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Mounira Al Solh. NOW EAT MY SCRIPT

von Verena Straub (09.12.2014)
vorher Abb. Mounira Al Solh. NOW EAT MY SCRIPT

Mounira Al Solh
NOW EAT MY SCRIPT, 2014
Videostill/video still, courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery, Beirut/Hamburg


„The script of this video has not been written yet.“ Dieser Satz steht am Anfang von NOW EAT MY SCRIPT (2014), einer Videoarbeit der libanesischen Künstlerin Mounira Al Solh (geb. 1978, lebt in Beirut und Amsterdam), die derzeit in den KW Institute for Contemporary Art präsentiert wird. Die Manuskriptseiten sind leer. Und doch reihen sich die eingeblendeten Untertitel Satz für Satz allmählich zu einer paradoxen Erzählung: Es ist ein Text über die Unmöglichkeit, die traumatischen Erlebnisse von Kriegsflüchtlingen in Worte zu fassen. Mehr noch: Eine Selbstreflexion über die eigene künstlerische Arbeit und die Frage: „Can someone really register trauma?“

Kamera und Erzählerin beobachten die Details der vollbepackten Autos, mit denen hunderttausende Syrerinnen und Syrer in den Libanon einreisen, um dort Zuflucht vor dem Krieg in ihrem Land zu finden. Das Auto wird – wie die berühmte Madeleine in Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ – zum materiellen Kondensationspunkt an dem sich Assoziationen und biographische Erinnerungen der Künstlerin freisetzen. Mounira Al Solh verwebt das Schicksal der syrischen Flüchtlinge mit den Erinnerungen ihrer eigenen Familie, die 1989 den umgekehrten Weg gegangen ist und während des Bürgerkriegs aus Beirut nach Damaskus floh. Eine geographische Symmetrie, in deren Mitte – als Dreh- und Angelpunkt – der Grenzübergang liegt. Die Spiegelachse: Gewalt, Vertreibung und Flucht.


Mounira Al Solh
NOW EAT MY SCRIPT, 2014
Videostill/video still, courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery, Beirut/Hamburg


Die (biographische?) Stimme der Autorin („this distracted writer, now myself, or the role I am playing for the time being“) wird kontinuierlich gebrochen und als Rolle entlarvt. Ähnlich wie Walid Raads „Atlas Group“ und andere libanesische Künstler der Nachkriegsgeneration wie Rabih Mroué, Lamia Joreige, Joana Hadjithomas und Khalil Joreige verwischt auch Mounira Al Solh die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion. Vielen dient der Bürgerkrieg als Ausgangspunkt, um über den Status des Bildes, über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Erzählens zu reflektieren. „We are not interested in images of war, but in what war does to images“, so haben es Joana Hadjithomas und Khalil Joreige erklärt. In diesem Kontext ist auch Mounira Al Solhs Arbeit zu sehen.

Die unbeschriebenen (oder vielmehr: unbeschreibbaren) Manuskriptseiten werden in ihrem Video selbst zur visuellen Folie. Doch statt Druckerschwärze oder Tinte ruhen auf dem blütenweißen Papier die gesäuberten Körperteile eines geschlachteten Tiers. In Zeitlupe tastet die Kamera rosafarben glänzendes Fleisch, talgiges Gewebe, abgetrennte Augen und Beinfragmente ab. Der eingeblendete Subtext erzählt die Reise eines geopferten Lammes, das ihre Tante im Kofferraum ihres Autos von Damaskus nach Beirut schmuggelte. Derselbe Weg, derselbe Grenzübergang, den auch die syrischen Flüchtlinge passieren.


Mounira Al Solh
NOW EAT MY SCRIPT, 2014
Videostill/video still, courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery, Beirut/Hamburg


Mounira Al Solh entscheidet sich gegen eine dokumentarische Ästhetik im Sinne einer performativen Annäherung an das Archiv, wie man es etwa von Raad, Hadjithomas/Joreige oder Mroué kennt. Stattdessen wird der Videoessay zur Bühne eines poetisch inszenierten Schlachtfelds, während die Erzählerin Grillparty und terroristisches Attentat auf verstörende Weise miteinander verflechtet: „As we were eating the barbecued lamp, a chemical attack was imminent in Ghouta (...) ´What does it mean to slaughter?` she asked as we chewed on the lamb chops.“.

Da wo Worte fehlen und Bilder sich verweigern, erscheint das Opferlamm als visueller Stellvertreter des Unsagbaren. Die Körperteile des geschlachteten Tiers werden zur Formel für all das was letztlich unfassbar bleiben muss. Am Beispiel eines Handyvideos, mit dem ein Mann den Selbstmord seiner Frau aufzeichnete und das daraufhin im Internet verbreitet wurde, bemerkt Mounira Al Solh: „It seems that we kill the intimate moment of death each time we record it.“ Das Filmen des Todes tötet ein zweites Mal. Das Filmen einer traumatisierten Person wird zwangsläufig zum Voyeurismus, der das Leid zur Banalität degradiert, so die Erzählstimme.

NOW EAT MY SCRIPT macht diesen Widerspruch explizit: der Versuch, das Nicht-Fassbare in Worte und Bilder zu fassen, wird kontinuierlich von innen heraus dekonstruiert („The script of this video has not been written yet“). Die letzte Einstellung zeigt die Künstlerin selbst vor der Videokamera, nun mit den beschriebenen Manuskriptseiten in der Hand. „After jotting down these thoughts, I or the writer read them to herself, in silence. She could hear her voice in her head, and thought with her second mind: ´I´m hungry.`“ Das Wieder-Herunterschlucken der eigenen Erzählung, auf das der Titel NOW EAT MY SCRIPT anspielt, funktioniert wie ein eingebauter Selbstzerstörungsmechanismus. Ihr Video-Essay entzieht sich einer Festschreibung, wird instabil – und findet genau in dieser prekären Lage eine adäquate Sprache, die Situation von Flüchtlingen zu beschreiben.

Mounira Al Solh NOW EAT MY SCRIPT
Videoinstallation
7.12.14-15.2.15
KW Projects

KW Institute for Contemporary Art
Auguststr. 69
10117 Berlin
kw-berlin.de

Verena Straub

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