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Walton Ford "Bestiarium" - Ausstellung im Hamburger Bahnhof

von Anna Heckmann (26.01.2010)


Walton Ford "Bestiarium" - Ausstellung im Hamburger Bahnhof

Seit dem 23. Januar 2010 zeigt der Hamburger Bahnhof erstmalig in Europa 25 groß-formatige Aquarelle des in Amerika längst bekannten New Yorker Künstlers Walton Ford (geb. 1960). Seit Bekanntwerden der Ausstellung, so berichtet der Direktor der Nationalgalerie Udo Kittelmann, muss er sich rechtfertigen, warum „das neunzehnte Jahrhundert“ im Hamburger Bahnhof Einzug gehalten hat. Tatsächlich entspricht das Oeuvre Walton Fords nicht der in der zeitgenössischen Kunst gängigen Ästhetik.

In den Ausstellungsräumen tummeln sich Tiere: teils wilde und gefährliche, scheue, seltene, ja sogar bereits ausgestorbene. Ein Löwe blickt lauernd den Betrachter an und fletscht bedrohlich die blutigen Zähne, während ein bengalisches Tigerpaar sich in seinem Hals und seinen Pranken verbeißt. Das Bild Eothen zeigt einen stolzen Pfau in all seiner Farbpracht, doch an den Schwanzfedern brennt bereits schwelend ein Feuer. Bedeutungsschwer weisen die dunkle Rauchwolke und einige Krähen auf das baldige Ende der bunten Federpracht hin.

In geradezu altmeisterlicher Akribie beschreiben Walton Fords lebensgroße Aquarelle Tierszenen von höchster visueller Opulenz. Sie zeugen von beeindruckender handwerklicher Perfektion und umfangreichen naturkundlichen Fachkenntnissen im Bereich der Tieranatomie. Sie feiern begeistert die Schönheit einer exotischen, farbprächtigen Natur, die jedoch bereits den Keim einer unvermeidlichen, den Betrachter direkt ansprechenden Bedrohung enthält.

Nun handelt es sich aber bei aller Naturtreue der Darstellungen niemals um natürliche Szenen, sondern vielmehr um ein gespenstisches Naturalienkabinett, das tiefe Einblicke gewährt in die menschliche Wahrnehmung von Natur. Die Tiere scheinen ihres natürlichen Lebensprozesses längst enthoben: entweder wird ihr baldiges Ende vorausgesagt oder sie sind in der demonstrativen Art ihrer Abbildung zum scheinbar sezierten Objekt wissenschaftlicher Anschauung geworden. Gelegentlich erinnert ihr prunkvolles, isoliertes Arrangement, ergänzt durch die stets mitschwingende Todesahnung gar an die schwere Symbolik barocker Stillleben.

Ford durchquert in seinen Bildern Jahrhunderte von Kunstgeschichte. Zu Hieronymus Boschs detailreichen Erzählungen und Géricaults Schreckensästhetik gesellen sich surrealistische Anklänge. Ganz besonders erinnern das stockfleckige, künstlich gealterte Papier und die zittrigen Bildlegenden jedoch an naturwissenschaftliche Tierillustrationen des neunzehnten Jahrhunderts.

Der Künstler ist ein enthusiastischer Liebhaber der Aquarelle des im achtzehnten Jahrhundert geborenen Naturzeichners John James Audubons und verfügt über eine schier unerschöpfliche Dokumentensammlung zur Natur- und Kulturgeschichte des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Auf diese Weise werden Überlieferungen verschiedenster Art von Abenteurern, Jägern und Forschern aus der Zeit des Kolonialismus zu transparenten Inspirationsquellen seiner Bilderzählungen. Caulaincourts Schlachtenschilderungen und Maupassants Tagebucheinträge sind in Auszügen neben den Bildern zu lesen. Als sprachliche Ergänzung der Arbeit sind sie gleichermaßen Ursprung und interpretativer Kommentar der visuellen Information.

