Anzeige
Boris Lurie

logo art-in-berlin.de
Berlin Daily 28.03.2024
Kyiv Perenniale: Connected Tour

15-18.30h: Von Ort zu Ort durch die Ausstellungen. station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf, nGbK am Alex. anmeldung[at]ngbk.de

Von der Kälte der Gegenwartskultur: The Cool and the Cold im Gropius Bau

von Hanna Komornitzyk (08.01.2022)
vorher Abb. Von der Kälte der Gegenwartskultur: The Cool and the Cold im Gropius Bau

Jurij Korolev, Kosmonauten, 1982, Öl auf Leinwand, 195 x 315 cm
Foto: Carl Brunn, Courtesy: Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung


Der Titel einer neuen Ausstellung im Gropius Bau hält, was er verspricht: “The Cool and the Cold” bringt Malerei aus den USA und der UdSSR von 1960 bis 1990 aus der Sammlung Ludwig zusammen. Banal – und doch irgendwie Zeichen unserer Zeit.

Bilder, Bilder, Bilder: Dank der sich pausenlos diversifizierenden Möglichkeiten digitaler Räume wird die Taktung, mit der sie täglich auf uns einprasseln, ständig erhöht. Längst ersetzt visuelle Sprache ganze Texte oder gar persönliche Gespräche – unser umfangreiches Gedächtnis kultureller Produktion erlaubt es, Aussagen und Emotionen stark verkürzt in einer einzigen Visualisierung zusammenzufassen (→ Memes und NFTs). Und so steht auch die neue Ausstellung The Cool and the Cold im Gropius Bau ganz im Zeichen der Bildproduktion: Rund 125 Arbeiten von mehr als 80 Künstler*innen – darunter Andy Warhol, Jackson Pollock, Helen Frankenthaler, Viktor Pivovarov, Natalya Nesterova und Ivan Čujkov – stellen US-amerikanische und sowjetische Malerei von 1960 bis 1990 in einen recht bunten Dialog. Jene drei Jahrzehnte also, in denen sich die beiden Weltmächte auch politisch gegenüberstanden: Kalter Krieg gemalt in Öl sozusagen. Die Werke aus der Sammlung Peter und Irene Ludwigs sind zum ersten Mal in dieser Konstellation zu sehen. Sie wurden aus sechs internationalen Museen zusammengetragen.


Roy Lichtenstein, Hopeless, 1963, Acryl auf Leinwand, 177,8 x 152,4 cm
Estate of Roy Lichtenstein & VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Foto: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler, Courtesy: Kunstmuseum Basel, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung


Und so findet sich in den ersten Räumen die Pop Art von Warhol und Lichtenstein mit nüchternen russischen Gemälden aus den 1960ern konfrontiert: Während Roy Lichtenstein das Kriegsgeschehen verbunden mit US-amerikanischem Pathos immer wieder in Comicstrips verpackte, zeigt Boris Nemenski Nach dem Krieg. Das Schicksal der Frauen (1968). Auch Ronald B. Kitaj malt jene, die vom Krieg übrig geblieben sind. Im Ausstellungstext dazu: “Der Wirkmacht von Bildern ist man sich in der Politik ebenso bewusst wie in der Unterhaltungs- und Werbeindustrie – und selbstverständlich in der Kunst. Dabei entstehen vielfältige Rückkopplungsprozesse. Die Bildproduktion des einen Bereichs wird stetig von anderen aufgegriffen, zitiert, kommentiert und zu neuen Bildern weiterentwickelt. Der sowjetische Staat hat versucht, diese Zirkulation von Bildern zu seinen Gunsten zu regulieren und eine Kunst durchzusetzen, die der Bestätigung der Machtverhältnisse dient. Für nonkonforme Künstler*innen ist es wiederum ein Einfaches, sich der Formeln dieser Propagandakunst zu bemächtigen, um sie persiflierend gegen sich selbst zu wenden.” Warhols Campbell-Dosen und Popikonen, Lichtensteins melodramatisches Bilderkino, Harings von der Streetart inspirierte Primärfarbenmuster – die Pop Art wird noch immer für ihre Fetischisierung der Werbe- und Massenproduktion belächelt. Letztendlich tat sie aber schon in den 1950ern und 1960ern das, was heute in so schnellem Ablauf passiert, dass die Einzelschritte zerfließen: Wie der Sprung von abgefilmtem Daumenkino zu am Smartphone erstellten HD-Videos mischen sich pausenlos stilisierte Bilder aus Werbung und Mainstream mit der Kunst, werden in ihr entkontextualisiert und neu zusammengesetzt.


