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Aufkla(e)ren: Kunst und Wissenschaft

von Maximilian Wahlich (06.10.2021)
vorher Abb. Aufkla(e)ren: Kunst und Wissenschaft

Gene Kogan, Abraham, 2020-21, Ausstellungsansicht ALB, Courtesy Art Laboratory Berlin

Wissenschaft will objektiv sein, sie kämpft sich an einer sachgerechten Sprache ab. Ihr Gegenstand wird ausgebrannt und unterm Mikroskop beleuchtet. Gerade in den Naturwissenschaften herrschen strenge Regeln, Hauptsätze reihen sich aneinander, eine feste Terminologie gibt den Maßstab an. Wissenschaft liefert Daten.
Mit diesem Wissenschaftsverständnis bricht die Kunst- und Forschungsplattform Art Laboratory Berlin. Schon seit Jahren initiieren Regine Rapp und Christian de Lutz (Ko-Direktor *in und Kurator*in) interdisziplinäre Kunstprojekte mit internationalen Künstler*innen, die den Dialog zwischen Kunst und Forschung suchen und sich über gängige Strukturen hinwegsetzen.
Ausgestellt werden schließlich nicht nur Werke der eingeladenen Künstler*innen, Basisbestandteil der Arbeit sind immer wieder begleitende Symposien und umfassende Broschüren, die die komplexen Werke transparent machen sollen.
So sind in der aktuellen Ausstellung Under the Viral Shadow nicht nur acht Werke von sechs Künstler*innen zu sehen, ebenso liegt für jedes Werk eine Anthologie mit weiterführenden Rechercheergebnissen bereit.

Wenn Kunst und Naturwissenschaft zusammenprallen, dient Kunst meist der hübschen Einkleidung, sie illustriert die sperrigen Fußnoten. Die Ausstellung Under the Viral Shadow konterkariert diesen Zustand. Hier wird Kunst eine künstlerisch-experimentelle Rolle zugewiesen. Sie kommuniziert auf Augenhöhe, unter anderem dadurch, weil sie die gleichen Codes einer ´objektiven` Wissenschaft adaptiert hat: Sie setzt selbst Fußnoten, ist um Transparenz bemüht und entkommt damit dem Vorwurf beliebiger Zusammenstellung und Emotivität.

Ungewohnt kreativ zeigt sich zum Beispiel die KI Abraham. Entwickelt von dem Künstler und Programmierer Gene Kogan, schafft der Computer selbst Bildwerke oder kombiniert Wörter und Bilder miteinander. Dazu müssen die Besucher*innen Worte eingeben. Anhand der Begriffe generiert die KI, sozusagen autonom, ein Bild. Je mehr Begriffe die Maschine kennt, je häufiger sie Bilder „macht“, desto reicher wird schließlich auch ihr eigener Fundus an Bildern. Mit der beigelegten Broschüre möchte Kogan die Funktionsweise der KI aufschlüsseln, der Mythos der sogenannten „Black Box“ soll hierbei aufgeklärt werden.


Benjamin Bacon, PROBE Series II Subaudition, Machine 1, 2021, Ausstellungsansicht ALB, Courtesy Alex May

Es klopft, pocht, schlägt – durchdringend tönt eine Maschine in der Raummitte. Sie ist eine von zwei raumschiffartigen Objekten des Künstlers, Designers und Musikers Benjamin Bacons PROBE II: Subaudition. Wie Abraham reagieren auch diese Mechaniken auf unsere Sprache und vermögen unmittelbar mit den Besucher*innen zu interagieren. Die Maschinen nehmen gesprochene Worte als Daten wahr. Sie transformieren diese in neuartige Codes und vernetzte Systeme. Auf jene Weise kommunizieren sie mit uns, wobei wir deren Sprache kaum entschlüsseln können: Blechernes Klopfen, das wie Morsezeichen anmutet.


Benjamin Bacon, PROBE Series II Subaudition, Machine 2, 2021, Ausstellungsansicht ALB, Courtesy Alex May

Und die zweite Maschine tritt über Farben und Leuchtintensität in Dialog. Subaudition ermöglicht vor dem Hintergrund eines unverständlichen, bzw. fremdsprachigen Codes auch eine politische Interpretation des Werkes: Welche Sprache wird hörbar, was wird wie kommuniziert und welche Bedeutungszusammenhänge lassen sich nur durch bestimmtes Wissen entschlüsseln?


