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Im Namen der Kunst: Fotografien gegen das Vergessen

von Hanna Komornitzyk (04.11.2020)
vorher Abb. Im Namen der Kunst: Fotografien gegen das Vergessen

Jeanne Fredac, Verantwortung, Adagp, Paris, 2020

Anlässlich des 150. Geburtstags gedenkt die GEDOK Berlin ihrer Gründerin Ida Dehmel: Im Kontext der Erinnerungskultur setzen sich zwölf Fotografinnen für “Nicht ins Namenlose versinken” noch bis zum 22. November mit der Bedeutung des gesprochenen Wortes auseinander.

“Laß mich nicht ins Namenlose versinken! Spreng deine Fesseln – oder nur einen Augenblick reich mir die goldenen Tafel, und neben die Runen der Helden und der Weisen schreib ich hinsinkend: Ich liebte.” So antwortet Ida Dehmel in “Psalm zweier Sterblichen” ihrem Mann, dem Lyriker Richard Dehmel. Als groß und für den Beginn des 20. Jahrhunderts skandalös galt ihre Liebe: Briefwechsel zwischen den beiden, die zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens bereits verheiratet waren, blieben erhalten, aber auch einige der bekanntesten Gedichte Richard Dehmels, wie Verklärte Nacht, sind seiner Frau Ida gewidmet. Dem Klischée der Muse entsprach diese aber keinesfalls – konnte sie sich doch schon während ihrer ersten Ehe in Berliner Kreisen als passionierte Kunstförderin etablieren. Dehmel war Feministin erster Stunde und engagierte sich u.a. für das Frauenwahlrecht. Im Jahr 1926 gründete sie die heutige Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstfördernden e. V. – unter dem Kürzel GEDOK bekannt ist dieses disziplinübergreifende Netzwerk das älteste und europaweit größte seiner Art. Für ihren beruflich eher erfolglosen Mann war sie mehr als zehn Jahre das, wofür sie heute wohl als Agentin und Managerin bezeichnet würde. Dem nationalsozialistischen Regime entzog sich die deutsche Jüdin 1942 durch den Freitod. Zeit ihres Lebens setzte sie sich für die Kunst ein – als eine übergreifende Sprache, die Menschen unterschiedlichster Sozialisation verbindet und in einen Dialog bringt.

Auch in der Ida Dehmel gewidmeten Ausstellung Nicht ins Namenlose versinken (Ida Dehmenl) – Ver_antworten in der Berliner GEDOK Galerie geht es folglich um einen Dialog: Nicht wird den hier vertretenen Künstlerinnen eine Stimme gegeben, sondern sie äußern die eigene, indem sie in Fotografien auf ganz unterschiedliche Weise die Sprache selbst zum Thema machen. Jeanne Fredac begibt sich in ihren Bildern an verlassene Orte, die sie still und mit feinem Gespür für Farben inszeniert: alte Schwimmbäder mit wasserlosen Pools, die menschenleeren Sitzreihen eines Theatersaals, Altbauten, in denen bereits der Putz von den Wänden blättert. Auch das Titelbild der Ausstellung ist Teil dieser melancholischen Reihe, die im Kontext der Pandemie eine ganz neue Deutungsebene gewinnt: Verantwortung (2017) zeigt eine Hauswand, vor der sich eine weiße Fläche – wohl für die Plakatierung gedacht – abhebt. Die Metapher des unbeschriebenen Blattes drängt sich auf und dennoch ist die Arbeit keineswegs pathetisch, indem sie eine Deutung offen lässt. Fredac macht das sichtbar, was fehlt: Eine Stellungnahme, Leben, das geschriebene Wort. Seit 2005 reist die Fotografin, zunächst in Ostdeutschland, an die zahlreichen Schaustätten der Geschichtsschreibung, aber auch jene des Alltags. Sie lässt diese Orte für sich sprechen – gewährt ihnen, gegen das Vergessen anzukämpfen.


