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Interview mit Kunstwelt e.V. Berlin

von Thea Dymke (25.03.2010)


Interview mit Kunstwelt e.V. Berlin

Kunst im Kontext von sozialpolitisch geprägter Stadtteilarbeit.

Ein Gespräch zwischen Bonger Voges (Leiter der Kunstabteilung im Kunstwelt e.V. Berlin) und Thea Dymke (art-in-berlin).

Thea Dymke: Herr Voges, Sie sind Leiter der Abteilung ´Kunst` in der 1999 gegründeten KUNSTWELT BERLIN, bitte erläutern Sie uns zu Beginn den Ausgangspunkt ihrer Arbeit.

Bonger Voges: Für Kunstwelt e.V. Berlin ist Kunst grundsätzlich immer sozial, das heißt Kunst für den Menschen - so banal das klingen mag. Wir arbeiten hauptsächlich im öffentlichen Raum, weswegen das eine ganz besondere Herausforderung ist. Es geht nicht um ein Modell in einem Architekturbüro, sondern um das „wahre Leben“. Das ist ein ganz wesentlicher Ausgangspunkt unserer Arbeit, in der wir uns hauptsächlich mit Kunst im Stadtraum beschäftigen. Auch über unsere Arbeit im Quartiersmanagement spiegelt sich unser soziales Engagement deutlich wider.

TD: An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?

BV: Wir arbeiten noch immer an der Präsentationsform und der Technik beim PFAD DER VISIONÄRE. Parallel dazu möchten wir dieses Projekte erweitern und haben jetzt die „ganze Welt“ eingeladen, daran teilzunehmen. Der PFAD DER VISIONÄRE ist ein Projekt, das zusammen mit den Botschaften der EU-Mitgliedsstaaten realisiert wurde, die den Bau dieser Installation auch mit finanziert haben. Die Tafeln präsentieren Zitate großer Europäer, die für die Werte und Kultur ihrer Nationen stehen. Er wurde 2006 eröffnet, wobei wir immer den Wunsch hatten, eine besondere Beleuchtungssituation zu schaffen, ihn sozusagen von unten anzustrahlen. Nutzt man dafür Materialien wie Beton oder Stein, erhält so eine Arbeit schnell den Charakter eines Denkmals. Aber wir wollen Europa ja nicht gedenken, sondern als Vision präsentieren. Von daher sind wir jetzt dabei, eine dauerhafte, aufgrund der technischen Probleme nicht hinterleuchtete Version zu bauen, so dass wir uns Zeit nehmen können, diese Hinterleuchtung zu entwickeln.

TD: Wie werden Ihre Projekte angenommen, was für Reaktionen erhalten Sie von den Anwohnern?
BV: Von Anfang an war es uns wichtig, auf die Menschen zuzugehen, mit den Anwohnern, den Gewerbetreibenden, dem Mieterbeirat und den Wohnungsbaugesellschaften zu sprechen und sie für unser Projekt zu gewinnen. Dabei sind wir zumeist auf Begeisterung gestoßen. Durch seine städtebauliche Dimension, die über den Standort hinausgeht, stellt das Projekt Zusammenhänge her. Es kann ein Heilungspunkt für die südliche Friedrichstadt sein, indem es die Verbindung von Mitte nach Kreuzberg schafft und städtebauliche Brüche zu öffnen helfen kann. Vor allem gibt es Entscheidern hoffentlich den Mut, hier deutlich mit anzupacken.

TD: Wo sehen Sie das spezifische Potential von der Verbindung von Sozialpolitik mit Kunst?