Anna Dumitriu, Engineered Antibody, 2016, Ausstellungsansicht ALB 2021, Courtesy Alex May

In einer schwarz gefassten Wandnische rollt sich eine Kette mit rot-gelb-orangefarbenen Perlen auf einem kunstvoll umhäkelten, blauen Stoff. Klassisch museal wie ein Fundstück einer vorzeitlichen Ära erscheint Anna Dumitrius Arbeit Engineered Antibody. Die britische Künstlerin, die insbesondere in den Bereichen Mikrobiologie, Infektionskrankheiten, Robotik, künstliche Lebenstechnologie und Kunst/Wissenschaftsethik arbeitet, zeigt hier 452 zu einer Kette aufgefädelte Perlen, die die Aminosäuren eines Antikörpers eines HIV-Patienten darstellen. Der blaue Farbstoff stammt wiederum aus einem Labor, um Proteine einfärben und nachweisen zu können. Abseits der detaillierten Bedeutungen erweitert diese Präsentation das Gezeigte subtil auf einer ästhetischen Ebene. Die Kette als Symbolträger eines Antikörpers lässt sich auch als Würdigung über die unfassbaren Fähigkeiten unseres Organismus verstehen.


Sarah Grant, Physarum Topologies, 2021, links Ausstellungsansicht ALB, rechts Detail Schleimpilz, Courtesy Art Laboratory Berlin

Eine ähnliche Faszination reizte vermutlich auch Sarah Grant (u.a. Gründerin des interaktiven Medienstudios Cosmic.Berlin), als sie für ihre Arbeit Physarum Topologies den lebenden Schleimpilz „Physarum polycephalum“ nutzte. Dieser Pilz ist seit längerem Untersuchungsgegenstand zahlreicher Labore, u.a. weil er in der Lage ist, komplexe Netzwerke nachzubilden und selbst zu erschließen. Auf der Suche nach Nahrung (Haferflocken) wächst der Pilz schnell und stetig weiter. Für diese Installation wurden die Haferflocken angeordnet wie Netzwerktypen aus der Computertechnologie, sternförmig, baumstammartig, verflochten, mit und ohne Zentrum. In den kommenden 6 Wochen können die Besucher*innen der Ausstellung und der Website das Wachstum mitverfolgen.
Doch lässt sich dieses Faszinosum vor allem vor Ort weiter vertiefen, insbesondere mit den ausführlichen Textsammlungen. Die Kunstwerke werden mit den Texten zu Teilen eines wissenschaftlichen Diskurses und geben sich einem aufklärerischen Auftrag hin. Die immersive Wirkung des unablässigen Klopfens, der feine Gelbton des Pilzes, der sich mit den eingefärbten Haferflocken mischt, die milchigen Perlen auf dem Stoffbett, lassen sich nur in Präsenz erspüren. Ein Text, gar eine Fußnote vermag diese Qualitäten vielleicht zu erklären, doch kann er sie nicht transportieren. Nicht zuletzt wird auch erst bei einem Ausstellungsbesuch der Austausch mit den Künstler*innen und Kurator*innen möglich.

Künstler*innen:
Gene Kogan, Sarah Grant, Benjamin Bacon, Anna Dumitriu, Alex May, Vivian Xu

WORKSHOPS
Gene Kogan | AI for Artists
28. August 2021

Sarah Grant | Plant-to-Plant Protocols
24. – 26. September

Danja Vasiliev & Sarah Grant | NETworkshop
1. – 3. Oktober 2021

KONFERENZ
9. Oktober 2021, online mit Livestream
Mit Beiträgen der ausstellenden Künstler*innen mit Forscher*innen aus den Geistes- und Naturwissenschaften
Keynote: Roberta Buiani (University of Toronto)

Das Konferenzprogramm:
DEUTSCH
artlaboratory-berlin/under-the-viral-shadow-konferenz/

ENGLISCH
artlaboratory-berlin/under-the-viral-shadow-conference

Art Laboratory Berlin
Prinzenallee 34, 13359 Berlin
Under-the-Viral-Shadow
28. August – 10. Oktober 2021
Do – So, 14 – 18 Uhr oder nach Vereinbarung

artlaboratory-berlin.org

Maximilian Wahlich

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