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Die Suche nach dem Sonderling - George Widener im Hamburger Bahnhof-Museum für Gegenwart

von Verena Straub (30.01.2013)
vorher Abb. Die Suche nach dem Sonderling - George Widener im Hamburger Bahnhof-Museum für Gegenwart


George Widener, Sunday´s Crash, undatiert, Mischtechnik auf Papier, 91,3 x 132,1 cm, Sammlung abcd, Paris, © George Widener

Der Ausstellungstext am Eingang macht es deutlich: Eigentlich sind diese Bilder gar nicht für unsere Augen bestimmt. Die wild wabernden Daten, Codes und Zahlenmengen, die George Widener auf seinen zusammengeklebten Servietten ausbreitet und in okkulte Diagramme fasst, richten sich stattdessen an die Supercomputer von morgen. Dem Futuristen-Guru Ray Kurzweil folgend, prophezeit der amerikanische Künstler den Siegeszug der Bits und Bytes über unsere Gehirne. Im Jahr 2045, so die Kurzweilsche Utopie, werden Softwares unser Denken übernehmen und den menschlichen Körper bald obsolet machen. Mit seinen visuellen Codes will Widener nun ein intelligentes Unterhaltungsprogramm für diese hungrigen Superhirne entwerfen, um sie den Menschen freundlich zu stimmen. So jedenfalls die textuelle Rahmung der Ausstellung. Werden Hochleistungsrechner denn in Museen gehen?

Doch kommen wir zurück zur Gegenwart. Mit George Widener hat der Hamburger Bahnhof für seine Serie „secret universe“ den vierten „Outsider“ ausgegraben, der als Savant mit Asperger-Syndrom vorgestellt wird. Das Universum des 1962 in Kentucky geborenen Widener bildet sich aus Zahlen und Daten, mit denen er dank seiner Inselbegabung mühelos jongliert. „Blue Monday“, „Friday Disaster´s“ oder „Sunday´s Crash“ heißen seine numerischen Orgien, die ästhetisch irgendwo zwischen okkultistischen Wandkalendern, historischen Landkarten und Mathe-Übungsheften anzusiedeln sind. Wo andere nur eine Ansammlung von Daten sehen, erkennt Widener geheime, prophetische Strukturen. Geradezu manisch verbindet er Wochentage mit vergangenen Unglücken, um daraus einen quasi-logischen Code zu entwickeln, der zukünftige Katastrophen vorhersagen kann. Anderswo füllt Widener seine Ziffern in magische Quadrate ein (die an akribisch ausgefüllte Sudoku-Kästchen erinnern) oder ordnet sie in spiralförmigen Kreisen an, wo sie in Wirbelstürmen ihre Lesbarkeit verlieren.

Auf den ersten Blick mag dies an Mark Lombardis politische Diagramm-Wolken erinnern. Doch während sich über Lombardis Zeichnungen komplexe Beziehungsnetze spannen, die neue Dimensionen eröffnen, verheddert man sich in Wideners Zahlennetzen vergeblich auf der Suche nach einem tieferen Sinn. Was hat Eminems Geburt mit den Nixon Tapes, dem Hurrikan Agnes und Gewehrschüssen zu tun? Richtig, die Antwort ist: 1972. Viel weiter lässt sich der geheime Code jedoch nicht spinnen und bald schon prallt man etwas gelangweilt, wenn auch amüsiert, an der Oberfläche der Zahlenkombinationen ab.

Im Nebenraum ist indes ein emotional aufgepumpter Dokumentarfilm zu sehen, in dem Widener als Outcast und Wunderkind stilisiert wird. Damit auch die letzten Zweifel an seiner besonderen Savant-Begabung ausgeräumt werden, gipfelt das hollywoodtriefende Portrait in einem Treffen zwischen Widener und Kim Peek, dem wohl berühmtesten Autisten, der das Vorbild für die von Dustin Hoffman gespielte Hauptrolle in „Rain Man“ lieferte.

Die plump pathologische Kontextualisierung lässt die Ausstellung eher an eine Freakshow denn an eine ernstzunehmende Präsentation unentdeckter Kunst erinnern. Schon seit Beginn der von Claudia Dichter und Udo Kittelmann kuratierten Serie stellt sich ein dumpfes Unbehagen ein: Wer sind diese „Außenseiter“ nach denen so verkrampft gesucht wird? Geht es hier tatsächlich um die Suche nach Kunstpositionen fernab des Mainstreams oder werden uns die erklärten Sonderlinge nicht vielmehr wie "dressierte Affen" vorgeführt? Die verqueren Notationen von George Widener mögen unterhaltsam und als Einblicke in die Denkwelt eines Autisten auch bemerkenswert sein. Um außergewöhnliche Kunst handelt es sich jedoch nicht. Statt den Kunstbetrieb tatsächlich für nonkonforme Positionen zu öffnen, werden die Etiketten von Outsider und Insider nur noch tiefer eingehämmert. Wenn nötig auch mit medizinischen Diagnosen.


Secret Universe IV. George Widener.
25. Januar - 16. Juni 2013

Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart
Invalidenstraße 50-51
10557 Berlin
hamburgerbahnhof.de

Öffnungszeiten: Di-Fr: 10-18 Uhr, Do: 10-20 Uhr, Sa-So: 11-18 Uhr, Mo: geschlossen


Verena Straub

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Titel zum Thema George Widener:

Die Suche nach dem Sonderling - George Widener im Hamburger Bahnhof-Museum für Gegenwart
Ausstellungsbesprechung: Der Ausstellungstext am Eingang macht es deutlich: Eigentlich sind diese Bilder gar nicht für unsere Augen bestimmt.

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