Erik Bulatov, Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang, 1989, Öl und Acryl auf Leinwand, 200 x 200 cm
VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Courtesy: Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen


Aber auch dem Trugschluss der im eurozentrischen Kontext als überlegen wahrgenommenen US-Perspektive auf den Kalten Krieg wirkt der Dialog von Ost- und Westmacht entgegen. In Erik Bulatovs Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang (1989) manifestiert sich eine Gegenwarts- und Gegenkultur, in der ironisch auf vorangegangene Bildkosmen Bezug genommen wird: Das sowjetische Staatsemblem ersetzt in Bulatovs Strandszenario kurzerhand die auf- (oder unter)gehende Sonne. Russische Avantgarde trifft auf Pop Art, trifft auf Endzeitstimmung eines untergehenden Staatssystems. Eine so komplexe Kritik an einem politischen System kann nur von innen erfolgen – in gewisser Weise ein Whistleblower seiner Zeit.

Wie sehr sich Kulturphänomene und Kunst gegenseitig bedingen, wird in The Cool and The Cold eindrücklich klar. Jedes Einzelbild beruft sich auf eine Vielzahl von Zitaten, geht durch die Rezeption in das ästhetische Verständnis seines gesellschaftlichen Kontexts über, an welcher sich wiederum neue Bilder bedienen. Diese Schleife vollzieht sich immer weiter und beschleunigt, bis sie schließlich im digitalen Raum der 2020er als solche nicht mehr erkennbar ist. In gewisser Weise geht die Ausstellung also einen Schritt zurück: Über die Malerei vergangener Jahrzehnte entschleunigt sie die heutige Bildproduktion so, dass die Einzelschritte der Rezeption und Reproduktion wieder sichtbar werden. Insoweit ist es nicht verwunderlich, dass die Räume Bilder fast ohne Einordnung für sich stehen lassen – was im digitalen Begleitheft umfassend nachgeholt wird. Und vielleicht kann den nach Bildkonsum süchtigen und über Bilder kommunizierenden jüngeren Generationen nur über das Bild selbst der Spiegel vorgehalten werden. Gerade aber in Anbetracht eines politischen Spannungsfeldes wie es der Kalte Krieg bietet – als Ausgangspunkt für Gegenwartsdiskurse zu Konsumkritik, Kriegspropaganda oder künstlerischer Freiheit – wäre mehr Kontext wünschenswert gewesen. Was bleibt, ist ein unterkühltes Bild einer Gesellschaft aus Individualist*innen, die visuelle Ästhetik völlig losgelöst von ihren politischen Potenzialen zu konsumieren vermag.

Ausstellungsdauer: 24. September 2021 bis 9. Januar 2022

Gropius Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
www.gropiusbau.de

Hanna Komornitzyk

weitere Artikel von Hanna Komornitzyk

Newsletter bestellen




top

Titel zum Thema Gropius Bau:

Nutzen steht für Infizieren. General Idea im Gropius Bau
Wer die Ausstellung noch nicht gesehen hat, dem bietet sich heute die letzte Gelegenheit ...

Gropius Bau: Wo Prothesen schweben
Dieses Wochenende bietet sich die letzte Gelegenheit, die Ausstellung „YOYI! Care, Repair, Heal“ zu sehen.

