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Spurensuche

von Dr. Barbara Borek (12.04.2016)
vorher Abb. Spurensuche

Orte, Copyright Aline Calmet

Die aktuelle Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien erinnert an ein wichtiges, leider in Vergessenheit geratenes Kapitel der Berliner Kunstgeschichte: die Werkstatt für Photographie.

BILDWECHSEL. FOTOGRAFIE NACH DER WERKSTATT DER PHOTOGRAPHIE ist jedoch nicht alleine eine retrospektive Zusammenstellung von Arbeiten der vor 40 Jahren gegründeten, jedoch nur zehn Jahre lang existierenden Gruppe um Michael Schmidt. Auch in der heutigen Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg findet unter Leitung von Peter Fischer-Piel, der ebenfalls als Dozent der Werkstatt tätig war, eine intensive Auseinandersetzung mit dem Medium statt. Die in der Ausstellung vorgestellten fotografischen Positionen zeigen eindrücklich, dass die Teilnehmenden auf den Spuren der renommierten Werkstatt ihre eigenen Ansätze verfolgen.

Als Michael Schmidt (1945-2014) im September 1976 die Werkstatt an der damaligen Volkshochschule Kreuzberg gründete, hatte die Fotografie auf dem Weg zu einem eigenständigen künstlerischen Medium bereits einige Stationen zurückgelegt. 1955 stellte Edward Steichen mit der von ihm kuratierten Ausstellung Family of Man im MOMA New York den fotografischen Blick auf den Menschen in den Mittelpunkt. Die Ausstellung wurde u.a. auch in Berlin an der HdK gezeigt, die Diskussionen um die Frage: Ist Fotografie Kunst? war eröffnet. Es folgten weitere Ausstellungen, beispielsweise 1968 die zweite und 1973 die dritte Weltausstellung der Photographie mit den Themenschwerpunkten Die Frau und Unterwegs zum Paradies; Professuren für Fotografie entstanden, Institute wie der Bund Freischaffender Fotografen wurden gegründet ebenso die Spectrum-Galerie in Hannover oder das Fotoforum Kassel. Schirmer/Mosel widmete sich als erster europäischer Verlag der Autorenfotografie und 1977 stellte die documenta 6 unter der künstlerischen Leitung von Manfred Schneckenburger die Medien und somit auch die Fotografie in den Mittelpunkt.


We are the Stars, Copyright Peter Fischer-Piel

Auch die Berliner Werkstatt für Photographie, deren Gründung 1976 für den Fotohistoriker Enno Kaufhold „folgerichtig“ gewesen sei, nimmt diese Entwicklung von der künstlerischen zur sogenannten Lifefotografie auf. Frauen und Männer beugen sich über einen Arbeitstisch, konzentriert, im Gespräch. Dicht an dicht gehängt zeigen die schwarz-weiß Fotos im Eingangsbereich des Studios 1 im Kunstquartier Bethanien, Leihgaben des Mitglieds der Werkstatt Friedhelm Denkeler, die intensive Arbeit mit dem Medium, führen in das „Innenleben“ der Werkstatt. Peter Fischer-Piel betont, dass diese keine Kunstakademie gewesen sei, offen für alle und doch gleichwohl eine der wichtigsten Ausbildungsstätten für Fotografie in Deutschland.

Die Bildausschnitte gehen nah heran, sie ziehen die Betrachtenden in die Gruppen hinein, nehmen sie in die Gesprächs- und Arbeitsrunden auf. Neben den Workshops, die oft auch von international renommierten Künstlern wie Larry Clark, Robert Cumming oder André Gelpke angeboten wurden, fanden Vorträge und Ausstellungen statt, ein Jahr lang unter Leitung von Schmidt. Zu seinen späteren Schülern gehören Fotografen wie Andreas Gursky oder Thomas Leuner.

