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Berlin Daily 25.04.2024
Künstlerinnengespräch

19 Uhr: moderiert von Helen Adkins imRahmen der Ausstellung "approaching world" mit Arbeiten von Birgit Cauer, Nathalia Favaro, Kati Gausmann, Juliane Laitzsch und Muriel Valat-B. Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten | Turmstr. 75 | 10551 B

48 Stunden Neukölln: Frischluftkur für erstickte Stadtkultur

von Hanna Komornitzyk (29.06.2021)
vorher Abb. 48 Stunden Neukölln: Frischluftkur für erstickte Stadtkultur

48 Stunden Neukölln / Richardplatz, Speakers-Arena, © Benoit Maubrey.jpg

Art on Air: Rund 600 Künstler*innen befassten sich für die diesjährigen Ausgabe des Kunstfestivals 48 Stunden Neukölln in 250 Projekten mit dem Thema Luft. Als hybride Veranstaltung mit 75 rein digitalen Formaten geplant, konnte das Wochenende vom 18.06. bis zum 20.06.2021 bei schwindelerregenden Temperaturen in beinahe präpandemischen Dimensionen stattfinden und war doch von dieser geprägt.

Die Genezarethkirche am Herrfurthplatz an einem heißen Sonntagnachmittag Ende Juni: Der Raum ist angenehm kühl und in andächtige Stille getaucht, die eigentlich nur von Gotteshäusern ausgehen kann. Als ein Widerhall die Stille durchbricht, geht eine kurze Bewegung durch den Saal. Das kleine Publikum schaut gebannt auf zwei Personen, die sich im Zentrum gegenüberstehen. Sie halten Blickkontakt, ziehen dann in wortloser Übereinkunft nacheinander an einem Seil, um eine Plexiglasscheibe in der Raummitte zunächst zu heben und dann, begleitet von einem dumpfen Aufprall, wieder herabzusenken. Zur linken steht Maler und Konzeptkünstler Daniel M.E. Schaal, zur rechten Performerin Finja Sander. Letztere ist, wie für sie üblich, nackt – was in der vierstündigen Darbietung nicht etwa ein Ungleichgewicht, sondern vielmehr eine spürbare Zerbrechlichkeit entstehen lässt. Es geht um Materialität und Körperlichkeit, die kontrastive Gegenüberstellung zweier Disziplinen. In ihrem Zusammenspiel entsteht für den offenen Werkzyklus ODEM eine ganz eigene Dynamik – buchstäblich wird ihnen Leben eingehaucht. Um genau diesen Hauch – den Atem und die uns umgebende Luft – ging es bei der diesjährigen Ausgabe des Kunstfestivals 48 Stunden Neukölln, der sich in einem diversen Wochenendprogramm ganz unterschiedlich manifestierte.

Ausgangspunkt für das Thema des seit 1999 stattfindenden Festivals waren die Ereignisse des letzten Jahres: Nicht nur die Covid-Pandemie rückte die unsichtbare Materie Luft und den eigenen Atem in den Mittelpunkt fast eines jeden Diskurses, sondern auch die letzten Worte des Afroamerikaners George Floyd. Neun Minuten und 29 Sekunden lang kniete der Polizeibeamte Derek Chauvin auf seinem Hals, bevor Floyd – nach der immer wieder ausgesprochenen Bitte “I can’t breathe.” – am 25. Mai 2020 in Anwesenheit von Zeug*innen durch Erstickung ums Leben kam. Sein Tod löste die andauernden Proteste der transnationalen Bewegung Black Lives Matter aus, die sich seit 2013 weltweit gegen Rassismus und Polizeigewalt gegenüber BiPoc einsetzt. Die Tragweite und das Gewicht von Luft werden in der politischen Auseinandersetzung sicht- und greifbar: Sie ist allgegenwärtig, lebensspendend, unterschätzt, metaphorisch, inspirativ – und eine Gemeinsamkeit, die alle Organismen des Planeten verbindet.


