Im Rahmen dieses Tages bieten viele Berliner Moscheen Führungen, Vorträge, Ausstellungen, Folklore, Informationsmaterialien und Begegnungsmöglichkeiten an.
Wer hat dich, du schöner Wald / Aufgebaut so hoch da droben? / Wohl den Meister will ich loben (1) – und der Meister ist Michael Sailstorfer, Jahrgang 1979 und diesjähriger Preisträger des Vattenfall Contemporary. Die Berlinische Galerie zeigt in einer Einzelausstellung des hier lebenden Künstlers zwei Arbeiten, die trotz ihrer Verwendung des Waldes als zentralem Motiv gegensätzlicher nicht sein könnten. „Forst“ bringt den Wald in den Ausstellungsraum, während in der Arbeit „Schwarzwald“ die Kunst in die Natur geht.
Ich laufe durch eine konstruierte Lichtung in die zehn Meter hohe Ausstellungshalle der Berlinischen Galerie und suche mir meinen Weg durch die Bäume. Sie hängen, fünf an der Zahl, kopfüber von der Decke, sind an einem Motor gekoppelt und rotieren. Sie verlieren Laub und Äste, während die auf dem Boden schleifenden Baumkronen sie in der Rotation beiseite kehren. Es gelingt ihnen nur bedingt, sie kehren sich die Überbleibsel eher gegenseitig zu, eine Sisyphusarbeit. Manchmal kollidieren zwei Bäume, das zeugt dann von einer theatralischen Komik, sind sie doch als Akteure einem motorisierten System ausgeliefert. Ich bin mitgenommen und denke, der Sailstorfer dringt brutal in die Natur ein, fällt grundlos Bäume – baut kein Haus, macht sich kein Feuer – hängt sie wie geköpfte Hühner an die Decke und foltert sie vor Publikum. Sie haben keine Funktion, sie geben eine Skulptur, die konstant an ihrer Arbeit scheitert. Was ist das für ein Bild?
Ich lese „Waldputz“ sei Sailstorfers allererste Arbeit; sie wird in „Forst“ zitiert. Darin entfernte Sailstorfer an einer Stelle im Wald altes Laub, schrubbte akribisch Bäume und putzte Baumstümpfe, erreichte eine völlige Übersteigerung von dem, was Ordnung ist, und schuf einen künstlichen Raum im Chaos der Natur. Wie poetisch, denke ich und gebe der jetzt ausgestellten Arbeit eine zweite Chance. Dann kapituliere ich: „Forst“ funktioniert auf so vielen Ebenen. Es ist eine dieser Gesten, wie sie Brian O´Doherty in „Inside the White Cube“ (1976, 1986) formuliert, eine Art Erfindung, die Kunst und Kontext verbindet, die Kunst vom Kontext überhaupt abhängig macht. Eine Geste, so O´Doherty, „eröffnet eine plötzliche Perspektive auf eine Masse von Annahmen und Ideen“: Forst – ein vom Menschen zu ökonomischen Zwecken kultivierter Wald. Gefällte Bäume aus einem Wirtschaftwald also putzen ihr eigenes Laub. Sie sind die Skulptur und erzählen eine Geschichte ihres eigenen Entwicklungsprozesses. Im Laufe der Ausstellung wird nicht viel von ihr bleiben, sie nutzt sich ab, die Bäume sterben, Besucher nehmen hier und da ein paar Äste mit, die motorisierte Deckenkonstruktion wird abmontiert. Auch das Teil der Skulptur. Die Rotation – monoton, irgendwie meditativ – lässt die Bäume tanzen, was auf eine tragische Weise poetisch ist, und gleichzeitig eine ständige Präsenz der Skulptur im Raum behauptet.
Der Raum und die Skulptur – sie verhalten sich völlig konträr zueinander. Was macht denn der Wald im White Cube? Diese Frage und andere gehen mir durch Kopf. Ich kann mich der Energie dieses Bildes einfach nicht entziehen! Die Skulptur – im erweiterten Sailstorferschen Sinne – provoziert anfänglich Wut, über Kapitulation, letztlich Bewunderung und zwischendurch ein Dutzend anderer Assoziationen und Gefühle. Das macht wohl die Arbeit aus. Das macht sie gut. Was von ihr bleiben wird, ist die Erinnerung an sie und Aufnahmen ihrer Performance. Die Wahrnehmung geht in andere Medien, in andere Dimensionen über. Auch das macht die Arbeit aus, auch das macht sie gut.
