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Stadtreform für alle, aber ohne uns?

von Maximilian Wahlich (23.02.2021)
vorher Abb. Stadtreform für alle, aber ohne uns?

Städtebau-Manifest „Unvollendete Metropole“

Den AIV (Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg) kennen außerhalb der Fachkreise nur wenige, manchen wird er durch die Zeitschrift BB2070 vertraut sein. Vor einigen Monaten suchte der Verein die Öffentlichkeit – mit der groß angelegten Ausstellung Unvollendete Metropole: 100 Jahre Städtebau für Groß-Berlin im prominent gelegenen Kronprinzenpalais. Die Ausstellung wurde durch den Lockdown geschlossen und in Eile vor dem Lockdown noch online zugänglich gemacht. Dieser Webauftritt - von mir hier bereits an anderer Stelle ausführlich besprochen - ist sehr informativ, nutzt jedoch die technischen Möglichkeiten eines Onlineformates nicht kreativ aus – mit dem Effekt einer schulmeisterlichen Gestalt ohne Verlinkungen, gewissermaßen eine Website zum Auswendiglernen.

Jetzt setzte der AIV noch eins drauf: Ergänzt und abgeschlossen wird die Ausstellung zur Geschichte Großberlins mit dem Städtebau-Manifest „Unvollendete Metropole“ für Berlin-Brandenburg. Das Städtebau-Manifest lässt sich über die Website als PDF herunterladen.
Es besteht aus 14 brandaktuellen Punkten. Jeder Punkt ist jeweils in „Ausgangslage“ und „Perspektive“ aufgeteilt, wobei ersteres zum visionären Ausblick verlockt. Keine zweite Region erscheint damit so geeignet für Veränderungen wie der Großraum Berlin-Brandenburg. Zur Sprache kommt die Vielzahl Berliner Stadtteilzentren, die zur 15-Minuten-Stadt prädestiniert scheinen – im Grunde einer ausgebauten Kiezstruktur. Zudem würde der sogenannte Siedlungsstern Zersiedlung verhindern können, vorhandene Wasser und Begrünung sollen im Stadtbild sichtbarer werden, Bahnhöfe und der ÖPNV würden sich besser vernetzen ... Ideen gibt es also einige.

Aber all diese Pläne werden über ihre Absichtsbekundung hinaus nicht weiter vertieft, der Text bleibt im Allgemeinen, im Modus einer Skizze. Insgesamt fehlen im Manifest konkrete Vorschläge, beispielsweise zum Umgang mit Bodenbesitz oder zur Bepflanzung der Stadt. Letzteres ist zur Zeit Thema der gelungenen Ausstellung EINFACH GRÜN Greening the City im Deutschen Architektur Museum Frankfurt/Main (DAM) und über deren Website ebenfalls digital zu erfahren. Die Begrünung des Stadtraumes wird hier mit Projektbeispielen greifbar, fachliche Vertiefungen vermitteln den derzeitigen Wissensstand. Als interaktives Surplus können die Besuchenden ihre eigenen Stadtraumbepflanzungen einreichen und an einem Wettbewerb teilnehmen. Über den „Wettbewerb“ und Artikel im Onlineshop (Samen zur Begrünung des Stadtraums) sowie die Onlinevorträge werden die Besucher*innen nicht nur angesprochen, sondern auch in ihrer Rolle ernst genommen.

Der Text des AIV verblasst angesichts anderer Manifeste. Den kämpferischen Appellen der klassischen Moderne fern, stagnieren die Forderungen des AIV doch nur als handzahmer Vorschlag. Es liest sich wie ein diplomatischer Entwurf, mundgerecht und leicht verdaubar. Die gute Leserlichkeit wurde während der Pressekonferenz hervorgehoben und ja, tatsächlich kann der Text schlicht runtergelesen werden. Ein mutiges Pamphlet, ein bisschen mehr Streitkultur hätten uns die Herausgeber*innen ruhig zutrauen können. Unser aller Stadtraum lässt sich ohnehin nur durch Reibungspotenziale verändern. Hier jedoch wird jeder Anstoß vermieden, immerhin möchte dieses Manifest nicht nur Politiker*innen gefallen und Architekt*innen ansprechen, obendrein soll es fachfremde Menschen mit den Diskursen vertraut machen.
Doch wie lassen sich mit diesem Manifest all die Gruppen vereinen, wo doch jede/r Adressat/in nach einem eigenen Format verlangt? Das Manifest des AIV scheint damit überfordert: Während Politiker*innen nach konkreten Umsetzungsstrategien verlangen, könnte sich die Fachwelt direkt in material- und bauphysikalische Fragen vertiefen. Neues bietet dieses Manifest jenen Menschen ohne fundiertes Vorwissen. Ganz offen wird jene Gruppe von den Herausgeber*innen angesprochen und in die Pflicht genommen – Punk 14: Berlin sei eine Stadt des Protests, hier folgen Strukturen der „Botom-Up-Logik“. Änderungen lassen sich nur gemeinsam mit den Bewohner*innen realisieren.
Demokratisch und inklusiv soll die Stadt der Zukunft also gestaltet werden. Das ist toll und ein wichtiger und zeitgemäßer Anspruch. Leider hapert das Vorhaben just an dieser Stelle. Nicht nur, dass es wie seine Ausstellung sehr starr daherkommt – in Form eines PDFs, welches zur Exegese der 14 Punkte aufruft. Viel gravierender ist, dass bis zuletzt nicht deutlich wird, wer eigentlich angesprochen wird, wer nun handeln soll.

Sicherlich ist das Manifest ein weiterer und notwendiger Weckruf, und vielleicht motiviert es tatsächlich einzelne Menschen unseren Stadtraum mitzugestalten. So fordert der letzte Punkt Protest und Debattenkultur. Offen bleibt aber, was der/die einzelne Bürger*in nun machen kann. Implizit vermittelt ist damit, dass der Protest von vielen Menschen ausgehen muss. Aber wer trägt den Protest eigentlich, wen wollen wir am stadtpolitischen Tête-à-Tête mitreden lassen, wenn nicht das einzelne Individuum?

Maximilian Wahlich

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Titel zum Thema Die Unvollendete Metropole:

Stadtreform für alle, aber ohne uns?
Kommentar zum Städtebau-Manifest „Unvollendete Metropole“.

Die Unvollendete Metropole – Eine Ausstellung mit Baumängeln
Besprechung: Die Jubiläumsausstellung Unvollendete Metropole: 100 Jahre Städtebau für Groß-Berlin im Kronprinzenpalais musste wegen der aktuellen Situation vorzeitig geschlossen werden. Dafür lässt sie sich nun über das Internet ansehen.

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