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Räumlicher Widerstand oder: Kunst als stadtpolitisches Instrument

von Hanna Komornitzyk (18.10.2020)
vorher Abb. Räumlicher Widerstand oder: Kunst als stadtpolitisches Instrument

Uferhallen-Manifest 2020, Ausstellungsansicht, Foto: Wolfgang Ganter

Existenzieller wird´s nicht: Die Ausstellung “Manifest” in den Uferhallen befasst sich vom 11.10. bis zum 25.10.2020 nicht nur inhaltlich mit urbanen Räumen, sondern bezieht ganz aktiv Stellung zum aktuellen Status der Berliner Kulturszene.

Es steht nicht gut um die Kunst in Berlin: Nach dem Rückzug der Sammlung Flick machte im Juli 2020 Olbrichts me Collectors Room dicht, der Berliner Ableger der Julia Stoschek Collection wird voraussichtlich Ende 2022 die Stadt verlassen. Aber nicht nur private Sammlungen und Ausstellungsorte sind ob steigender Mieten und stadtpolitischer Entwicklungen in ihrer Existenz gefährdet, sondern auch die Künstler*innen selbst. Zahlreiche Atelierhäuser mussten über die letzten Jahre schließen, viele weitere stehen angesichts unbezahlbarer Quadratmeterpreise und gekündigter Mietverträge kurz vor dem Ende. Auch den Uferhallen in Wedding droht dieses Schicksal: Mehr als 80 Ateliers, unter anderem von Katharina Grosse, Werner Liebmann und Harriet Groß, sind seit 2007 auf dem denkmalgeschützten Gelände des ehemaligen Transportbetriebshofs angesiedelt. Bereits seit 2017 konnte sich der Investor Augustus Capital Management einen Großteil der Aktien für das Gelände sichern, um schließlich 2019 seine Pläne zum massiven Umbau vorzulegen. Anstelle von Ohnmacht, die Berlins Kulturszene verständlicherweise vielerorts trifft, wurde in den Uferhallen jedoch schnell in Aktion getreten: Mit dem 2019 gegründeten Verein haben sich Mieter*innen zusammengeschlossen, um gegen die Verdrängung anzukämpfen – die nun zum zweiten Mal stattfindende Ausstellung “Eigenbedarf” ist als Teil des “Uferhallen-Manifests” sowohl räumlicher Protest als auch Daseinsberechtigung für die Sichtbarkeit von Kultur im Stadtraum.


