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Die Stadt als Fries: Neuere Erzählungen aus Berlin

von Hanna Komornitzyk (23.01.2021)
vorher Abb. Die Stadt als Fries: Neuere Erzählungen aus Berlin

Nadira Husain: Migration Pride (inspiriert von einem Gespräch zwischen Serena Khan und Nadira Husain) | 2020 | Gouache, Acryl und Aquarell auf Leinwand | 3-teilig, 170 x 455 cm | courtesy PSM, Berlin | © Nadira Husein | Foto: Jannes Linders

Mit “Features – 10 Sichten auf Berlin” bringt das Stadtmuseum zehn künstlerische Interpretationen der Hauptstadt in die Nikolaikirche und nähert sich so ihrer Gegenwart.

Berlin ist nicht eine, sondern viele: Von Kiez zu Kiez, Lebensrealität zu Lebensrealität, Zeitraum zu Zeitraum ergeben sich ganz unterschiedliche Visionen und Versionen der Stadt – nebeneinander, miteinander, übereinander. Vielmehr als ein historisches Konstrukt ist Stadtgeschichte also eine fortlaufende Erzählung, die von ihren zahlreichen Bewohner*innen ständig ergänzt und erweitert wird. Genau diese multiperspektivische Wahrnehmung und ihr Potenzial ist Ausgangspunkt der vom niederländischen Künstler und Wahlberliner Maarten Janssen kuratierten Ausstellung “Features – 10 Sichten auf Berlin” in der Nikolaikirche. Der Ort ist nicht zufällig gewählt: In direkter Nachbarschaft sind zwei Friese angesiedelt, die sich auf ganz unterschiedliche Weise Berlins Geschichte annähern. Der Terrakottafries am Roten Rathaus entstand zwischen 1860 bis 1869 nach einem Entwurf des Architekten Hermann Friedrich Waesemann und zeigt Großereignisse wie die Stadtgründung in 36 epischen Reliefs. Anlässlich der letzten Kunstausstellung der DDR zwischen 1987 und 1988 schuf der Bildhauer Gerhard Thieme einen Betonfries, der sich mit der sozialistischen Vergangenheit der Stadt auseinandersetzt. Nur in der Gegenüberstellung beider Arbeiten werden die Brüche und Auslassungen deutlich, die durch die Verbreitung einer einheitlichen und meist eindimensionalen Stadtgeschichte entstehen.


Features, © Stadtmuseum Berlin, Foto: Christian Kielmann

Das prominente Format dient somit als Verbindungsstück zwischen den zehn Arbeiten in der Nikolaikirche: Wie Friese zieren sie beide Seiten des Mittelgangs und bilden eine Einheit, die erst beim Durchschreiten gebrochen wird. Anhand von vergangenen Momenten und aktuellen Debatten erzählen zehn in Berlin lebende und arbeitende Künstler*innen ihre teilweise sehr persönliche Geschichte der Stadt. Die Arbeit “Migration Pride” von Nadria Husain nimmt dabei direkt Bezug auf den Ausgangspunkt der Ausstellung: Die historischen Friese in der Stadtmitte gehen jeweils auf ihre eigene Weise von einer weißen und einheitlichen Ideologie aus. Fast comichaft inszeniert Husain in ihrem Fries eine Perspektive auf die Stadt, die gerade im öffentlichen Raum selten Wertschätzung erfährt. Migration und wie diese einen Ort oft ungesehen prägt, ist das zentrale Thema im Schaffen der indisch-französischen Künstlerin. Obwohl sich gerade Berlin als deutsche Hauptstadt oft anderer Kulturen und ihrer Monumente bedient, sich diese sogar nicht selten aneignet, – wie das in Husains Fries dargestellte Ischtar-Tor und die Büste der Nofretete – werden sie nicht als Teil der eigenen Identität anerkannt. Ein antirassistischer Protest zeigt queere und multinationale Aktivist*innen – gerade dieser Gegenkultur ist die Aufrechterhaltung der Demokratie an vielen Stellen zu verdanken.