BV: Ich komme selbst vom Theater, also vom Kunstraum. Schon da habe ich die Künstlichkeit von Anfang an verlassen und nicht für die Guckkastenbühne inszeniert, sondern im Stadtraum, in der Natur. Genau in dieser Verbindung von Kunst und Leben erfährt Kunst eine sehr wichtige Aufgabe. Sie ist einer der wichtigsten Schlüssel zu sozialer Veränderung, was in der Politik und der Gesellschaft leider kaum anerkannt wird. Kunst schafft Identität und Identität verändert grundlegend mein Verhalten. Und diese Verhaltensänderung wiederum schafft ein anderes Miteinander. Man sieht das zum Beispiel bei unserem Projekt, dem PFAD DER VISIONÄRE: Wir hatten den Pfad eine Zeit lang hinterleuchtet. Was in jenen Wochen hier an diesem sozialen Brennpunkt Berlins passiert ist, ist unbeschreiblich. Die Menschen flanierten, Jugendliche haben sich ehrfurchtsvoll um die Tafeln gestellt. Das Verhalten der Menschen schien völlig umgekrempelt. Der Platz wurde zum Ort von anregender Kommunikation und Diskussion. Die Menschen nahmen ihren Stadtraum in Besitz. Das funktionierte im Wesentlichen leider nur mit der Beleuchtung. Aber es ist ein wundervolles Beispiel dafür, welche Aufgabe Kunst in der Gesellschaft haben kann. Die Menschen haben sich grundlegend anders verhalten, als man es von diesem Ort hier erwartet.

TD: Würden Sie sagen, diese Geste einer „Zurückeroberung“ des städtischen Raums ist typisch für Kunst im öffentlichen Raum?

BV: Künstler gehen unterschiedlich mit dem Stadtraum um. Für uns gibt es ein paar Grundregeln: die Geschichte des Stadtraums und der Mensch im Stadtraum stehen ganz vorn. Alles, was passiert, sollte sich unbedingt aus der Historie heraus definieren. Dadurch bekommt es auch selber eine Geschichte und Anknüpfungspunkte.

TD: Welche Bedeutung kommt dem Mehringplatz als Standort Ihres Vereins und als Ausgangspunkt Ihrer Arbeit zu?

BV: Der Mehringplatz hieß bis 1947 Belle-Alliance Platz und gehörte zu den historisch schönsten und wichtigsten Plätzen Berlins. Er zählt zu den 3 barocken Plätzen, die anfänglich Carrée, Oktogon und Rondell hießen, heute besser bekannt als Pariser Platz, Leipziger Platz und Mehringplatz. Er bildet den Anfang und das Ende der Friedrichstraße. Als Problemort mitten in Berlin ist er eine ungeheure Herausforderung, hat aber gleichzeitig unglaubliche Potenz. Wenn alle an einem Strang ziehen, wenn durch die Bezirks- und Senatsebenen hier auch städtebaulich eingegriffen wird, kann hier in relativ kurzer Zeit sehr viel verändert werden.

TD: Welche Rolle spielt Kunst dabei, die soziale Lebensbedingungen und das Zusammenleben hier zu verbessern?

BV: Das geht alles Hand in Hand. Wir können diese Entwicklung über die Projektarbeit mit anstoßen und auf Probleme aufmerksam machen, um den Entscheidern im Senat Zusammenhänge klarer zu präsentieren. Dinge, wie beispielsweise die Öffnung des historischen Südtors, die Öffnung der Sichtachse zur Friedrichstraße damit dieser Platz wieder empfängt und sich nicht den Menschen gegenüber verschließt. Hier liegt die Chance, ein ganzes Quartier mit wenigen Mitteln zu verändern. Denn anders herum betrachtet: die Spirale geht im Prinzip immer noch nach unten – 80 Prozent der Anwohner hier sind von Hartz IV und anderen Leistungen abhängig, wir haben Jugendbanden und massive Kriminalität. Es ist fünf vor Zwölf.

TD: Wie sieht Ihre Arbeit im Quartiersmanagement am Mehringplatz aus?