Ich laufe zum Ende des Ausstellungsraumes und sehe die Aufnahme eines Waldstückes im aufgestellten Fernseher vor der weißen Wand. Während das künstliche System in „Forst“ das natürliche zerstört, löst die Natur in der zweiten ausgestellten Arbeit „Schwarzwald“ die Kunst auf: In einem Waldstück hat Sailstorfer eine 6 x 6 x 6 Meter große Fläche schwarz gefärbt und so einen künstlichen Raum inmitten der Natur geschaffen. Gewissermaßen auch ein brutaler Eingriff, der sich in diesem Fall wieder auflöst. Ein langsamer und natürlicher Prozess löst die Farbe und damit den künstlichen Raum nach und nach auf. Eine installierte Kamera überträgt diesen Prozess als Live-Stream auf den Monitor im Ausstellungsraum, dokumentiert die Rückeroberung durch die Natur während der Ausstellungsdauer. Dieser Prozess ist so langsam, dass man den Eindruck hat, es handelt sich bei dem Live-Stream um einen Filmstill oder Loop. Nur Licht und Bewegungen der Natur beweisen Anderweitiges. Während der Titel „Schwarzwald“ auf unser echtes, deutsches Waldgebiet verweist, erscheint auch der Bezug zum „Schwarzen Quadrat“ von Kasimir Malewitsch (1914/15) als offensichtlich. Die poetische Stärke dieser Assoziation manifestiert sich allerdings in der Nacht, wenn es im Wald dunkel wird und das Bild verschwindet, wenn im weißen Ausstellungsraum nur noch der schwarze Kubus des Monitors zu sehen ist. Auch von dieser Arbeit wird nichts übrig bleiben. Nichts, außer Geste und die Aufnahme.
In einem Interview mit Kurator Guido Fassbender sagt Sailstorfer, er habe Heidegger nicht gelesen, seine Arbeiten hingegen sind fast bildliche Zitate aus Heideggers Schriften und ermöglichen mehr einen philosophischen als künstlerischen Diskurs. In „Sein und Zeit“ umschreibt Heidegger den Begriff der Wahrheit mit „Lichtung des Seins“ und bezieht sich damit auf die Lichtung im Wald. Diese bereits am Anfang angedeutete Lichtung wurde in „Forst“ durch eine freiliegende Fläche konstruiert. Was ist aber die Wahrheit in Sailstorfers Arbeit? Vielleicht das Brachiale? Darauf die Antwort bei Heidegger, der in seiner Spätphase formulierte „Das Wesen der Technik ist das Gestell“. Gestell meint die Weise die Dinge zu sehen, den Wald beispielsweise als Baumbestand der Forstwirtschaft anzunehmen. Die Welt unter einem bestimmten Gesichtspunkt sehen, das tut Sailstorfer und verändert damit Raum und die Dinge an sich.
Michael Sailstorfer mag Skulpturen, die nicht nach Kunst aussehen, die den Begriff der Skulptur erweitern, und wir auch. Seine Gesten verändern den Kontext der Dinge und katapultieren sie in intellektuelle Sphären, die erst einmal verstanden werden müssen. Gedanken und Bedeutung über die Arbeit sind vordergründig, gleichzeitig ist ihre Darstellung mal provokant, mal poetisch, aber immer von einer Energie und Spannung, der man nicht entfliehen kann. Er erhält den Vattenfall Contemporary wohlverdient und ist jetzt schon einer meiner Highlights des Gallery Weekends.
Die Auszeichnung umfasst neben der in der Berlinischen Galerie finanzierten Einzelausstellung, auch einen Ankauf für die Sammlung Vattenfall und einen ausstellungsbegleitenden Katalog. Die Ausstellung ist vom 26. April bis 8. Oktober 2012 in der Berlinischen Galerie zu sehen.
(1) Joseph von Eichendorff, Der Jäger Abschied, 1810; Thomas Köhler leitet mit den ersten beiden Versen aus Eichendorffs Gedicht sein Vorwort ein
Michael Sailstorfer. Forst
Berlinische Galerie | Landesmuseum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jacobstraße 124-28, 10969 Berlin
Ausstellungsdauer: 26.4. – 8.10.2012
Öffnungszeiten: Mi – So 10 – 18 Uhr
berlinischegalerie.de
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