48 Stunden Neukölln / Körnerpark, Streetware, © Anne Freitag

Vor der Galerie im Körnerpark sind 48 Wäscheständer aufgestellt, während im Hintergrund eine Jazzband spielt: Jeder von ihnen ist mit Kleidung behängt, die gegen Spende mitgenommen oder durch eigene ersetzt werden kann. Hinter der Aktion En Plein Air steht das Projekt STREETWARE, das Kleidungsstücke aus den Straßen sammelt und wieder aufbereitet. Ein gesellschaftlicher Protest, der sich nicht nur unter freiem Himmel abspielt, sondern auch Fast Fashion ist Gegenteil überführt, sie entschleunigt und dauerhaft macht. An sechs Stellen im Neuköllner Weserkiez sind die fahrbaren Wäschestationen bereits zu finden. Sie zeigen auf sinnbildlicher wie wortwörtlicher Ebene, dass Aktivismus über die künstlerische Auseinandersetzung tragbar in den eigenen Alltag überführt werden kann. Auch auf dem Richardplatz wird Zurückgelassenes zu Leben erweckt: SPEAKERS ARENA ist genau das, was ihr Name beschreibt – eine aus alten Lautsprechern bestehende, bogenförmige Tribüne. Über zwei Telefonnummern und Anschlüsse können Audioaufnahmen – Musik, Gesang, Reden – direkt an die Skulptur gesendet oder über Mikro und Anlage vor Ort vorgetragen werden. So entsteht eine temporäre und kollektive Klanginstallation, die sich mit Zuhörenden verändert und ihrer Stimmung anpasst. Im Studio Baustelle arbeiten vier Künstlerinnen gemeinsam an einer Arbeit, die wie eine Markise aus Leinen von der Decke hängt. Der Fokus wird hier zugleich auf die künstlerische Praxis und das performative Potential von Kunst gelegt: There Is Something in the Air liegt wie die Kulturlandschaft der letzten 16 Monate in der Schwebe und wird niemals fertiggestellt.

Die zentrale Ausstellung im Kesselhaus des KINDL bringt das Thema Luft in einen didaktischeren Kontext: Für ihre Arbeit AIR lies die argentinische Künstlerin Angeles Jacobi Objekte im öffentlichen Neuköllns auf. Pflanzen, Müll und verlorene Gegenstände werden in kleinen Apparaten zusammengesetzt, denen in einem gleichbleibenden Takt – eine gleichmäßige Atmung suggerierend – Luft gespendet und entzogen wird. Sie zeigen auf kleinstem Format das Miteinander von Mensch und Natur, das trotz der gleichen Lebensgrundlage gestört und bedroht ist. Die Skulpturen aus Chris Dietzels Reihe Dicke Luft bestehen aus Holzkohle, die für das Grillen im Freien die Luft verschmutzt und zu einem großen Teil aus illegalen Tropenrodungen stammt. Auf dem Nachbarschaftscampus Dammweg ist das gemeinschaftliche Gegenprogramm zur Hauptausstellung zu finden: In den Gewächshäusern des Geländes werden Pflanzen zu skulpturalen Objekten erhoben und als Hintergrundfläche für verschiedene Aktionen genutzt. Die Grashügellandschaft Escaping Realities der Standortkoordinatorin Anna de Carlo erinnert an die immersiven Arbeiten des französischen Künstlers Pierre Huyghe und wecken Assoziation einer postapokalyptischen wie postanthropozentrischen Welt.


Anna de Carlo Futureleaks – "Escaping Realities“, 2021 Installation am Nachbarschaftscampus Dammweg in Kooperation mit Berlin Mondiale Foto: Anna de Carlo

Zahlreiche Redewendungen in unserem alltäglichen Sprachgebrauch sind der Luft gewidmet: Etwas liegt in der Luft, jemand geht an die Luft oder macht sich Luft, Pläne hängen nicht erst seit der Pandemie oft in der Luft und ein fürs andere Mal ist die Luft einfach raus. Genauso von Widersprüchen geprägt wie ihre Konnotationen setzten sich auch die Teilnehmenden für 48 Stunden Neukölln mit ihr auseinander. Entstanden sind zahlreiche Begegnungsorte, die vor allem eines vereint: Sie machen sichtbar und schätzen wert, was wir für selbstverständlich nehmen – die Luft zum Atmen wie die Kultur selbst.

Hanna Komornitzyk

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