BV: Der Verein besteht aus zwei Abteilungen, eine davon ist das Quartiersmanagement. Für mich ist der Aspekt des Quartiersmanagements ein sehr wichtiger basisdemokratischer Ansatz, weil er die Menschen zu mehr Selbstverantwortung bringt. Man gibt den Menschen Geld in die Hand und sagt: kümmere dich um deine Belange, artikuliere deine Bedürfnisse, finde in Auseinandersetzung mit deinen Nachbarn einen Konsens und entwickele Projekte. Das halte ich auch für andere Quartiere für sehr wertvoll, weil die Menschen darüber lernen, was die Vorteile unserer Gesellschaftsform sind und was sie bedeuten. Unsere Aufgabe ist es dabei unter anderem, die Bedürfnisse der Anwohner, aber auch der Geschäftstreibenden, soweit zu artikulieren, dass sie auch wirklich umgesetzt werden können.

TD: In Ihren Projektbeschreibungen sprechen Sie von „Stadtentwicklungskunst“. Was verstehen Sie darunter?

BV: Stadtentwicklungskunst ist für uns der ganzheitliche Ansatz, Projekte zu entwickeln, bei denen man die ganze Stadt im Blick hat und Bezüge herstellt, in denen sich die Geschichte deutlich widerspiegelt. Die Stadt ist ein sinnlicher Raum, in dem wir unser Leben verbringen. Die Bibliotheken sind voll mit Literatur, die davon handelt, wie Städte Depressionen verursachen. Aber eine Stadt kann auch Freude verursachen, Energie vermitteln, so dass sich sagen lässt: „Hey ich wohne gern in dieser Stadt.“

TD: Was hat es mit dem Ausstellungskonzept des „Platzes der Ideen“ auf sich?

BV: Der Platz der Ideen beschreibt sowohl den Platz, an dem wir uns befinden, als auch die Ausstellung und ihren virtuellen Auftritt. Als unser Bundespräsident die Wendung ´Land der Ideen` in seiner Rede äußerte, habe ich kurz darauf die Seite „Platz der Ideen“ angelegt und verbinde damit den Ort, an dem wir genau solche Konzepte entwickeln. Der PFAD DER VISIONÄRE ist ja nur eines von mehreren Projekten. Der Gedanke ist, hier einen Platz zu haben, an dem Ideen entwickelt werden können, die sich mit dem Stadtraum auseinandersetzen und das eben in einem ganzheitlichen Sinne.

TD: 2006 haben Sie erstmals das „EUROPAFESTIVAL“ durchgeführt. Was möchten Sie den Menschen mit diesem Festival auf den Weg geben?

BV: Das Europafestival haben wir als Kommunikationskonzept im Zusammenhang mit dem PFAD DER VISIONÄRE erfunden, um Menschen hierher einzuladen und neue Perspektiven aufzuzeigen. Die Friedrichstraße hat in diesem Kontext eine schöne Geschichte: Bereits 1848 gab es hier zwei große Demonstrationen, in denen die Menschen für Pressefreiheit und Bürgerrechte durch die Straßen zum Kreuzberg gezogen sind. Daran knüpft unsere Parade an und verbindet sie mit einer europäischen Dimension.

TD: Sie verknüpfen die lokale Verankerung Ihrer Arbeit mit der Vernetzung innerhalb Europas, erkennbar zum Beispiel am PFAD DER VISIONÄRE. Welches Ziel verfolgt die Kunstwelt Berlin mit dieser Schwerpunktsetzung?

BV: Ich will Identität schaffen. Identität fängt vor meiner Haustür an, in dem Haus, in der Straße, in der ich wohne, mit dem ganzen sozialen Raum herum, mit dem Platz, an dem meine Straße liegt – und die Geschichte des Platzes ist eine europäische Geschichte. Als Belle-Alliance Platz hatte er eine 19m hohe Friedenssäule, zugleich eine Siegessäule, die kleine Schwester vom Großen Engel übrigens. Dieser Platz stand für den Streit europäischer Länder für Souveränität im alten preußischen Sinne, in dem sich Frieden aus Sieg definiert. Insofern ist der PFAD DER VISIONÄRE direkt mit der Geschichte des Mehringplatzes verbunden und eine zeitgemäße, moderne Übersetzung seiner historischen Funktion.

TD: Herr Voges, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Thea Dymke

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