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Auf den Spuren der behutsamen Stadterneuerung

von Ferial Nadja Karrasch (09.03.2021)
vorher Abb. Auf den Spuren der behutsamen Stadterneuerung

Admiralbrücke, Foto: kuag

Mit einem Audiowalk überbrückt die Berlinische Galerie die Wartezeit bis zur Eröffnung der Ausstellung Anything Goes? Berliner Architektur der 1980er Jahre.

Der Eröffnungstermin der Ausstellung ist vage formuliert: Frühjahr 2021 ist auf der Homepage der Berlinischen Galerie zu lesen. Auch wenn die Temperaturen milder werden, Frisörtermine wieder möglich sind und sich auf Berlins Straßen teilweise der Eindruck von „Normalität“ einstellt – es ist nicht sicher, wann die Museen und andere Kultureinrichtungen tatsächlich wieder öffnen können.
Um die Wartezeit zu verkürzen, stellt die Berlinische Galerie eine Audiowalk-App zur Verfügung, mit der schon jetzt und ganz Corona-Regel-konform ein Teil der Ausstellung erfahren werden kann.

Die Ausstellung Anything Goes? Berliner Architektur der 1980er Jahre beschäftigt sich mit den Bauten der sogenannten Postmoderne, die im Zuge der Internationalen Bauausstellung 1984/87 (West) und der Bauausstellung 1987 (Ost) entstanden und die Stadt in eine Art „Architekturlabor“ verwandelten. Die Präsentation bezieht zahlreiche Architekt*innen und Künstler*innen ein und geht der Frage nach, was und wer diese Bauten und die dahinterstehenden Visionen prägte.
Die kostenlose Audiowalk-App, die über die Homepage der Berlinischen Galerie abgespielt werden kann, navigiert Interessierte entlang dreier Routen zu bedeutenden Gebäuden und Schauplätzen der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987 (IBA 87) in Kreuzberg sowie zu Beispielen postmoderner Bauten in West- und Ostberlin entlang der Friedrichstraße.

Die Route 2 IBA Alt – Behutsame Stadterneuerung in Kreuzberg führt über insgesamt 12 Stationen bis zum Görlitzer Park. Sie beginnt auf der Admiralbrücke, wo es in den Morgenstunden noch ungewöhnlich ruhig ist. In ein paar Stunden wird es hier – trotz Corona - eng und voll werden; der Ort ist ein beliebter Treffpunkt, die Gegend das, was man einen „Szenekiez“ nennt. Der Blick auf den Kanal, auf die sonnenbeschienenen, sanierten Häuserfassaden und auf das vor nicht langer Zeit neu gestaltete Fraenkelufer machen es schwer, das Kreuzberg der 1970er Jahre heraufzubeschwören. Genau in dieser Zeit, in der dieser Ortsteil noch ein anderes Gesicht hatte, setzt die Audioführung an.
In den späten 1970er Jahren sahen sich viele Bewohner*innen der zum Teil maroden und desolaten Kreuzberger Wohnungen von Sanierungsmaßnahmen bedroht. Stadtsanierung bedeutete vor allem Abriss von Altbauten im Innenstadtbereich und Neubau, verstärkt am Stadtrand. Der sich hiergegen richtende Widerstand vieler Kreuzberger*innen, aber vor allem von Wohnungssuchenden, die mit alternativen Lebens- und Wohnformen experimentierten, manifestierte sich im Besonderen in Form von Hausbesetzungen und sogenannten Instandsbesetzungen. Konflikte zwischen Bewohner*innen und Polizei, Politik oder Hausverwaltungen waren an der Tagesordnung. Im Zuge der immer dringlicher werdenden Frage nach dem Umgang mit der historischen Stadt setzte das Abgeordnetenhaus 1978 eine Institution ein, die den Städtebau in Berlin neu fokussieren sollte: Die Internationale Bauausstellung 1987 (zunächst IBA 1984, die jedoch infolge ihrer Fortsetzung zur IBA 1987 wurde). Sie sah vor, den Altbestand in die Neubauten einzubeziehen, und wollte gemeinsam mit den Anwohner*innen neue Wege einer behutsamen Stadtentwicklung finden.
Die Tour 2 führt zu Gebäuden und Orten des IBA-Bereichs IBA ALT (von „Altbau“) und beginnt an dem Eckgebäude Fraenkelufer/Admiralbrücke. Das im Vergleich zu den umliegenden Jugendstilhäusern extravagant erscheinende Gebäude steht exemplarisch für die Projekte des Architektenduos Hinrich und Inken Baller im Bereich sozialer Wohnungsbau: Das mit öffentlichen Fördergeldern finanzierte und im Zuge der IBA errichtete Gebäude schloss eine der vielen Baulücken und hatte das Ziel, hohe Lebensqualität und geringe Mieten vereinbar zu machen. Der Blick auf das Haus in bester Lage, vor dessen Fenster nicht nur der Landwehrkanal, sondern auch das Kreuzberger Leben in all seinen Facetten vorbeizieht, wirft die Frage auf, wie es heute in dem Viertel um das Verhältnis zwischen Wohnqualität und erschwinglicher Miete bestellt ist.

