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Der Raum als Blob. Thomas Zipp in der Galerie Guido W. Baudach

von Maximilian Wahlich (02.05.2021)
vorher Abb. Der Raum als Blob. Thomas Zipp in der Galerie Guido W. Baudach

Installationsansicht, Courtesy Galerie Guido W. Baudach, Berlin Foto: Roman März

Seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ist es Konvention, europäische Ausstellungen zeitgenössischer Künstler*innen im White Cube zu präsentieren, einer weißen Kiste mit Parkettboden, Schaufenstern im gehobenen Segment mit Sockelzone und etwas Stuck an der Decke. Mit diesen Räumen verbinden wir luxuriöse Kunst. Distinktiv wirkt der Minimalismus, das reduktionistische Dogma der Innenräume: Schüchtern tritt der weiß getünchte Raum zurück, das Kunstwerk bekommt alle Aufmerksamkeit. Steril und ohne Geschichte wirken die Werke oft wie aus dem Kontext gefallen. Sie sollen zeitlos sein.
Der White Cube ist exklusiv, indem er still und leise daherkommt und jede Kontur und Spur irreversibel speichert. Hier hallt jedes Geräusch. Gewissermaßen konfrontiert uns dieser Raum mit unserer eigenen Leiblichkeit und das ist nicht gerade freundlich. Mit der Marotte, Kunst in ungastlichen Räume zu zeigen, bricht Thomas Zipp in seiner aktuellen Ausstellung Response to Transient and Steady State Flickering Stimuli (dt.: Reaktion auf kurzzeitige und dauerhafte Flackerreize) in der Galerie Guido W. Baudach.

Man könnte diese Ausstellung als räumliche Intervention bezeichnen: Ein Einbau erschließt die Galerieinnenräume vollkommen neuartig und ermöglicht eine andere Kunstwahrnehmung. Zipp nennt diese Szenografie dark blob. Dabei handelt es sich um die gebaute Antithese zum White Cube. Statt exakter Konturen und rechter Winkel sind die Wände geschwungen und verleihen den Räumen einen bogenförmigen Schnitt. Blob lässt sich mit Klecks übersetzen, und so formt sich das Raumkontinuum von oben gesehen wie ein hingeworfener Tropfen. Die Stofflichkeit der schwarzen Wandfarbe ist samtig-matt und absorbiert das gleißend helle Licht, das keine Schatten hinterlässt.
Die dunkel bemalten und wabenförmigen Zimmer gemahnen an Höhlen, heimelige Löcher, die schon vor Urzeiten mit Wandbildern geschmückt worden sind. Zipp möchte aber nicht an frühgeschichtliche Kreidebilder erinnern. Viel mehr befragt dieser Raum unsere Kunstwahrnehmung und Sehgewohnheiten.


Thomas Zipp, Blind Spot Detecting Unit (Hermann Grid), 2021
Acryl, Öl und Lack auf Leinwand, Künstlerrahmen 185 x 155 cm
Courtesy Thomas Zipp & Galerie Guido W. Baudach, Berlin Foto: Roman März


Die Kunstwerke, sonst Ego-Shooter der weißen Zelle, treten zurück und sind Teil einer ganzheitlichen Konzeption. Vor der schwarzen Wand betten sie sich ein, stechen höchstens mit ihrem weißen Rahmen hervor. Die Leuchtkraft erinnert fern an erste Ausstellungen des Blauen Reiter, wo vor einem dunklen Fond die farbstarken Werke hingen. Bei Zipp jedoch gibt es keine mystische Verklärung, die Winkel des Raumes sind hell ausgeleuchtet, der Ausstellungsraum füllte sich nach dem großen Rauswurf alter Konventionen neu.

Thomas Zipps Werke irritieren mit optischem, visuellem und metrischem Flirren. Die Gemälde bespielen mehrere Ebenen. Lebendig wird die großformatige Arbeit Spot Detecting Unit (Hermann Grid) gerade wegen der strengen Gitter-Komposition, die in einem strengen Raster aus weißen Linien an den Kreuzpunkten grau/schwarze Punkte als optische Täuschung evoziert. Darüber purzeln einzelne Würfel. Rechts daneben sind in einer Art Legende mögliche Perspektiven auf Würfelseiten gezeichnet. Zipp geht es um das, was sich hinter dem zu Sehenden verbirgt. Das, was zweidimensional als ein Dreieck scheint, kann als dreidimensionale Figur ein fallendes Viereck sein.
An anderer Stelle ist das Werk Blind Spot Detecting Unit (Spiral). Vor einem grauen Karomuster ist eine flache Landschaft am untersten Bildrand hingehaucht. In den Karofeldern des hohen Himmels stehen rote Zahlen, die spiralförmig abgezählt sind: oben links beginnt die 1, zur Mitte hin dreht sich die Zahlenfolge weiter.
Mehrere Werke haben kleine Markierungen wie Kreuzchen, Punkte und Kreise. Schließt man ein Auge und schaut lange auf eine Markierung, entfällt sie nach kurzer Zeit. Auch hier führen uns optische Täuschungen die scheinbar objektive und exakte Geometrie vor. Sie wird zur relativen Konstante und kann mit nur wenigen Eingriffen ausgetrickst werden.


Thomas Zipp,Blind Spot Detecting Unit (Spiral), 2021
Acryl, Öl und Lack auf Leinwand, Künstlerrahmen 94 x 74 cm
Courtesy Thomas Zipp & Galerie Guido W. Baudach, Berlin Foto: Roman März


Wie der White Cube ist auch die Geometrie nur eine Konstruktion, eine Konvention, mit der wir versuchen, unsere Welt zu erklären, abzubilden und „objektiv“ zu machen. Doch bleiben sie bloß Behelfsmittel, da eine vom Subjektiven bereinigte Darstellung nicht gelingen kann. Diesen Trugschluss entlarvt Zipp mit seinen Werken, die sich wiederum in ihrem neuen Habitat einnisten: Der blob, der Bau, die Kurven und ihr schwarzer Fond, eine Art Teerfleck – Sinnbilder für etwas, das der White Cube die letzten 100 Jahre zusehends ausradierte. Und trotzdem ein künstlich hergestellter, chemisch und hell ausgeleuchteter Ort. Ein Ausstellungsraum eben, der Werke und Besuchende in seinen dunklen, willkürlichen Bögen und weichen Schatten auffängt. Ein Raum, der uns nichts vorwirft, der eine Kunsterfahrung zulässt, die wir mittlerweile kaum mehr kennen. Eine Ausstellung, die wir uns nicht entgehen lassen sollten.

Thomas Zipp. Response to Transient and Steady State Flickering Stimuli
29. April–20. Juni 2021 (Besuch mit Voranmeldung)

Galerie Guido W. Baudach
Pohlstraße 67
10785 Berlin
guidowbaudach.com/

Maximilian Wahlich

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