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Kann der Gropius Bau gequeert werden?

von Maximilian Wahlich (07.12.2021)
vorher Abb. Kann der Gropius Bau gequeert werden?

Zanele Muholi, Comfort, 2003, 585 x 700 mm
Zanele Muholi, Mit Genehmigung der Künstler*in und von Stevenson, Kapstadt/Johannesburg und Yancey Richardson, New York


Maximilian Wahlich: Liebe Sophya, du bist seit mehreren Jahren am Gropius Bau und warst auch an der aktuellen Ausstellung zu Zanele Muholi beteiligt. Magst du kurz ausführen, welche Rolle du bei der Planung hattest?

Sophya Frohberg: Vor allem zuständig war ich für das Kuratieren des öffentlichen Diskursprogramms, welches die Ausstellung begleitet und Forms of Insistence, Tenderness and Refuge heißt. Hier habe ich gemeinsam mit der Kuratorin Natasha Ginwala versucht, lokale Schwarze und queere Berliner Perspektiven einzubinden. Das Resultat ist eine Mischung aus Gesprächen, Filmvorführungen, speziellen Touren sowie einer Veranstaltung mit Beiträgen von Poetry Meets geworden. Für dieses Programm habe ich mich intensiv mit der Arbeit von Muholi beschäftigt. Auch die Übersetzung der Ausstellungstexte sowie das kuratorische Korrektorat und Lektorat lag in meiner Verantwortung.

M.W.: War Zanele Muholi selbst bei den Aufbauarbeiten dabei? Hat sie bei der Planung mitgesprochen?

S.F.: Muholi benutzt im Englischen die Pronomen they/them, in der deutschen Sprache keine Pronomen. Deswegen verwenden wir Muholi als Pronomen in der Ansprache.
Aufgrund der beim Aufbau geltenden COVID-19 Einreisebeschränkungen und einer eigenen Show in der Stevenson Gallery Kapstadt, von der Muholi repräsentiert wird, war Muholi nur in Zoom Meetings mit uns im engen Austausch bei den Aufbauarbeiten involviert. Ausstellungsarchitektur, Raumgestaltung, Wandfarben und Texte wurden von Muholi mitentschieden. Ganz konkret haben wir hier mit einem 3D-Scan der leeren Ausstellungsräume gearbeitet, um Muholi ein digitales Raumgefühl zu geben. Das kommt dem eigentlichen Prozess der gemeinsamen Begehung und Entscheidung vor Ort natürlich nicht sehr nahe, war aber in der pandemischen Situation eine Lösung, mit der wir letztendlich sehr zufrieden waren.

M.W.: Wie würdest du queer in dem Zusammenhang von Zanele Muholis Werk erklären?

S.F.: Der Begriff queer wird in Muholis Werken als Abgrenzung zur cisgeschlechtlichen und heteronormativen Gesellschaft verhandelt. Dabei spielt die Geschichte Südafrikas, Apartheid und Kolonialisierung, und die Idee, dass innerhalb des afrikanischen Kontinents schon immer vielfältige sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten zu finden waren, eine elementare Rolle. Es geht also einerseits darum, zu thematisieren, dass Queerness nichts explizit „unafrikanisches“ ist, sondern Geschlechterbinarität und Heteronormativität durch Missionierung und Kolonialismus nach Südafrika importiert wurden. Andererseits steht Muholi für die Sichtbarmachung von intersektionalen queeren Lebensrealitäten ein, dokumentiert also mit den Werken, wie Schwarze queere Personen in Südafrika lieben und mit welchen Hürden sie in ihrem alltäglichen Leben konfrontiert werden.


Zanele Muholi, Bona, Charlottesville, 2015
800 × 503 mm, Fotografie, Gelatinesilberdruck auf Papier
Zanele Muholi, Erworben mit Mitteln des Africa Acquisitions Committee 2017


M.W.: Queer, verstanden als politischer Akt, dem auch der Protest eingeschrieben ist, lässt sich nur schwerlich in ein Ausstellungshaus wie den Gropius Bau einbetten. Gab es bei euren Planungen der Ausstellungen auch Überlegungen, die Ausstellung gewissermaßen zu queeren?

S.F.: Es ist natürlich immer eine Frage, inwiefern eine Institution wie der Gropius Bau gequeert werden kann oder ob institutionelle Strukturen überhaupt ein „queeren“ ermöglichen. Besonders finde ich hier, dass für alle Mitarbeitenden klar war, dass queere Personen an der Ausstellungskonzeption und Realisation beteiligt sein müssen. Deswegen habe ich unter anderem gemeinsam mit zwei Schwarzen queeren Übersetzer*innen, Ekpenyong Ani und Yemisi Babatola, über intersektionale Übersetzungsarbeit gesprochen, die sich in den Texten widerspiegelt. Auch unser kostenloses Diskursprogramm, welches die Ausstellung begleitet, fokussiert sich auf diese Perspektiven. So queer gab es den Gropius Bau noch nie.

M.W.: Die Ausstellung im Gropius Bau würde ich als klassische Kunstausstellung beschreiben. Es wird zwar häufig der politische Akt von Queer-Sein erwähnt und auch Muholis Community wird vorgestellt. Aber habt ihr an manchen Stellen darüber nachgedacht, diesen Rahmen zu brechen, beispielsweise über Ausstellungstexte in Ich-Form, verfasst von Muholi oder einer anderen Person aus der Community?