Norbert Bisky: Baile Berlin | 2020 | Öl auf Leinwand | 200 x 460 cm | courtesy KÖNIG GALERIE, Berlin/London/Tokio | © VG Bild-Kunst | Foto: Bernd Borchardt

Der Maler Nobert Bisky, der im letzten Jahr bereits die St. Matthäus-Kirche am Tiergarten mit seiner Ausstellung “POMPA” bespielte, erinnert mit “Baile Berlin” an die Anfänge der Berliner Clubkultur. Neongrelle, halbnackte Körper tanzen den heute so romantisieren Techno der 1990er Jahre: Kurz vor der Wende initiierten DJ Dr. Motte und die Multimediakünstlerin Danielle de Picciotto 1989 die erste Loveparade. In den darauffolgenden Jahren entstand in den verlassenen Industriebauten des Berliner Ostens eine Partyszene, die noch heute von ihrem sozialen, sexuellen und politischen Freiheitsgedanken lebt. Obwohl auch diese Ebene Berlins längst durchkommerzialisiert wurde und die verbliebenen Clubs in Friedrichshain nicht erst seit der Pandemie vom Aussterben bedroht sind, ziehen sie täglich zahlreiche Tourist*innen und Neuberliner*innen in die Stadt. Auch in Biskys Fries profitiert die Stadt von einer Gegenbewegung, die sie nur bedingt im öffentlichen Raum anerkennt.


Friederike Feldmann: Manuel | 2020 | Styrodur, MDF, Holz | 180 x 460 cm | courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin | © VG Bild-Kunst | Foto: Jannes Linders

Die Malerin Friederike Feldmann macht die eigene Handschrift zum Thema ihrer Arbeiten: Stark vergrößert wird das geschriebene Wort unkenntlich und unbedeutend – was hier im Vordergrund steht ist der Gestus selbst. Auch ihr Fries “Manual” zeigt ein für Feldmann typisches Schriftbild. Ungewöhnlich ist dabei die Ausführung: Ein Relief aus weißem Styrodur birgt Vertiefungen und Erhebungen, erinnert auf den ersten Blick an eine Druckplatte. Erst in der Seitenansicht, die Feldmann anhand eines Modells im Videointerview präsentiert, offenbart sich ein dreidimensionales Bild, das an die Topografie einer Stadt erinnert. Die Referenz an den Prozess des Druckes ist nicht zufällig gewählt, geht es in der Arbeit doch um die fortlaufende Geschichtsschreibung, die immer wieder revidiert und überlagert wird. Im Interview geht Feldmann konkret auf die Diskrepanz ein, der Berliner Künstler*innen in ihrem Alltag ausgesetzt sind: Zwar lebt die Stadt von der Kultur, die sie schaffen, Kulturschaffende selbst werden aber, unter anderem durch Investorenprojekte, immer weiter an ihren Rand verdrängt. Auch ihr Arbeits- und Lebensraum, der essentieller Teil der Stadtidentität ist, wird somit überschrieben und unsichtbar gemacht.

Anstelle von Ausstellungstexten begleiten “Features – 10 Sichten auf Berlin” Videointerviews, die auf iPads unterhalb der einzelnen Friese platziert sind. Eine ungewöhnliche Herangehensweise, die gerade deshalb wirksam ist: Nur selten kommen Künstler*innen so unkommentiert zu Wort. Die Ausstellung des Stadtmuseums bietet gerade deshalb wichtige Anknüpfungspunkte, weil sie nicht versucht, einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen einzelnen Arbeiten herzustellen. So wird eine Perspektive auf Berlin erkennbar, die sich nie als abgeschlossen betrachtet, unterschiedliche Erzählungen zulässt, von diesen lernt und gerade in ihrer Vielschichtigkeit neue Lösungsansätze für aktuelle Diskussionen erfährt.
Eine zentrale Debatte ist dabei die aus anderen Kulturen angeeignete Kunst, die nach wie vor in zahlreichen Museen der Stadt zu finden ist. Wenn diese Raubkunst schon nicht an jene Nationen zurück übergeben wird, denen sie entrissen wurde, sollte sie nicht wenigstens als solche kenntlich gemacht werden? Auch an vielen anderen Stellen geht es um die Offenlegung von alternativen Geschichten und Realitäten – wie die der ehemaligen DDR, an die im Stadtraum nur selten über Ostklischees hinaus erinnert wird oder die der gesamten Kulturszene, die sich pausenlos und immer drastischer in ihrer Existenz bedroht sieht. Beide sind essentieller Teil von Berlins Identität und dürfen doch nicht aktiv auf seine Außendarstellung einwirken. Was den Blick auf die Ausstellung trübt, ist ihr Kontext: Es fällt schwer, die Ausstellung in der beeindruckenden Kirchenumgebung auf sich wirken zu lassen. Und auch, wenn zwei Friese ihren Ausgangspunkt bilden, nimmt das Format den einzelnen Arbeiten an vielen Stellen ihre Freiheit. Vielleicht ist aber auch das Teil von Berlin: reizüberflutend, chaotisch, niemals linear.

Features – 10 Sichten auf Berlin
Sonderausstellung: 04.09.2020 – verlängert bis 24.01.2021

MUSEUM NIKOLAIKIRCHE
Nikolaikirchplatz | 10178 Berlin
www.stadtmuseum.de

Hanna Komornitzyk

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