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Von rechts nach links – Henrike Naumann im Kunsthaus Dahlem

von Maximilian Wahlich (22.11.2021)
vorher Abb. Von rechts nach links – Henrike Naumann im Kunsthaus Dahlem

Ausstellungsansicht, Detail, Foto: Maximilian Wahlich

Das Kunsthaus Dahlem wurde einst als Staatsatelier für einen der meistbeschäftigten Bildhauer des Nationalsozialismus, Arno Breker, erbaut. Der monolithische Bau war Teil einer Grunewalder Kolonie für die sogenannten „Gottbegnadeten“ - 378 von Hitler und Goebbels auserwählte Künstlerinnen und Künstler, die mit Sonderrechten ausgestattet worden, wie zum Beispiel das Erlassen des Dienstes an der Front.
Entstanden war im Rahmen der geplanten Baumaßnahmen jedoch lediglich die Werkstatt, weitere Bauten wurden nie realisiert. Heute lässt sich an diesem Ort ganz unmittelbar mit zeitgenössischer Kunst auf die eigene kulturpolitische Vergangenheit verweisen.

Derzeit ist Henrike Naumann mit der begehbaren Installation Einstürzende Reichsbauten zu Gast, die sich über den gesamten Ausstellungsraum erstreckt. Naumann befasst sich einmal mehr mit rechtsradikalen Strömungen und ihrer (historischen) Kontinuität bis in die Gegenwart. Gebrochen wird der chronologische Faden von ihr selbst, beispielsweise mit spleenigen 1980er Jahre Möbeln. Dabei geht es nicht um eine Dokumentation geschichtlicher Ereignisse oder um soziologische Auswertung. Naumanns Schlaglichter wechseln überraschend sprunghaft und gestatten einen sehr freien Umgang mit der Historie. So werden über originale NS-Möbel kratzig plüschige Flokatis gelegt, gern fleischfarben und hellblau.
Die NS-Möbel dieser Installation stammen selbst von einem Kunstbau, dem von Paul Ludwig Troost entworfenen „Haus der Deutschen Kunst“, heute das Münchner „Haus der Kunst“. Troost starb 1934, im Folgenden übernahm seine Frau Gerdy Troost gemeinsam mit Adolf Hitler die Bauleitung und Inneneinrichtung. Gerdy Troost avancierte zur gern gesehenen Innenarchitektin der nationalsozialistischen Elite. In Dahlem stehen nun unter anderem eine historische Sitzgruppe, Kommode, Bank und das gemalte Fries, einst zum „Tag der Deutschen Kunst“, dem Eröffnungstag des Münchner Kunsttempels, gefertigt.


Ausstellungsansicht, Detail, Foto: Maximilian Wahlich

Während wir durch die Möbelansammlungen schlendern, dröhnt der majestätische Chor des Kyffhäuser Mythos, wiederum eine von Nationalsozialisten und Neonazis instrumentalisierte Legende aus dem völkisch-nationalen Dunstkreis des 19. Jahrhunderts: Es schläft der sogenannte „Friedenskaiser“ in einer Berghöhle, erwacht eines Tages und führt sein „Reich“ wieder zu alter Herrschaft. Getreu dieser Sage ist der Ton, Bearbeitung von Bastian Hagedorn, auf die oben gelegene Galerie verortet. Ein steil aufragendes und dunkles Schrankwandmassiv (auch hier 1980er Jahre) assoziiert eine Bergkulisse. Von oben thront der Sound über allem. Die erhabene Musik füllt den gesamten Raum und verleiht selbst dem schäbigsten Möbelstückchen, der wackligsten Miniatur eine Aura – Effekthascherei, die die Nationalsozialisten schon in den 1930er Jahren für ihre Zwecke zu professionalisierten wussten.
Der Nimbus kehrt ins Gegenteil, spätestens, wenn man die gesamte Inszenierung von der Galerie aus sieht, sozusagen vom Gebirge hinabschaut: Nun scheinen sämtliche Möbel kleinteilig, zerbrechlich. Selbst die wuchtigste Kommode, die wikingergleich Dimensionen eines Sarges annimmt, gleicht plötzlich einem grobschlächtigen Kästchen eines Puppenhauses. Von klein auf groß, noch größer und wieder zurück: Maßstabssprünge und Größenverhältnisse karikieren in diesem Arrangement den Größenwahn der NS-Ideologie: Das Besteck wird passend zur Raumhöhe vergrößert. Nun liegen unförmig, klobig Salatlöffel und klotzige Gabeln neben einem überdimensionierten Teller.