Von der Kälte der Gegenwartskultur: The Cool and the Cold im Gropius Bau
Letztes Ausstellungswochenende: “The Cool and the Cold” bringt Malerei aus den USA und der UdSSR von 1960 bis 1990 aus der Sammlung Ludwig zusammen. Banal – und doch irgendwie Zeichen unserer Zeit.

Kann der Gropius Bau gequeert werden?
Ein Gespräch zwischen Maximilian Wahlich und Sophya Frohberg über die aktuelle Ausstellung "Zanele Muholi" im Gropius Bau.

Mein Freund der Baum ist tot. Ein Interview mit Zheng Bo
Nur noch ein paar Tage ist die Ausstellung Wanwu Council 萬物社 von Zheng Bo im Gropius Bau zu sehen. Wir haben den Künstler zu seinen Arbeiten befragt.

SERAFINE1369 und Ana Prvački: neue Artists in Residence 2021/22 im Gropius Bau
Kurzinfo: Nach dem letztjährigen Artist in Residence, Zheng Bo, und seinen seine Recherchen zur Politik der Pflanzen folgen jetzt SERAFINE1369 und Ana Prvački.

Die Ausstellung Masculinities: Liberation through Photography im Gropius Bau
Die Ausstellung wurde bis zum 17. März 2021 verlängert.

Grüne Kontaktaufnahme: Pflanzen gegen das Anthropozän
Pünktlich zur temporären Schließung spricht Künstler und Theoretiker Zheng Bo im Rahmen seines Residenzprojekts “Botanical Comrades 植物同志” für den Gropius Bau mit ...

Künstler*liste Masculinities in unserer Datenbank


Aus unserem Archiv: Hermann Nitsch in Berlin
2006 gab es erstmals auf art-in-berlin auch Videos zur zeitgenössischen Kunst zu sehen. Eines der ersten war zu Hermann Nitsch "Orgien-Mysterien-Theater" im Gropius Bau. Noch etwas holprig im Ton, trotzdem sehr informativ.

Ausstellung von Yayoi Kusama verschoben
Kurzinfo: Der Gropius Bau verschiebt seine ursprünglich für diesen September geplante Überblicksausstellung zu Yayoi Kusama auf März 2021. Grund: die COVID-19-Pandemie.

Lee Mingwei: Li, Geschenke und Rituale im Gropius Bau - Durch Open Call in den Living Room
Die Sammlung Usakowska & Wolff in der Ausstellung Lee Mingwei

Zwischen den Jahren: Von Januar bis Dezember 2019
Ein Blick zurück auf sehenswerte Ausstellungen, gute Besprechungen und schöne Erinnerungen. Heute: The Black Image Corporation. Theaster Gates im Gropius Bau (von Ferial Nadja Karrasch)

Lee Mingwei oder die Kunst der Kommunikation
Ausstellungsbesprechung: Nächste Jahr richtet der Gropius Bau die erste Retrospektive von Lee Mingwei in Berlin aus. Weil seine Projekte einen partizipativen Charakter haben, sucht der Künstler Berlinerinnen und Berliner, die sich daran persönlich beteiligen.

Reflexionen über den Zustand der Gegenwart
Ausstellungsbesprechung: Die Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ am Gropius-Bau nimmt die Komplexität und Widersprüchlichkeit unserer Zeit unter die Lupe.

Presse: Im Elektrohimmel Christina Tilmann / Tagesspiegel (25.10.07)

top

zur Startseite

Anzeige
Magdeburg unverschämt REBELLISCH

Anzeige
SPREEPARK ARTSPACE

Anzeige
Alles zur KI Bildgenese

Anzeige
Responsive image

Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Galerie Sara Lily Perez




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Galerie HOTO




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Kommunale Galerie Berlin




© 1999 - 2023, art-in-berlin.de Kunstagentur Thomessen Hartlieb-Kühn GbR.