Museen an, die lauten: Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen und Vermitteln, kann man daraus jetzt schon ableiten, dass Kunst, die in der Corona-Krise entsteht oder darauf Bezug nimmt, Einzug in die Ausstellungshäuser halten wird. Das zielgerichtete Sammeln von Kunstwerken, die gesellschaftliche Relevanz haben, und das öffentliche Erleben dieser Kunst, sowohl für uns als auch für unsere Nachwelt, ist ein ganz wesentlicher Punkt, dem jetzt schon nachgegangen wird – dies geschieht auch digital. Wer die Möglichkeit hat, eine Ausstellung in natura zu erleben: Bitte hingehen! Allen anderen sollte eine Auseinandersetzung mit den ausgestellten Positionen nicht verwehrt bleiben. Hier sehe ich noch viel Nachholdbedarf.

UUW: Du hast zusammen mit zehn Künstlerinnen und Künstlern in einer rekordverdächtigen Zeit die Ausstellung Contemplatio organisiert, die ausschließlich auf ihrer Website eröffnet wurde und deren Verlauf nur digital verfolgt werden kann, obwohl sie, wie ich vermute, auch in einem realen Raum aufgebaut wurde. War Contemplatio ein spontanes Projekt oder hast Du diese Gruppenschau schon seit längerer Zeit für einen konkreten Ort geplant?

BG: Die Idee zur Ausstellung entstand ganz spontan. Durch die Schließungen von Museen, Kunstmessen und Ausstellungsorten, die mit immensen finanziellen Einbußen für die Künstler*innen einhergehen und ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit auf null setzen, habe ich mich dazu entschlossen, schnell zu handeln. Damit verleiht man den Künstler*innen wieder mehr Präsenz, und Kulturinteressierte kommen im virtuellen Raum in den Genuss von Kunst. Die Konzeption der Website hat der Designer Adam Naparty übernommen – mit ihm habe ich auch die Hängung gemacht. Das war für mich eine neue Erfahrung, da ich nicht mit einem Aufbauteam zusammengearbeitet habe, sondern mit einem Designer über Telefon und Skype die Kunstwerke im virtuellen Raum zusammenstellte. Wir haben für die Ausstellung von der Hengesbach Gallery in Wuppertal Fotomaterial ihrer ehemaligen Dependance in Berlin erhalten und die Kunstwerke digital hineingesetzt. Und während der Laufzeit von Contemplatio werden von den Künstler*innen Studio Visits, Performances und Gespräche über Instagram gestreamt, und Besucher können Fragen stellen. Die Videos sind einen Tag später im Videoroom auf der Website verfügbar. Mir ist wichtig, dass die Kommunikation mit dem Publikum nicht einseitig stattfindet.


Künstler*innen der Ausstellung Contemplatio, 2020. Foto: Adam Naparty, © Green/Naparty

UUW: Wie ist die Stimmung unter den Künstlerinnen und Künstlern, zu denen Du Kontakte hast? Ist die Situation, in der sie ihre Arbeiten nicht öffentlich präsentieren und nur erschwert verkaufen können, für sie so belastend, dass ihre Kreativität darunter leidet? Denken sie an Alternativen zur Kunst nach?

BG: Die Kunst aufzugeben kommt für keine der kunstschaffenden Personen, die ich kenne, in Frage. Im Gegenteil. Im Kontext der Ausstellung und in Bezug auf die aktuelle Lage zwingt uns das Coronavirus zur Kontemplation und zum Rückzug auf uns selbst in allen Bereichen der Gesellschaft. Es handelt sich um einen auferlegten Rückzug, den viele freiwillig und manche eher widerwillig antreten. Das gilt auch für die Künstler*innen. Fest steht aber, dass es ein einzigartiger kollektiver Moment des Innehaltens ist. Künstler*innen setzen sich stark mit Themen auseinander, die jetzt wichtig sind. Dies äußert sich zum Beispiel in der Ausstellung Contemplatio in Beiträgen von existentieller Bedeutung bis hin zu Erfahrungen aus ihren privaten Lebensbereichen. Kurz zusammengefasst lassen sich folgende Themenfelder der Gruppenschau nennen: Zusammenleben, Isolation, Chaos & Kontrolle, Ökologie, Natur, Vergänglichkeit, Zukunft, Katastrophe, Verständnis von Paradies, Migration, Versprechungen, Konsum, Jugend, Auflehnung und Freiheit.

UUW: Wie reagiert die Kunstwelt auf diesen kollektiven Moment des Innehaltens? Ist sie bereit, Kunst, die sich mit existenziellen und sehr ernsten Problemen beschäftigt, zu fördern?

BG: Nach anfänglichem Zögern von Seiten der Sammler*innen berichten mir einige Künstler*innen und Galerist*innen vom Anlauf von Verkäufen und zukünftigen Projekten. Generell kann ich dazu ermutigen, weiterhin in zeitgenössische Kunst zu investieren. Ansonsten trägt jeder Besucher und jedes Gespräch über Ausstellungen dazu bei, die Sichtbarkeit der Künstler*innen in der Öffentlichkeit zu erhöhen – und das ist auch eine Art von Währung. Solidarität mit den Kulturschaffenden und wirtschaftliche Unterstützung sind gerade mehr gefragt als zuvor.

UUW: Wird sich die Kunst in Zeiten der Pandemie und der Postpandemie verändern? Wird sie intimer werden, auf das menschliche Maß zugeschnitten, oder bleibt vieles so wie es bisher war: der Hang zur Monumentalität, Installationen, die immer größer, spektakulärer und technoider werden, und nur für wenige Sammler erschwinglich sind?

BG: Kunst hat in Krisensituationen schon immer eine gewichtige Rolle eingenommen. Von jeher wird Kunstschaffenden eine visionäre Kraft zugeschrieben, die uns zu einem veränderten Blick auf unsere Wirklichkeit auffordert. So überrascht es nicht, dass viele der älteren Werke geradezu sprungartig wieder an Relevanz gewinnen. Es liegt nun an den Museums- und Ausstellungsmacher*innen, diese Art der Kunst zu präsentieren, die durchaus erschwinglich für Sammler oder Kunstliebhaber sein kann. Wir sind aktuell mittendrin, weswegen erst in ein paar Jahren sichtbar sein wird, in welcher Form sich die Rezeption von Kunst nach der Pandemie verändert hat. Es wird spannend zu sehen sein, wie jedes Land sein regionales kulturelles Selbstbewusstsein neu definiert und wie wir die kulturellen und gesellschaftlichen Umwandlungen dieser Zeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten.


Barbara Green. Foto © Adam Naparty

Barbara Green (* 1982 in NRW, lebt in Berlin) studierte Kunstgeschichte und Archäologie und arbeitet seit zehn Jahren als freie Kuratorin, Kulturmanagerin, Pressereferentin und Kunstpublizistin in Berlin. Ihre Themenschwerpunkte sind zeitgenössische künstlerische Positionen, die sich mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen unter Berücksichtigung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse auseinandersetzen. Ihr neuestes kuratorisches Projekt ist die drei Monate dauernde Ausstellung Contemplatio, die ausschließlich auf der dafür geschaffenen Website sowie in den sozialen Medien präsentiert wird.

Contemplatio
bis 31. Juli 2020
mit Susanne Bonowicz, Birte Bosse, Frederike von Cranach, Sebastian Fleiter, Meike Kenn, Danni Pantel, Manfred Peckl, Claus Rottenbacher, Nina E. Schönefeld und Thomas Rentmeister
www.contemplatio.art

Urszula Usakowska-Wolff

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