Kerstin Honeit, Uferhallen-Manifest 2020 Ausstellungsansicht Foto: Merle Büttner

Weitläufig ist das Gelände an der Panke und es fällt nicht schwer, Kultur hier zu verorten: Die zahlreichen Gebäude aus rotem Backstein sind verwinkelt, gehen ineinander über, scheinen wie gemacht für künstlerische Interaktion. Die große Halle im Zentrum ist Hauptaustragungsort der Ausstellung: Sie bietet genügend Raum und nüchterne Neutralität für mehr als zwanzig Installationen von hier ansässigen Künstler*innen und Gästen. Die Videoinstallation “Pigs in Progress” von Kerstin Honeit stellt einen Zusammenhang zwischen der aktuellen Verdrängung von Kulturstandorten aus dem inneren Stadtraum und lokalen Berichterstattungen aus dem Grunewald her: Vor eine Kulisse mit verschneiten Bäume und friedlich fressenden Wildschweinen trägt Honeit Audiokommentare Betroffener vor, die vom Einfall der im Wald lebenden Tiere in den heimischen Garten berichten. Das hypothetische Szenario einer Wildschweinpopulation, die sich gegen den Zuzug der aus dem innerstädtischen Bereich verwiesenen Bewohner*innen wehrt, ist nicht nur amüsant, sondern auch als offene Fragestellung zu sehen: Welche langfristigen Konsequenzen hat räumliche Verdrängung auf die Lebensqualität, wenn sie in diesem Ausmaß stattfindet? Anke Beckers Reihe von Papierarbeiten ist hingegen im wahrsten Sinne des Wortes Kapitalismuskritik: Auszüge aus der britischen Financial Times schwärzt sie für “Economic Words” so ein, dass aus gängigem Wirtschaftsvokabular Alltagspoesie entsteht. In monochromer Ästhetik nehmen emotionale und persönliche Aussagen einen ökonomischen belegten Raum ein – einen Raum, in dem klar definierte sprachliche Codes Machtpositionen definieren und verfestigen. Peter Dobroschkes Installation bezieht sich ganz konkret auf die aktuelle Situation der Uferhallen-Gemeinde: Die sinnbildliche Schenkung eines Baumes zum Start einen neuen Bauprojekts ist ein häufiges Motiv der Immobilienbranche. Vielmehr als um die Aktion selbst geht es um die medienwirksame Inszenierung, die Projekte schon vorab positiv und naturnah positioniert. Dobroschkes Baum wird mit allem Zubehör geliefert: Erde, Spaten, Gießkanne – einer Pflanzung stünde nichts mehr im Wege, wäre die komplette Fläche des Geländes nicht versiegelt. Ein Foto zeigt den Künstler mit einem Vertreter der Augustus Capital Management bei der Übergabe. Auch hier wird die Wirtschaftssprache sichtbar gemacht und angewandt, um auf einen weitreichenden Missstand hinzuweisen. Langsam, allmählich und schleichend haben Investorenprojekte einen großen Teil des Stadtraums eingenommen: Die über Jahrzehnte perfektionierte Außenkommunikation der Branche, in der jedes Wort und Bild bewusst gewählt ist, kommt einem Protest nicht selten zuvor – sie besänftigt betroffene Stadtbewohner*innen, ohne dass sie sich dessen bewusst sind.


Peter Dobroschke, Uferhallen-Manifest 2020, Ausstellungsansicht Foto: Wolfgang Ganter

Das “Manifest” der Uferhallen ist umfangreich und raumgreifend. Stark verdichtet beweist es, was das Zusammenspiel von Stadt und Kunst im besten Fall hervorbringen kann: Eine vielseitige Kulturlandschaft, die Berlin demokratisch und lebenswert macht. Dabei offenbart die Ausstellung ein Paradox, dem die hiesige Kunstszene sich gegenwärtig mehr denn je ausgesetzt sieht: Obwohl gerade Kultur die Attraktivität von Standorten und den Wert von Immobilien steigert, sind ihre Akteur*innen in der Regel die ersten, die der Gentrifizierung weichen müssen. Wie aber verändert sich die Stadt, wenn Kultur zukünftig lediglich an ihren Rändern stattfinden darf? Zum Eröffnungswochenende luden zahlreiche ortsansässige Künstler*innen zum Besuch in ihrer Ateliers. Beim Durchschreiten dieser oft sehr intimen Orte wird ihre Notwendigkeit umso deutlicher: Kunst entsteht gerade dort, wo ihr Raum und Unabhängigkeit gewährt wird – sie getrennt vom urbanen Leben zu betrachten ist unmöglich. Die Ausstellung macht sichtbar, wie komplex Stadtpolitik agiert und wie schwer ein Entgegenwirken dadurch fällt. “Eigenbedarf” ist somit als politischer Widerstand zu verstehen – als eine Hausbesetzung, eine Intervention und ein Aufschrei, der eigentlich viel lauter sein sollte. Denn vom Schwinden der Kunst sind alle betroffen, die Berlin für eben jene schätzen.

Ausstellungslaufzeit: 11.10.-25.10.2020 (montags geschlossen)
Uferhallen, Uferstr. 8, 13357 Berlin
Tickets: hier

Hanna Komornitzyk

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Titel zum Thema Uferhallen:

Die Zukunft der Berliner Uferhallen ist gerettet
Nachricht: Die Zukunft der Uferhallen im Berliner Wedding für Künstlerinnen und Künstler ist gesichert

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