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Meisterin der deeskalativen Verzerrung: Die androgynen Bildsphären der Cindy Sherman bei Sprüth Magers

von Hanna Komornitzyk (15.12.2020)
vorher Abb. Meisterin der deeskalativen Verzerrung: Die androgynen Bildsphären der Cindy Sherman bei Sprüth Magers

Installation view, Cindy Sherman, November 20, 2020– February 13, 2021, Sprüth Magers, Berlin
© Cindy Sherman
Courtesy Sprüth Magers and Metro Pictures, New York Photo: Ingo Kniest


In einer zehnteiligen Fotoserie widmet sich die amerikanische Künstlerin Cindy Sherman gewohnt eigenwillig und treffsicher unserem Bedürfnis nach geschlechtsspezifischen Zuweisungen – zum ersten Mal außerhalb der USA ist die Reihe noch bis zum 13.02.2021 bei Sprüth Magers zu sehen.

Cindy Sherman bedarf keiner formalen Vorstellung: Seit mehr als vierzig Jahren inszeniert sich die New Yorker Fotografin in surrealen Portraits und stürzt dabei immer wieder manch normativ-ästhetisches Weltbild in eine tiefgreifende Identitätskrise.

Für alle Motive typisch sind ihre stahlblauen Augen, die sich mit starkem Blick direkt der Kamera zuwenden – vertraut ist die Sherman ihrer eigenen Bilder und doch fernab der Realität. Die bis ins Äußerste getriebenen Verzerrungen und Bildmanipulationen sind auf eindringliche Weise menschlich und verletzlich – vielmehr als die Künstlerin selbst verkörpern sie eine übergreifende Weiblichkeit, die sich jeglichem Geschlechterstereotyp widersetzt. Ihre Bilder irritieren, sie stören ganz bewusst und verwehren sich einer Einordnung, ohne dabei aggressiv zu sein – Betrachtenden bleibt nichts anderes, als ihre eigenwillige Visualität hin- und letztendlich anzunehmen. Denn die Kunst von Sherman ist gleichzeitig eine des Nonkonformen und der Deeskalation, wie die aktuelle Ausstellung in der Berliner Galerie von Sprüth Magers zeigt. Die zehn großformatigen Arbeiten einer Reihe von 2019 treiben ihr Spiel mit Geschlechterrollen auf die Spitze und sind dabei doch in sich ruhend schön.


Installation view, Cindy Sherman, November 20, 2020– February 13, 2021, Sprüth Magers, Berlin
© Cindy Sherman
Courtesy Sprüth Magers and Metro Pictures, New York Photo: Ingo Kniest


Ein bereits nachlassender Haaransatz, dicke Brillengläser mit schmalem Goldrahmen und ein elegantes Westernoutfit in gedeckten Farben: Trotzdem bereits durch den Ausstellungstitel Cindy Sherman deutlich wird, dass es sich bei dem Titelportrait Untitled #611 um ein manipuliertes Selbstbildnis der Künstlerin handelt, wirkt es aufgrund sensibel gewählter Details wie Fältchen und Schatten um die Augenpartie faszinierend real. Die Vorstellung, dass es sich hierbei um eine existierende Person handelt, fällt nicht schwer – und das, obwohl ihre Geschlechteridentität nur schwer zu bestimmen ist. Gesellschaftliche Merkmale von Männlichkeit und Weiblichkeit verschwimmen bei Sherman zu einer androgynen Schönheit, die keiner Zuordnung mehr bedarf. Es sind lediglich Nuancen, die auf die eine oder andere Seite des Spektrums verweisen. Das Portrait Untitled #614, das eine selbstbewusst posierende Dandyfigur mit schickem schwarzem Cape vor dem Hintergrund einer Allee zeigt, ist dabei so fesselnd schön, dass sich Betrachtende ungeachtet der eigenen sexuellen Identität zum Modell hingezogen fühlen müssen. Allein jene Fotoarbeiten, auf denen Paare zu sehen sind, machen eine Unterscheidung möglich: Vor einer winterlichen Waldkulisse in Spektralfarben sind es in Untitled #612 Ohrringe, dezent betonte Lippen und das leicht angedeutete Lächeln der linken Charaktere, die sie als weiblich markieren. Mehr noch als in den Einzeldarstellungen wird hier eine gesellschaftliche Erwartungshaltung deutlich: Während Frauen aufmerksam und mit bewusst gewählter Bescheidenheit auf eine Kamerasituation eingehen sollen, wird die männliche Perspektive oft allein durch bildnerische Mittel souverän. Wie in klassischen Portraits nehmen männliche Identitäten den Bildvordergrund oder eine erhöhte Sitzposition ein.


Installation view, Cindy Sherman, November 20, 2020– February 13, 2021, Sprüth Magers, Berlin
© Cindy Sherman
Courtesy Sprüth Magers and Metro Pictures, New York Photo: Ingo Kniest


Angesichts einer digitalen Gegenwart, in der Filterextreme zum Alltag geworden sind – mit hyperrealistischen Deepfakes auf der einen und Addons, welche die eigene Visage live und in Farbe in Außerirdische oder niedliche Tierbilder verwandeln, auf der anderen – sollte es nicht verwundern, dass Cindy Shermans Konzept sich im wortwörtlichen Sinne hervorragend auf die Welt von Instagram überträgt. Auch in der sich sekündlich erneuernden Bilderflut der Plattform geht das Profil der Ausnahmekünstlerin nicht unter, gewohnt selbstironisch fällt es als farbenfroher Störfaktor im eigenen Newsfeed immer wieder auf. Die Frage, ob Kunst im 21. Jahrhundert überhaupt noch aufregen und zu Einzelnen durchdringen kann, stellt sich im Fall von Sherman nicht: Ob in digitalen oder analogen Sphären fahren ihre Bilder eine unumstößliche Linie der Gesellschaftskritik, die ohne Frage eine höhere Halbwertszeit hat als es mediale Trends vermögen. Greifbar definieren ihre Fotografien Geschlechteridentitäten entlang eines Spektrums – greifbarer als aktuelle Debatten und Fürsprecher*innen. Im deutschsprachigen Kontext machen sie so ganz nebenbei die Notwendigkeit des Gendersternchens deutlich: Der Versuch, jenes zu verbildlichen, würde sich unweigerlich in Cindy Shermans Arbeiten manifestieren.

Cindy Sherman
bis 13.Februar 2021

Sprüth Magers
Oranienburger Str. 18
10178 Berlin
spruethmagers.com

Hanna Komornitzyk

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