Die Tour geht weiter zum „Wohnregal“ in der Admiralstraße 16, einem experimentellen Projekt der Architekten Peter Stürzebecher, Kjell Nylund und Christof Puttfarken, das 1986 fertiggestellt und zu großen Teilen von den künftigen Bewohner*innen mitbestimmt wurde. Daneben befindet sich das Gebäude, in dem die Redaktion von art in berlin ihr Zuhause hat. Die Admiralstraße 15 ist zwar nicht Teil der Audioführung, veranschaulicht jedoch die eingangs angesprochenen Instandsbesetzungen, durch die einige besetzte Häuser vor dem Abriss bewahrt werden konnten: Die von den Bewohner*innen im Treppenhaus angebrachten Fotografien dokumentieren die eigenhändige Sanierung des Gebäudes und vermitteln einen Eindruck vom damaligen Zustand des Kiezes.

Auf dem Weg zu Station 5, dem Kottbusser Tor und dem Neuen Kreuzberger Zentrum, begegnet man an der Kreuzung Kohlfurther Straße/Admiralstraße dem Doppelgängeradmiral. Das Kunstwerk von Ludmila Seefried-Matejkova (1984/85) soll an jenen Teil der Admiralstraße erinnern, der in den 1970er Jahren durch Abriss und Neubau unwiederbringlich verschwand. Zwei Fernrohre helfen dem sich ursprünglich um die eigene Achse drehenden Doppelgängeradmiral bei der Suche nach dem alten Stadtbild, das man nun auch ganz gerne sehen würde. Doch es fällt als „Spätgeborene“ und ohnehin Zugezogene schwer, sich gedanklich in das alte Kreuzberg zu versetzen. Ich denke mir die Jens-Nydahl-Grundschule und die Gustav-Meyer-Schule weg und lasse Hildegard Knef, Henri Miller und Günter Grass die Straße entlang spazieren, auf dem Weg in die „Kleine Weltlaterne“, die sich schon in den 60er Jahren in der Kohlfurter Straße befand - damals eine stadtbekannte Künstler*innenkneipe, heute ein griechisches Restaurant.


Berliner Architekturen der 1980er Jahre - Audiowalk Route 2, Kottbusser Tor und NKZ, Tiefbauamt Kreuzberg, Senator für Verkehr und Betriebe, Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, u.a., Foto: © Ludger Paffrath

Während am Fraenkelufer alte Bausubstanz zum Teil erhalten werden konnte und Baulücken mit innovativen Gebäuden geschlossen wurden, wird am Kottbusser Tor nachvollziehbar, wohin eine verfehlte Stadtplanungspolitik führt: Das heute sehr begehrte Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ) ist ein Beispiel der prä-IBA-Stadtentwicklungspolitik der 1960er und 1970er Jahre, die auf Abriss, Großwohnsiedlungen und die Autogerechte Stadt setzte und mit massiver Mieterverdrängung einherging.

Über die nächsten Stationen, eine Kindertagesstätte in einem ehemaligen Parkhaus in der Dresdner Straße, dem immer noch beliebten Club SO36 und dem Frauenstadtteilzentrum Schokofabrik in der Mariannenstraße, führt die Tour zum U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof, wo sich in den Maikrawallen 1987 die Wut einiger Berliner*innen gegen die IBA und natürlich auch die ungerechte Wohnungspolitik entlud. „Nicht alle Bürger*innen waren mit den Sanierungsmaßnahmen einverstanden. Nicht alle fanden diese so behutsam, wie sie von Seiten der IBA dargestellt wurden“, berichtet die Erzählerstimme.

Vorbei am Spreewaldplatz und dem Lausitzer Platz, dem Spielort von Sven Regeners Roman „Herr Lehmann“, führt die Tour zur letzten Station, dem Görlitzer Park, der auf dem Areal des ehemaligen Görlitzer Bahnhofs angelegt wurde.
Hier, am Ende der Route 2, kommt endlich jene Frage zur Sprache, die schon zu Beginn im Raum stand: Was ist heute von den Zielen der IBA geblieben? Die Antwort fällt wie erwartet aus: „Das Erbe der IBA – behutsame und respektvolle Erneuerung der historischen Stadt, Schutz der Mieter*innen und Gewerbetreibenden vor Abriss und Immobilienspekulation verlor 2010 seine Wirkung.“ In diesem Jahr liefen die im Rahmen der IBA vereinbarten Mietpreisbindungen aus, Wohnungs- und Gewerbemieten schnellten in die Höhe und bedrohen seither die „Kreuzberger Mischung aus Wohnen, Gewerbe, Freizeit und Kultur“. Eine Entwicklung, die wohl auch durch den sogenannten Mietendeckel nicht beendet werden wird.

Der Audiowalk der Route 2 IBA ALT ermöglicht einen Einblick in ein spannendes Kapitel Kreuzberger Geschichte. Er führt zu zahlreichen Stationen, denen man als hier Lebende täglich begegnet ohne zu wissen, wie sie in die Historie dieses Ortsteils eingebunden sind und er macht neugierig auf die Ausstellung Anything Goes? Berliner Architektur der 1980er Jahre, die hoffentlich bald eröffnet werden kann.

Ferial Nadja Karrasch

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