Das Berliner Museum für Naturkunde, berühmt vor allem für seine riesigen Dinosaurierskelette, führt in der aktuellen Ausstellung in eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Hauses. 150 Millionen Jahre alte Knochen, in Alkohol eingelegte Fische und ausgestopfte Tiere treffen auf akustische Dioramen und großformatige Bilderzyklen, naturwissenschaftliche Objekte auf zeitgenössische Kunst.
Es ist die zweite Runde des vierteiligen Projektes INTERVENTIONEN, initiiert gemeinsam mit der Kulturstiftung des Bundes. Ein Experiment, so Hortensia Völkers, das jedoch nicht allein in die Vergangenheit blickt, sondern in die Zukunft weist, auffordert zum Querdenken, zum Entwickeln neuer Perspektiven in den Naturwissenschaften. Das Berliner Duo Serotonin und der peruanische Künstler Fernando Bryce suchten aus den 30 Millionen, teilweise spektakulären Objekten des Museums ihre Ausgangspunkte heraus. Ohne Vorgaben inhaltlicher Art, wie Projektleiterin Anita Hermannstädter betont. Beide wählten eine historische Perspektive, stellten die Geschichte des Museums und seiner Sammlungen ins Zentrum ihrer Interventionen.
Ein Großteil der gesammelten, erforschten und ausgestellten Objekte gelangte während der Kaiserzeit ins Museum, in dieser Epoche spielt auch die Erzählung in fünf akustischen Dioramen des Künstlerduos Serotonin. Marie-Luise Goerke und Matthias Pusch, die bisher vor allem Hörspiele, -bücher und Klanginstallationen entwickelten, erweitern ihre Erfahrungen und arbeiten nun zum ersten Mal auch visuell. In kleinen, von Serotonin selbst gebauten und gestalteten Räumen, sogenannten White Cubes, die in Guckkästen des Museums eingelassen sind, erzählen sie die fiktive Expeditionsgeschichte des jungen Forschers van Berg.
Holzbuchstaben, die Wörter wie Stein, Afrika und Sorgen bilden. Eine Weltkarte auf dem Boden des Kastens, das Wort Heimat als Schiff. Die fünf akustischen Dioramen mit den Titeln Heimat – Ordnung – Afrika – Höhle – Wissenschaft begleiten als Kulisse die Erzählung, gesprochen von Schauspieler Bernhard Schütz und nachzuhören auf der Website des Museums (http://kunst.mfn-berlin.de/der-levitit; jeweils fünf Minuten).
Der Parcours dans la mer de ciel. Parcours durch das Himmelsmeer. Oder: der Levitit (Ein akustisches Diorama in 5 Soundstationen. In einem White Cube mit Video-Wall, Interieur sowie Zitat-Objekten. Installation: Serotonin. Kuratiert von Gaby Hartel. 2016) führt aus dem Berlin des Jahres 1884 in eine Höhle der künftigen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia. Der Forschungsleiter van Berg ist im inoffiziellen Auftrag des Kronprinzen auf der Suche nach fliegenden Steinen, den Leviten. Ein Traum, der im Wortsinne entflieht.
Drei inhaltliche Themen leiteten sie durch die Arbeit, so Marie-Luise Goerke: Die Nation Building des jungen Deutschen Reiches, die Entwicklung der Museen sowie die Welt der Expeditionen, bei denen Deutsch nun die Sprache der Wissenschaften wurde. „Wir sind alle visuell geprägt,“ so die Künstlerin, „deswegen verstehen alle ein Diorama. Es ist visuell, keiner vermisst den Sound.“ Doch die gesprochene Erzählung verstehe sich nicht nicht als „Textverdoppler“. Sie sei vielmehr eine Erweiterung der Perspektive, eine „Hörperspektive“. Die Zuschauer und –hörer tauchen in die Geschichte ein, aus diesem Grunde sollte der Kopf in die Kästen hereingesteckt werden.
Auch die Interventionen von Fernando Bryce führen in museale Kontexte, ihre Ordnungs- und Klassifikationssysteme. Der peruanische Künstler fand eine Pappschachtel mit Etiketten zur Beschriftung von Objekten und Schränken der Säugetiersammlung und fügte sie zu einem großformatigen Bilderzyklus zusammen. Paradoxurus adustus (Tuschezeichnungen und Siebdrucke, 2016) vereint wissenschaftliche Bezeichnungen mit Inventarlisten. Bryce lässt eine visuelle Poesie der Namen entstehen: Ceylon, Britisch Ostafrika, Zoologischer Garten.
Auch die Arbeit Auf frischer Tat (Zeichnungen und Siebdrucke, 2016) verbindet historische Texte mit Bildern, Bryce vergrößerte Plakate, Zeitungsartikel und Reiseberichte aus den Archiven des Museums. Die Einzelbilder bilden nun ein Panorama naturkundlicher Forschungen, weisen auf kulturelle, aber auch politische Fragestellungen. Eine Aufforderung an die Besucher_innen, so Generaldirektor Johannes Vogel, sich auch kritisch mit den Objekten des Museums und ihrer Geschichte auseinanderzusetzen.
Interventionen II versteht sich als Ausstellung in der Ausstellung, der Rundgang durch die Sammlung stellt Fragen nach der Zuordnung der Objekte. Gehören sie zur Kategorie Wissenschaft, gehören sie zur Kategorie Kunst? Die Idee ist spannend, lädt ein zu einem neuen Blick. Wie ernst das Museum die Auseinandersetzung mit den Fragestellungen nimmt, zeigt die von Lernkultur begleitend durchgeführte Befragung. Katarina Obens fragt nach den Bedingungen für alle Beteiligten: Künstler und Künstlerinnen, Mitarbeiter_innen, Zuschauer_innen.
Ein Rahmenprogramm mit abendlichen Führungen und Kunst/Natur-Talks lädt ein, das Domizil des Brachiosaurus brancai ganz neu zu entdecken. Zwei weitere Interventionsrunden folgen bis 2018.
Kunst/Natur
Künstlerische Interventionen II
bis 16.10.2016
PAN – Perspektiven auf Natur
Museum für Naturkunde
Invalidenstraße 43
10115 Berlin
http://kunst.mfn-berlin.de/
Titel zum Thema Interventionen:
Kunst / Natur - Künstlerische Interventionen im Naturkundemuseum
nur noch dieses Wochenende
Das Bild besetzt das Auge, der Ton macht es frei. - Interventionen im Museum für Naturkunde
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