Paola Telesca,Quoting H.Arendt: We Refugees - Nansen Passports - documents for stateless persons, 2019, Fotografie à 90x110cm/44,4x53,4cm

Bereits seit Mitte der 1980er Jahre lebt die Römerin Paola Telesca in Berlin, zunächst im Teil der ehemaligen DDR. Oft setzen sich ihre Arbeiten mit der Identität von Orten und der Frage auseinander, wie diese durch die Menschen, die sie bewohnen, verändert werden – aber auch, wie Orte Menschen neu definieren. In der Serie quoting Hannah Arendt: We Refugees widmet sich Telesca dem gleichnamigen Essay der deutsch-jüdischen Theoretikerin: In Wir Flüchtlinge (1943) beschreibt Arendt, die selbst das Exil zunächst in Frankreich und dann in den USA suchte, aus der Perspektive eines fiktiven Herrn Cohn die Unmöglichkeit der Zugehörigkeit zu einem neuen Land. Geflüchtete bleiben Arendt zufolge Zeit ihres Lebens vogelfreie Neuankömmlinge ohne Rechte. Telescas Arbeit Nansen Passports – documents for stateless persons (2019) erinnert an die Geschichte Geflüchteter, die während des Zweiten Weltkriegs mithilfe der sogenannten Nansen-Pässe Deutschland verließen. Benannt ist dieser Reisepass nach dem Hochkommissar des Völkerbundes für Flüchtlingsfragen Fridtjof Nansen, der ihn ursprünglich während des Ersten Weltkriegs für russische Geflüchtete entwickelte. Die Fotografie setzt sich wie ein Mosaik aus drei Aufnahmen zusammen, hinter denen in Doppelbelichtung eines der Reisedokumente gelegt ist. Im Vordergrund sind die Münder dreier Personen zu sehen, festgehalten im Akt des Sprechens: Sie scheinen das Wort “Refugee” zu formen. Gerade weil Telesca ihre Protagonist*innen durch die bewusst gewählten Ausschnitte anonymisiert, macht sie ihre Gemeinsamkeit sichtbar und lässt sie zu Wort kommen.


Christine Sophie Bloess, Spiegelbild eins, zwei, drei…

Auch die Bilder von Christine Sophie Bloess haben eine Komponente des Anonymen: Oft sind Unschärfen und Belichtungsstufen zu sehen, durch die in den aus Autofenstern fotografierten Serien
Berolina Blue und Winterreise vertraute Szenerien des Urbanen entstehen. Im Kontext der GEDOK zeigt sie Spiegelbild eins, zwei, drei… im Selbstportrait: Immer näher tritt sie im Laufe der drei Fotografien an den Spiegel heran, sodass das Blitzlicht ihre Person in der letzten Aufnahme fast vollkommen unkenntlich macht. Die Objekte auf der Ablage unterhalb des Spiegels geben der Reihe eine zeitliche Ebene, denn sie variieren von Bild zu Bild. Der Ort ist hingegen immer derselbe, wie die weißen Badezimmerfliesen im Hintergrund signalisieren. Subtil und persönlich dokumentiert Bloess eine bekannte Situation des Alltäglichen, infolgedessen sie sich – trotzdem sie sich der Kamera beständig nähert – bis in die letztendliche Namenlosigkeit immer mehr von sich selbst zu entfernen scheint.

Nicht zuletzt aufgrund des aktuellen politischen Klimas – sowohl in Deutschland, als auch weltweit – zeigen die Fotografien aus Nicht ins Namenlose versinken die Bedeutung einer Kultur des Erinnerns. Mehr als 100 Jahre nachdem Ida Dehmel für ihre Rechte kämpfte, sehen sich Frauen in ganz Europa erneut gezwungen, auf die Straße zu gehen und diese zu verteidigen. Der Konflikt um das Abtreibungsverbot in Polen, gegen das zehntausende Frauen zur Zeit in Warschau protestieren, ist nur eines vieler Beispiele, die eindringlich verdeutlichen, dass es in unserer eigenen Verantwortung liegt, zu erinnern. Jüngst unterzeichneten die USA gemeinsam mit dreißig anderen Nationen, darunter Saudi-Arabien, Weißrussland und Ungarn, die
Geneva Consensus Declaration – eine internationale Erklärung, die Frauen in diesen Ländern zukünftig das Recht auf Abtreibung absprechen soll. Angesichts solch rückwärts gerichteter Trends ist jedoch nicht nur lauter und kompromissloser politischer Protest gefragter denn je, sondern auch eine Form der Kunst, die diesen immer wieder und unermüdlich zum Thema macht. Dehmels Ansatz bleibt also auch zu ihrem 150. Geburtstag einer der wirkungsvollsten überhaupt: Kunst nämlich als eine Sprache zu betrachten, die über nationale und gesellschaftliche Grenzen hinweg Verbindungen setzt, Auseinandersetzung einfordert und somit verhindert, dass Geschehnisse wie Einzelne ins Namenlose versinken können.

GEDOK Berlin
Suarezstraße 57
14057 Berlin
GEDOK-berlin.de

Hanna Komornitzyk

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