Aufgegriffen wird das Thema auch von kleinen Miniaturen, die den Raum durchqueren und einen historischen Bruch markieren. Möbel und Zeugnisse aus der NS-Zeit werden mit Möbeln aus den 1980ern und 1990ern gleichrangig gestellt.
Die beiden Epochen reiben aneinander und verschieben Bedeutungen, die Miniaturen sind das klein gemahlene Streu dazwischen. Dieses shifting gelingt Naumann nicht nur über diese Linie und räumliche Nachbarschaft zweier Zeitebenen, bereits im Kleinen findet die Verlagerung statt – konkret in der Auswahl der Möbel und Accessoires: Beispielsweise liegt auf einem Tisch der NS-Zeit scheinbar beiläufig ein Aschenbecher aus den 1990er Jahren. Er hat die Form einer offenen Zigarettenschachtel einer bekannten Marke. Ähnlich befremdlich erscheint der opulent geschwungene Rahmen für eine Neuinterpretation von Emil Noldes „Brecher“. Solche Objekte sind zunächst einmal grausselig kitschig, doch sprechen sie vor allem eine eigene Formensprache. Sie verweisen auf sich selbst oder brechen mit ihrer eigentlichen Funktion, wirken kitschig und zeugen von einem eigenwilligen Humor. So wird mit einer Ahnung von Naumanns eigener Perspektive auf NS-Architektur und rechtsnationale Strömungen ihre Setzung immun gegen den Verdacht, nationalsozialistische Machtrhetorik zu reproduzieren.


Ausstellungsansicht, Detail, Foto: Maximilian Wahlich

Dennoch wird Naumanns Umgang mit Geschichte und ihrer eigenen Vergangenheit manchen Besucher*innen zu lapidar vorkommen: So heißt es im Text, die repräsentativen NS-Möbel zeugten auch von Holocaust und Zwangsarbeit. Anderen könnte die Indienstnahme der NS-Möbel nicht geheuer sein, gerade die Musik zitiere zu stark NS-Muster. Doch zwingt Naumanns Arbeit in jedem Fall nachzudenken, und ist nicht genau das der beste Anfang über unseren Umgang mit dem „NS-Erbe“ zu reden?
Lässt sich damit nicht auch über unser eigenes Verständnis von Geschichte und Ängste vor einem Rechtsruck der Gesellschaft diskutieren? Naumanns Installation vermag darauf keine Antworten zu geben, doch liegt gerade darin das Lohnenswerte an einem Besuch dieser Ausstellung.

Henrike Naumann
Einstürzende Reichsbauten
Ausstellungsdauer: 8. August – 28. November 2021

Kunsthaus Dahlem
Käuzchensteig 8
14195 Berlin
www.kunsthaus-dahlem.de
www.henrikenaumann.com/

Maximilian Wahlich

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Titel zum Thema Kunsthaus Dahlem:

Kunst gleich Leben. Kunst nach der Shoah. Wolf Vostell im Dialog mit Boris Lurie im Kunsthaus Dahlem
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Noch bis nächsten Sonntag: Das Kunsthaus Dahlem wurde einst als Staatsatelier für einen der meistbeschäftigten Bildhauer des Nationalsozialismus, Arno Breker, erbaut.

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