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Künstlerinnengespräch

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Die Henkersmahlzeit – ein uraltes Ritual und was davon übrig blieb

von Hannah Beck-Mannagetta (27.02.2007)


Die Henkersmahlzeit – ein uraltes Ritual und was davon übrig blieb

Die schwedischen Künstler Mats Bigert und Lars Bergström zeigen im Studio 2 des Künstlerhauses Bethanien eine neue 16mm Filmarbeit. Betritt man das Studio, ist der Besucher zunächst mit einer großen Blackbox konfrontiert. Diese ist von Außen und Innen mit blauen Vorhängen, die unweigerlich an eine Leichenhalle denken lassen, verkleidet. Innen herrscht Kinoatmosphäre auf Tribünensitzen.

Der 58-minütige Film "Last Supper" erzählt in Text und Bild eine Kulturgeschichte der Henkersmahlzeit. Nicht rein dokumentarisch, oder chronologisch, sondern fragmentarisch ist die Herangehensweise von Bigert & Bergström. Immer wieder tauchen Protagonisten aus den USA, den Philippinen, Thailand, Japan, Kenia, Südafrika und Schweden auf, die erschreckend nüchtern von ihren persönlichen Erfahrungen erzählen.

Was ist das für eine eigenartige Aufgabe, die letzte Mahlzeit im Leben eines Menschen zuzubereiten, eine die nicht mehr dazu dient, das Leben zu erhalten, sondern einen letzten Wunsch zu erfüllen?

Die unmenschliche und sinnentleerte Absurdität der Todesstrafe als Verwaltungsakt und mediales Symbol in den USA verdeutlicht sich in der Erzählung des "Last Supperist" von Brian Price, einem ehemaligen Koch im Todestrakt des Staatsgefängnisses von Huntsville, Texas. Vor der Kamera kocht er noch einmal eine von zweihundert Henkersmahlzeiten, die er während seiner Zeit als Gefängnisinsasse für die Delinquenten zubereiten musste.

Welche Bedeutung dieses Ritual in den verschiednen Kulturen hat, wird anhand der Erzählungen und ausgewählter Beispiele von der Antike bis heute deutlich. Im asiatischen Raum wird die letzte Mahlzeit oft als Opfergabe verstanden und stellvertretend den Mönchen dargereicht. Viele der Todgeweihten sind psychisch nicht in der Lage, das Essen zu sich zu nehmen. Das Ritual soll jedoch verhindern, dass sie nicht als hungrige Untote, die keinen Frieden finden, auf die Erde zurückkehren. Im Mittelalter wurde den zum Tode Verurteilten und lebendig Begrabenen Milch durch einen Strohhalm zugeführt, und sie konnten selbst entscheiden, wann der Tod eintreten und die Seele aus dem Körper entweichen soll.

Wo treffen menschliche Gnade und Grausamkeit so unmittelbar zusammen? Und welche zusätzliche Strafe verbirgt sich dahinter, wenn die Wahl des Essens von jemand anders getroffen wird? Bei den Exekutionen in Folge der Nürnberger Prozesse 1946 bekamen alle Verurteilten, die gleiche Mahlzeit: Würstchen mit Kartoffelsalat, ein nicht untypisches Essen für den Heiligabend in Deutschland. Auch der Verweis auf das Abendmahl, der in der englischen Bezeichnung Last Supper immer in seiner Doppeldeutigkeit vorhanden ist, wird gegeben.

"Last Supper" fokussiert auf eben jene Diskrepanz zwischen der historischen Bedeutung eines Rituals und der heutigen Praxis einer Tradition, die nur noch anachronistisch und unvertretbar in seiner Anmaßung, gottgleich über das Leben und Sterben Anderer richten zu dürfen, erscheint. Noch heute werden in Texas jährlich 40 Hinrichtungen vorgenommen.

Die Arbeit von Bigert & Bergström zeichnet sich durch eine komplexe Mixtur aus technologischer Brillanz und soziopolitischer Sensibilität aus. Der Film ist gespickt von metaphorischen, skulpturalen Einschüben. Diese sinnbildlichen Installationen, wie z.B. ein Mobilée aus brennenden Zigaretten, die zunächst in der Waage schweben, dann aber durch das Abrennen der Zigaretten aus dem Gleichgewicht geraten und umknicken, als wäre ihnen der Halt unter den Füßen weggezogen worden und sie somit erhängt worden; oder rohe Fisch- und Fleischmassen, die von oben auf eine weiße Tafel prallen; oder auch ein ausgehöhlter Leib Brot, in dem ein Teelicht flackert, entfalten schon allein eine beeindruckende visuelle und emotionale Kraft. Bewusst werden die Grenzen zwischen Videokunst, Skulptur und Performance verwischt.

Die Künstler schaffen eine eigene Welt, in der eine andere Welt einer genauen und vielseitigen Beobachtung unterzogen wird. Unweigerlich zieht die Arbeit einen in ihren Bann und lässt einen bis zum Ende nicht mehr los.

Abbildung: Bigert&Bergström, Filmstills, 2004

"Last Supper" von Bigert & Bergström vom 23.02.2007 bis 11.03.2007

Studio 2, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2

Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 14 - 19 Uhr

Hannah Beck-Mannagetta

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Daten zu Bigert & Bergström:


- art berlin 2017
- Gwangju Biennale 2000


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