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Die Stadt ist eine Maschine, um sich einzustöpseln

von ch (28.06.2006)


Die Stadt ist eine Maschine, um sich einzustöpseln

Buchbesprechung: Das Buch "Stadt Raum Kontroll Verlust Aneignung Interaktion" bezieht sich auf ein international ausgerichtetes Symposium, das letzten Sommer an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee (KHB) stattfand. Jetzt liegt die dazugehörige Publikation mit 8 Beiträgen vor, in der sich Künstler und Kulturwissenschaftler mit Interventionsstrategien im öffentlichen Raum auseinandersetzen.

In dem 111-Seiten (engl./dt.) umfassenden Band legen die Künstler Jakob Boeskov (Dänemark), Natalie Jeremijenko (Australien/USA), die Gruppe Ligna (Deutschland) und Tanja Ostojic (Serbien) sowie die Kunstwissenschaftler und Architekturtheoretiker Marius Babias, Elisabeth Blum, Friedrich von Borries und Holger Kube Ventura ihre Theorieansätze, Konzepte und Projekte dar.
So schreibt Marius Babias in seinem Aufsatz "Zonen der Indifferenz" über die Beziehungen zwischen den bipolitischen Kräften nach dem 11. September und verweist auf rasch wachsende Zonen der Indifferenz, die in ihrer Emotionalisierung der Politik und ihren populistischen Ausprägungen zu einer Bedrohung der Demokratie führen. Dabei wird die Öffentlichkeit als politisches Korrektiv der Macht propagiert.
Konkreter widmet sich der Künstler Jakob S. Boeskov bzw. die Gruppe "Empire North" den Interventionsstrategien. Sie haben "My Doomsday Weapon" entwickelt - eine Waffe, die mit GPS Technologie versehen Chips unter die Haut potentieller Straftäter schießen könnte. Das Ganze wird Sci-Fi-Kunst genannt: "Nimm die Essenz einer imaginierten Zukunft, verwandle sie in ein Konzept und präsentiere dies in der gegenwärtigen Realität. Berichte von den Reaktionen." Und genau das macht Empire North: zunächst wird der Waffenbauplan und das vermeintliche Firmenkonzept beschrieben und dann die Reaktionen und Erlebnisse auf einer Waffenmesse in China, auf der sie die Attrappe präsentiert haben. Belustigt und beängstigend zugleich lässt sich lesen, wie das Projekt nicht nur in der Kunstwelt auf Interesse stieß.
Auch Natalie Jeremijenko thematisiert die Schnittstelle zwischen Design, Information, Gesellschaft und wissenschaftlichem Gestus. In einem Gespräch mit Emily Gertz beschreibt sie ihre Aktionen und Projekte als gewaltlose Verteidigung gegenüber dem Missbrauch von wirtschaftlicher oder politischer Macht. Beispiele ihrer Vorgehensweisen sind u.a. die "Ausgewilderten Roboter Hunde", die chemische Verseuchungen aufspüren oder "Clear Skies Masks", die Fahrradfahrern den Grad der Verschmutzung anzeigen.
Dem Aufbau von Machtstrukturen widmet sich hingegen Friedrich von Borries. Eindrucksvoll schildert er das sukzessiven Vorgehen der Marketing- bzw. Werbekampagnenstrategen des Konzerns Nike im Stadtraum, um an diesem Beispiel gleichzeitig zu zeigen, welche Auswirkungen sich dabei im Stadtraum festmachen lassen.
Theoretisch fundiert, folgt ein Auszug aus Elisabeth Blums Buch "Schöne neue Stadt. Wie der Sicherheitswahn die urbane Welt diszipliniert", in dem sie verschiedene Modelle und Bedeutungsebenen architektonischer Stadtentwicklung mit einander vergleicht. Am Beispiel der Architektengruppe Archigram zeigt Blum, dass bereits in den 60er Jahren außergewöhnliche Entwürfe zum Verhältnis zwischen Individuum und Stadt entstanden:"Die Stadt ist eine Maschine, um sich einzustöpseln"
Weniger theoretisch fundiert, dafür aber mit subjektiven Gedanken "Zur Autonomie politischer Kunst" durchtränkt, ist der Aufsatz von Holger Kube Ventura, der auch mit wohl gemeinten Ratschlägen zum Selbstverständnis von Künstlern nicht hinterm Berg hält.
Den Abschluss des Bandes bilden wiederum zwei Künstler-Texte: Der Text der Gruppe Ligna, die ein "Radioballett" entwickelt haben, bei dem sich Radiohörer an bestimmten Orten treffen und dort Anweisungen des Radiosprechers ausführen. Ziel ist es durch Interventionen im öffentlichen Raum, Grenzen von Bewegungsfreiheit auszuloten und Veränderungen, die durch Ausweitung von Öffentlichkeit entstehen, sichtbar zu machen. Gleichzeitig wird eine Gegen-Ökonomie des Radios begründet, bei der der Prozess der Produktion öffentlich ist.
Der letzte Text von Tanja Ostojic beschreibt nochmals soziale und geopolitische Themen als Grundlage für künstlerische Strategien, die u.a. in situationistischen Performances ihre Umsetzung finden.

Entstanden ist ein Buch, das eine gute Mischung aus Theorie und Praxis bietet. Die Texte sind größtenteils spannend zu lesen und motivieren, sich eingehender mit "Stadt Raum Kontroll Verlust Aneignung Interaktion" zu beschäftigen. Dennoch scheint am Ende die Auswahl - besonders der theoretischen Ansätze - zu einseitig, kontroversere Sichtweisen hätten sicher die vielfältige Spannbreite dieses interessanten Themas erhöht.

Das Symposium bildete den Abschluss des von der Künstlerin Stefka Ammon organisatorisch betreuten, auf fünf Jahre begrenzten Modellstudiengangs "Interdisziplinäres Gestalten" an der KHB.

Kunsthochschule Berlin-Weißensee - Stefka Ammon, Sabine Sanio, Jürgen Neugebauer (Hg.),
Stadt Raum Kontroll Verlust Aneignung Interaktion,
Berlin 2006,
ISBN 3-9805489-4-5

ch

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