In ihrer Bezugnahme auf das neunzehnte Jahrhundert verweisen die Bilder auf eine Epoche, in der in Europa Sittlichkeit und Zivilisiertheit längst geläufige Gegenbegriffe waren, zu einer als affektbehaftet und daher als minderwertig verstandenen „Barbarei“. Sie erinnern an die Ursprünge unserer industrialisierten Gesellschaft in der sich eine allgemeine Fortschrittsbegeisterung überschlug, die gleichzeitig durch Naturfluchten und Exotismus kompensiert wurde.

Walton Fords Bilder visualisieren das ambivalente, komplexbehaftete Selbstbild der modernen Menschheit, die sich künstlich zivilisiert und diszipliniert und dennoch unterschwellig ihre geleugnete Natürlichkeit wahrnimmt. Seine Tiere erzählen von der romantischen Faszination einer als erhaben schön, vergänglich und unerbittlich wahrgenommenen Natur. Gleichzeitig reflektieren sie den Versuch des modernen Menschen, sich diese Seite anzueignen, sie zu beherrschen, zu kontrollieren oder gar symbolisch zu töten. Ob in Form des Affen Jack, der zum domestizierten, vermenschlichten Weggefährten wird oder durch eine substituierende wissenschaftliche Durchdringung, wobei gerade die bildliche Erfassung durch Zeichnungen oder Fotografien zum Mittel der Angstkontrolle werden.

Selbst wenn der Mensch also auf seinen Werken visuell nur am Rande - tot oder im Hintergrund – erscheint, steht er doch eigentlich im Zentrum der Unternehmung. Die minutiösen Tierdarstellungen, die auf den ersten Blick Gedanken an rein naturwissenschaftliche Bestandsaufnahmen wachrufen, werden bei genauerem Hinsehen zu Allegorien zeitloser kollektiver Ängste, die Bilderzählungen zu erstarrten (Alp-)Träumen einer naturentfremdeten, traumatisierten Menschheit.

Das Bestiarium erscheint also als eine psychologisch entlarvende Satire auf den menschlichen Fortschrittsglauben und ein falsch verstandenes Zivilisationsstreben. Dies gilt ebenso für den Fortschritt auf ästhetischer Ebene: eine allgemeine Aussage über den historischen wie zeitgenössischen Menschen verknüpft Ford mit einer ebenso zeitlosen, nicht in stilistische Schemata einzuordnenden visuellen Sprache, die sich die Freiheit nimmt, das ästhetische Diktat der Gegenwartskunst zu ignorieren. Auf diese Weise initiiert die Ausstellung durchaus berechtigt die Frage, wie zeitgenössische Kunst eigentlich auszusehen und was sie inhaltlich zu leisten hat.

Abbildung:
- Walton Ford, An Encounter with Du Chaillu, 2009, Aquarell, Gouache, Bleistift und Tinte auf Papier, 242.6 x 152.4 cm, © Walton Ford
- Walton Ford, Royal Menagerie at the Tower of London - 3 December 1830, 2009, Aquarell, Gouache, Bleistift und Tinte auf Papier
152.4 x 303.5 cm, © Walton Ford
- Walton Ford, Baba - B.G., 1997, Aquarell, Gouache, Tinte und Bleistift auf Papier, 105.1 x 74 cm, © Walton Ford, Courtesy Paul Kasmin Gallery

Ausstellungsdauer: 23.01.-24.05.2010

Öffnungszeiten: Di - Fr 10 bis 18 Uhr / Sa 11 bis 20 Uhr / So 11 bis 18 Uhr

Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin
Invalidenstraße 50 - 51
10557 Berlin

waltonford.org

Anna Heckmann

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Daten zu Walton Ford:


- Art Basel Miami Beach 2013
- artbasel2021
- Frieze London 2022
- MoMA Collection


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