Der Projektkurs BILDWECHSEL verstand sich als „Weiterentwicklung des subjektiv-dokumentarischen Ansatzes der damaligen Werkstätter“, so Piel, also vorwiegend dokumentarische Ansätze, Reportage- und Stadtfotografien. So führen beispielsweise die fotografischen Blicke von Aline Calmet Papanicolau an Orte, wo der Gast im Zentrum steht. Sie zeigt auf ihren Farbfotografien Berliner Lokale und Wirtshäuser mit langer Tradition. Doch die Räume des Diener in der Charlottenburger Grolmanstraße oder des Max und Moritz in der Oranienstraße in Kreuzberg sind menschenleer, bis in jeden Bildwinkel gefüllt mit Details. Das Interieur als Bühne wartet auf seine Protagonisten.


un-wege, Copyright Torsten Kröger

Auch Torsten Kröger Stadtfotografien bleiben menschenleer. Die mit einer Großformat-Kamera aufgenommen Motive wie Unterführung Berlin-Wannsee oder ICC Berlin (beide 2015, Gelantine-Silber-Abzug) zeigen die Verkehrswege der Stadt als „trostlose Orte, die ihrer Funktion beraubt sind“. Gestrüpp und Blätter überziehen Betonflächen, Neonlampen beleuchten eine Unterführung zur S-Bahn, die schwarz-weiß Aufnahmen verdichten durch die Abwesenheit jeden Publikums das Grau der Stadt.

Uwe Schumacher knüpft mit seiner Porträtserie mit Blinden mit anderen Augen (2015, Farbfotografien) an die formale Strenge von Werkstatt-Fotografen wie Ulla Kelm an. Seine Arbeit mit nichtsehenden Menschen sei auch eine Frage „des Ausgeliefertsein“ gewesen. Und des Vertrauens. Teil des Projektes ist das ebenfalls in der Ausstellung gezeigte Video conveyance.

Heike Reichenstein begibt sich in ihrer Serie Berlin-Wedding Stadtlandschaft – Die Zweite explizit auf die Spuren von Michael Schmidt. Seinen Aufnahmen von Plätzen und Straßen aus dem Jahr 1978 stellt sie aktuelle schwarz-weiße Fotografien gegenüber. Sie verwendete Objekte mit Brennweiten, die „zu ähnlichen Proportionen der Motive“ führen.

Aus finanziellen Gründen ist die Laufzeit der sehenswerten Ausstellung bedauerlicherweise sehr kurz. Am Dienstag, den 12.04. findet ab 18 Uhr eine Führung mit Werkstattgespräch statt, am 14.04. um 19 Uhr diskutiert der Fotohistoriker Dr. Enno Kaufhold mit Ursula Kelm u.a.. Während der Finissage am 17. April wird ab 18 Uhr eine Tanzperformance der Gruppe Die Tenzer aufgeführt.

Im Herbst des Jahres folgen Ausstellungen zur Werkstatt der Photographie im C/O Berlin, im Sprengel-Museum Hannover und im Museum Folkwang in Essen.


mit anderen augen, Copyright Uwe Schumacher

Besonders hervorzuheben ist der sehr gelungene Katalog, erschienen im zimmerverlagberlin von Peter Fischer-Piel, mit dem Beitrag von Enno Kaufhold zur Geschichte der Werkstatt für Photographie und Interviews mit Thomas Leuner und Ursula Kelm. Alle Arbeiten der Kursteilnehmenden sind publiziert, leider fehlen jedoch Angaben zu Technik und Format. Er ist im Bethanien für 19,- Euro zu erwerben.

Weitere Informationen finden sich auf der Website des Dozenten http://peterfischerpiel.de.

Bildwechsel
Fotografie nach der Werkstatt für Photographie

Wolf Abraham, Maren Baldeweg, Aline Calmet Papanicolau, Stefan Doß, Peter Fischer-Piel, Bernd Große, Ania Kaszot, Torsten Krüger, Heike Reichenstein, Uwe Schumacher, Frank Seeger, Kirsten Steiner

bis 17. April 2016

Studio 1 im Kunstquartier Bethanien
Mariannenplatz 2
10997 Berlin
Mo – Fr 14-20 Uhr
Sa, So 12-20
www.werkstattfuerphotographie.de

Dr. Barbara Borek

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Ausstellungsbesprechung: Die aktuelle Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien erinnert an ein wichtiges, leider in Vergessenheit geratenes Kapitel der Berliner Kunstgeschichte: die Werkstatt für Photographie.

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