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Mit Hito Steyerl und Leonardo da Vinci auf Unterseereise

von Urszula Usakowska-Wolff (03.12.2020)
vorher Abb. Mit Hito Steyerl und Leonardo da Vinci auf Unterseereise

Hito Steyerl, Virtual Leonardo’s Submarine, 2020, Virtual Reality, Duration variable, Courtesy the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2020

Eine doppelte Premiere: Zum ersten Mal zeigt Esther Schipper eine Soloschau von Hito Steyerl (* 1966 in München), zugleich ist das die erste Ausstellung dieser Berliner Galerie, die ausschließlich in Form eines 360-Grad-Panoramas auf ihrer Webseite präsentiert wird. Es handelt sich um Virtual Leonardo´s Submarine, ein Projekt, das ursprünglich als Dreikanalvideoinstallation im vorigen Jahr auf der 58. Biennale von Venedig aufgeführt wurde. Nun hat die weltweite Kunstgemeinde die Möglichkeit, in das faszinierende und verführerische VR-Universum einzutauchen, um mit der kritischen Multimedia-Künstlerin, Philosophin, Autorin, UdK-Professorin und Trägerin des Käthe-Kollwitz-Preises (2019) die Tiefen des Meeres und der Geschichte im Netz zu ergründen.

Zwischen Algen, Quallen und Korallen

Das Eintauchen ist wörtlich gemeint, denn die Handlung, in der ein von der Künstlerin verkörpertes U-Boot die Hauptrolle spielt, findet unter Wasser statt. Der Avatar von Hito Steyerl taucht in der Montur einer Fallschirmspringerin mit der Aufschrift PEOPLE auf dem Rücken zwischen Korallen, Algen, Quallen, Haien, Delphinen und verblassten Skizzenblättern. Das zehnminütige Unterseestück wird von einer dramatischen Musik begleitet, in der Wellen zischen und sich mit Möwengeschrei, Fischgesängen und martialischen Tönen vermischen. Worum es dabei geht, klärt eine angenehme und etwas monotone Stimme auf Italienisch (mit englischen Untertiteln) auf: um den Missbrauch des Namens Leonardo da Vincis (1452–1519) für aktuelle militär-politische Zwecke. Während wir uns durch den Film von rechts nach links und von oben nach unten durchklicken, staunen wir über die schöne neue virtuelle Welt und hören, dass Leonardo 1515 eine Waffe zur Verteidigung Venedigs gegen die Angriffe des Osmanischen Reichs entwarf. Dies soll der Prototyp eines U-Boots gewesen sein, das nach der Fertigstellung feindliche Schiffe versenken könnte. Obwohl ihn der Doge der Serenissima dafür fürstlich belohnt hätte, verzichtete der technikbegeisterte Künstler darauf, ihm seine Erfindung zu verkaufen. Er kam nämlich zum Schluss, dass die Menschen böse und dazu fähig sind, sich sogar auf dem Meeresboden gegenseitig zu töten. Wie alle seine Notizen und Skizzen führte Leonardo da Vinci auch diese spiegelverkehrt mit blauer Tinte aus, sodass sie schwer zu entziffern sind. Diese Skizze befindet sich seit dem 17. Jahrhundert im sogenannten Codex Windsor (in der Royal Collection im Windsor Castle), der heute insgesamt 606 einzeln katalogisierte Blätter da Vincis zählt.


Hito Steyerl, Virtual Leonardo’s Submarine, 2020, Virtual Reality, Duration variable, Courtesy the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2020

Botschaften der Unterseelandschaften

Dass Leonardo ein großer Ingenieur und Konstrukteur war, der mehr oder weniger todbringende Geräte erfand, die seiner Zeit weit voraus waren, ist eine Legende. Sie eignet sich aber dazu, die Machenschaften eines zeitgenössischen Global Players zu enttarnen, was die eigentliche Botschaft von Virtual Leonardo´s Submarine ist. Idyllische Unterseelandschaften bilden einen starken Kontrast zu dem, was im Video erzählt wird: Die Geschichte der Aktiengesellschaft Finmeccanica, die seit 2017 Leonardo heißt und zum Teil der italienischen Regierung gehört. Es ist ein Luft- und Raumfahrt-, Sicherheits- und Rüstungskonzern, der unter anderem Kriegsflugzeuge nach Saudi-Arabien sowie Waffen, die von den türkischen Streitkräften gegen Zivilisten in Syrien eingesetzt wurden, verkaufte. Darüber hinaus wird im Film auch das Modulo Sperimentale Elettromeccanico (MO.S.E) erwähnt, ein Sturmflutsperrwerk, das seit 2014 die Altstadt von Venedig vor Überschwemmungen schützen sollte. Heute nicht ganz fertiggestellt, sorgt das ökologisch umstrittene, astronomische Kosten verursachende Projekt für Aufsehen als ein riesiger Korruptionsskandal und ein Beispiel des bürokratischen Wahns. Auch der für die Lagunenstadt verheerende Kreuzfahrttourismus wird im Virtual Leonardo´s Submarine besprochen. Am Ende des Videos werden wir aufgefordert, in den nächsten 500 Jahren nicht nach da Vincis Skizzen des U-Boots und der anderen Kriegsgeräte zu suchen, sondern das Bildnis einer geheimnisvollen Frau zu betrachten, auf der vielleicht ein Lächeln erscheint ...


Hito Steyerl, Virtual Leonardo’s Submarine, 2020, Virtual Reality, Duration variable, Courtesy the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2020

Mit einem Klick in die Wirklichkeit zurück

Virtual Leonardo´s Submarine ist ein aufregendes Erlebnis in unseren interessanten, aber ereignisarmen Coronazeiten, die viele von uns im Home Office vor dem PC verbringen müssen. Das tiefgründige Unterseepanorama ist auch deshalb eine angenehme Abwechslung, weil wir selbst mit dem Mauszeiger sein Tempo und die Größe der einzelnen Animationen bestimmen und manchmal den Eindruck haben, neben, über oder unter der submarinen Hito Steyerl zu schwimmen. Es ist auch möglich, den Film in einer Endlosschleife laufen zu lassen und ihn erst dann zu verlassen, wenn wir uns daran sattgesehen haben. Und dann – mit nur einem Klick – sind wir in der Wirklichkeit zurück. Bis uns die Sehnsucht nach dem Unterseebot von Hito Steyerl dazu verlockt, erneut in ihre tiefgründige und augenweidende Kunstwelt einzutauchen.

Hito Steyerl
Virtual Leonardo’s Submarine
bis zum 9. Januar 2021
Esther Schipper, Berlin, in Zusammenarbeit mit der Andrew Kreps Gallery, New York
estherschipper.com
andrewkreps.viewingrooms.com

Hito Steyerl: I Will Survive
bis zum 10. Januar (coronabedingt bis auf weiteres nur online)
Kunstsammlung NRW K 20
www.kunstsammlung.def

Urszula Usakowska-Wolff

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