19 Uhr: Matthias Flügge, Kunsthistoriker, im Gespräch mit Mark Lammert im Rahmen der Ausstellung: "Mark Lammert: REVOLUTIONSSPLITTER" Galerie Pankow | Breite Straße 8 | 13187 Berlin
„Niemand weiß, wie Antidepressiva auf Fische wirken“, niemand weiß, wie viel Chemie überhaupt in der Ostsee schwimmt. Der Meeresforscher mit dem wilden Bart, der dies sagt, wirkt trotz seiner traurigen Befunde erstaunlich gut gelaunt. Er ist einer der vielen beeindruckenden Protagonisten in „Seestück“. Volker Koepp, der 1999 mit „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ international bekannt wurde, schließt mit diesem Film einen über mehrere Jahrzehnte gehenden thematischen Zyklus ab.
Der Regisseur liebt die osteuropäischen Länder, besonders deren Küsten. Die kurische Nehrung, das Pommerland, die lettische und estnische Küste, vor allem aber die Ostsee selbst ist für ihn ein Sehnsuchtsort. Immer wieder fangen seine Filme großartige Bilder dieser Landschaften ein, sei es in „Schattenland-Reise nach Masuren“(2000), „Kurische Nehrung“ (2001), „Memellland“ (2008) oder „In Sarmatien“ (2013).
Der hohe Himmel über dem Meer, die Wolkenbildungen, die Steilküsten und Wanderdünen faszinierten schon die Maler der Romantik. Allen voran Caspar David Friedrich, dessen Gemälde Volker Koepp vielleicht des öfteren vor Augen hat, wenn er seine Kameraeinstellungen wählt. Doch ihm geht es nicht um Einsamkeitsgefühle oder um ein metaphysisches oder jenseits gewandtes Empfinden, oder gar um die Reinheit der Natur, sondern um ganz Diesseitiges.
Alle Filme beinhalten Begegnungen mit Menschen, deren Biografien von historischen und politischen Umbrüchen geprägt sind, die wie er selbst sagt „in nicht ausgeglichenen Verhältnissen“ leben. In seinen aktuelleren Filmen treten zunehmend ökologische Themen in den Fokus. So auch in „Seestück“. In der Bildenden Kunst werden Gemälde mit maritimen Motiven als „Seestücke“ bezeichnet. Man sieht Fischer bei ihrer Arbeit, Seeschlachten, Stürme oder Schiffsuntergänge.
In Volker Koepps Film geht es jedoch um die Gigantomanie menschlicher Projekte. Er zeigt monströse Windanlagen und internationale Gaspipelines, Häfen für Großtanker oder grausige Kreuzfahrtschiffe - Bilder, die von ökologischer Verantwortungslosigkeit zeugen und die belegen, dass die Ostsee nur noch ein auszuschlachtendes Industriegebiet ist. Die Protagonisten, alle aus den unterschiedlichsten Milieus, beschreiben diese spürbaren ökologischen Veränderungen und ihre Auswirkungen. Schon in seinem Film über die Uckermark (2002) ging es um die letzten verbliebenen Klein-Bauern, die kaum eine Chance gegen die von Brüssel verordneten Monokulturen und die Prinzipien der modernen Landwirtschaft haben. „Seestück“ knüpft diesen Faden teilweise weiter, etwa wenn der 81-jährige Strandfischer aus Usedom hautnah davon berichtet, dass er außer Heringen nichts mehr im Netz hat, und dass er sowieso der letzte Fischer auf dieser Insel ist.
Doch die Ostsee ist auch ein extrem politischer Raum. An den polnischen Stränden, an der baltischen und schwedischen Küste trifft der Regisseur auf Menschen, die über Krieg, Vertreibungen, Flucht und über die bedrohlichen Konflikte zwischen den Großmächten in der Zeit des Eisernen Vorhangs erzählen. Seit der Ukraine-Krise nehmen die militärischen Spannungen in diesen Gebieten wieder zu. Nirgendwo anders kommen sich die Streitkräfte der Nato und Russlands so nahe wie im internationalen Luftraum über der Ostsee, der dort an der schmalsten Stelle weniger als fünf Kilometer breit ist. Wie bedrohlich sich die Kampfjets am Himmel anfühlen, berichtet eine Gymnasiallehrerin von der schönen Ferieninsel Bornholm.