S.F.: Ich würde die Ausstellung nicht als klassische Kunstausstellung beschreiben, auch weil Muholi sich selbst als visuelle*r Aktivist*in bezeichnet, nicht als Künstler*in oder Fotograf*in. Vielmehr sieht Muholi die eigene Praxis als einen Aktivismus, der durch die Kamera festgehalten wird, natürlich oftmals konzeptuell oder ästhetisiert. Aber er dient ganz klar dazu, Sichtbarmachung und Repräsentation zu erzielen oder gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen. Die englischen Ausstellungstexte wurden von und in Kooperation mit Muholi verfasst, hier haben wir darauf geachtet, dass nicht fremdbestimmt erzählt wird. Durch die Erfahrungsberichte (Testimonies) von Schwarzen queeren Menschen selbst – schriftlich und medial in die Ausstellung eingebettet – versuchen wir, eine Vielzahl von Perspektiven aus queeren Communities in der Ich-Perspektive zu zeigen.

M.W.: Zweifelsfrei haben Muholis Fotografien einen künstlerischen Eigenwert. Doch verstehen sie sich auch als „Archiv“, als dokumentarischer Beitrag. Wie schätzt du die Positionierung Muholis Werk in einem Kunstmuseum ein? Laufen die Fotografien dabei Gefahr, ihre politische Intensität zu verlieren?

S.F.: Gegenfrage: Wo wären Muholis Werke als dokumentarischer Beitrag besser aufgehoben als in einem internationalen Ausstellungshaus, das vor allem ein bildungsbürgerliches, akademisches Publikum anzieht? Gerade Fotografien oder Videoaufnahmen wie Muholis werden zu oft in kleinen Galerien oder Community Spaces gezeigt, verdienen aber eine große Aufmerksamkeit und Reichweite, die Personen anspricht, die sich mit diesen Lebensrealitäten aufgrund des eigenen Alltags selten oder nie beschäftigt haben. Politische Intensität wird auch dadurch generiert, dass Themen gesamtgesellschaftliche Relevanz erhalten oder ein Diskurs eröffnet wird. Das ist meine Hoffnung bei dieser Ausstellung. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass alle Teilnehmenden und Portraitierten zustimmen, in institutionellen Ausstellungen abgebildet und gesehen zu werden. Dieses Einverständnis ist auch ein politisches.


Zanele Muholi, ZaVA IV Bordeaux, 2013
700 x 700 mm, Fotografie, Gelatinesilberdruck auf Papier
Zanele Muholi, Mit Genehmigung der Künstler*in und von Stevenson, Kapstadt/Johannesburg und Yancey Richardson, New York


M.W.: Viele Räume sind euch sehr gut gelungen. Besonders spannend fand ich den Raum „Queering Public Space“, wo es um die Medialisierung queeren Lebens in Südafrika geht. Mir scheint, diese Öffentlichkeit generiert sich vor allem rund um zwei Anlässe: Heirat und Beerdigung. Quasi zwei Pole, die beide hochrituell aufgeladen sind und in vielen Kulturen einander gegenüberstehen. Hast du eine Idee, wie sich gerade dieser Kontrast erklärt?

S.F.: Ja, Heirat und Beerdigung spielen hier eine zentrale Rolle, aber auch eben der gesamte öffentliche Raum, wie beispielsweise der Strand in Muholis Herkunftsort Durban, der in der Ausstellung gezeigt wird. Heirat als Zeremonie, die auch in Südafrika lange nur heterosexuellen, cisgeschlechtlichen Menschen vorbehalten war, trotz fortschrittlicher, demokratischer Gesetzgebung. Oftmals sind die Priester*innen hier selbst queere Menschen oder gehören einer queeren Kirche an.
Beerdigung, da in queeren Kontexten nach Beerdigungen sogenannte „After Tears“ Veranstaltung zelebriert werden, auf denen das Leben der Person explizit gefeiert werden soll. Muholi fotografiert vor allem auf Beerdigungen, in denen Schwarze queere Menschen Opfer von Hassverbrechen geworden sind, um den Schmerz zu dokumentieren, den Angehörige erfahren. Beide Anlässe sind extrem wichtig und eindrucksvoll für uns als Betrachter*innen.

M.W.: Von welcher Instanz oder Person wird eigentlich euer Programm geplant? Konkret für diese Ausstellung frage ich mich, wie die Wahl auf Zanele Muholi fiel?

S.F.: Das Programm wird prinzipiell von der Direktorin des Hauses, Stephanie Rosenthal, verschiedenen assoziierten Kurator*innen und Mitarbeiter*innen im internen kuratorischen Team geplant. Hier waren vor allem Stephanie Rosenthal und der Ausstellungsdirektor der Tate Modern, Achim Borchardt-Hume, an der Entscheidung beteiligt. Achim Borchardt-Hume ist leider kurz vor Ausstellungseröffnung plötzlich verstorben, vorher hat Zanele Muholi aber an der Tate Modern ausgestellt. Für Stephanie Rosenthal war dann klar, dass das Berliner Publikum diese visuell aktivistischen Arbeiten sehen muss. Auch Muholis Arbeiten bei der documenta 13 haben das Team sichtlich beeindruckt.

Zanele Muholi
26. November 2021 bis 13. März 2022

Gropius Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
www.berlinerfestspiele.de

Maximilian Wahlich

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