Und man trifft auch auf bekannte Gesichter aus vorausgegangenen Filmen. Michael Succow zum Beispiel. Er war Umweltminister unter der Regierung
de Maizière und erklärte kurz vor dem Zusammenbruch der DDR 5% des Staates zum Naturschutzgebiet. Auch er gehört zu denjenigen, deren Herz für diese Landschaft schlägt und der sich bis heute dafür einsetzt, dass die Natur bewahrt wird. So wie er spricht - so ruhig, so schlicht und so konzentriert - könnte man vermuten, der Regisseur hat in ihm eine Art Alter Ego gefunden. Volker Koepp ist kein filmischer Analytiker, Konfrontation liegt ihm fern, auch hat er keine Arbeitshypothese. Er ist ein Regisseur der Behutsamkeit, einer der abwartet, Geduld hat, und den Erzählenden Raum und Zeit läßt. Wieder ist ihm ein politisch engagierter Film gelungen, und ein schöner Film.
Seestück
R.: Volker Koepp
D 2018
Kinostart: 13.09.2018
Titel zum Thema Filmbesprechung:
Angela Merkel muss flüchten – der neue Film von Omer Fast: „Abendland“
Filmbesprechung
Höllenfahrt mit Pinzette. Der neue Film über Leni Riefenstahl von Andres Veiel
Filmbesprechung: Pinzetten nutzt der Mensch, wenn etwas besonders delikat ist, oder schlichtweg Ekel erzeugt. Andres Veiel hat „sein Material“, wie er in zahlreichen Interviews betont, mit eben diesem Werkzeug gesichtet und bearbeitet.
E.1027 - Eileen Gray und das Haus am Meer
Filmbesprechung: ... ein kluger Film über eine außergewöhnliche Künstlerin
CROSSING - der neue Film von Levan Akin („Als wir tanzten“)
Filmbesprechung: Ein grandioses Antidot in diesen düsteren Zeiten ...
Dorthin, wo man nichts mehr sieht ….
Filmbesprechung zu Thomas Arslan - Helle Nächte (2017) im Rahmen der Ausstellung des Filmemachers Thomas Arslan im n.b.k
Heute im Kino Arsenal.
Verbrannte Erde - Thomas Arslan
Filmbesprechung: Verbrannte Erde, so heißt der neue Film von Thomas Arslan, der einfach alles kann: Western, Road-Movie und Thriller.
(Filmstart 18.7.Juli 2024)
ANSELM - oder warum der neue Film von Wim Wenders über Anselm Kiefer Kitsch ist
Filmbesprechung von Daniela Kloock
In den Uffizien - ein Dokumentarfilm von Corinna Belz und Enrique Sánchez Lansch
Heute auf 3SAT | 22.20 Uhr: Unsere Filmbesprechung
Die Frau des Dichters. Über die Malerin Güler Yücel.
Filmbesprechung von Daniela Kloock
Vorsichtshalber sollten wir davon ausgehen, dass wir alle in Gefahr sind
Filmbesprechung: „Wir könnten genauso gut tot sein“ ist der erste Langfilm und Abschlussfilm (HFF) der Regisseurin Natalia Sinelnikova. Schon allein der Titel erregt Aufmerksamkeit, das Thema erst recht.
Sag mir, wo die Blumen sind…
Filmbesprechung: „Hive“ – das preisgekrönte Filmdebut der albanisch-kosovarischen Regisseurin Blerta Basholli
MONOBLOC – wie ein Plastikstuhl sein Image verändert
Filmbesprechung: In den Sommermonaten hat der Monobloc seinen großen Auftritt. Beim Grillfest, in der Strandbar, auf dem Campingplatz oder Balkon, vor der Eisdiele oder Fritten Bude, überall begegnet man dem weißen Plastikstuhl.
Jahresrückblick: Unsere besten Filmbesprechungen
Für Kunst+Film ist bei art-in-berlin Daniela Kloock zuständig. Hier eine Auswahl ihrer Filmbesprechungen 2021.
Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit. Ein Film von Julia Lokshina
Filmbesprechung: Um den Bedarf an Steaks, Koteletts und Schinken abzudecken, werden hierzulande 55 Millionen Schweine geschlachtet.
Im Land meiner Kinder
Filmbesprechung: Der Film geht existentiellen Fragen zu Identität, Integration und Selbst- und Fremdwahrnehmung nach. Polemik oder erzieherischer Impetus - welcher so viele deutsche Filme zu dem Thema charakterisiert, bleiben außen vor.
GEDOK-Berlin e.V.
Kommunale Galerie Berlin
Schloss Biesdorf
Haus am Kleistpark | Projektraum
GalerieETAGE im Museum Reinickendorf