19 Uhr: Matthias Flügge, Kunsthistoriker, im Gespräch mit Mark Lammert im Rahmen der Ausstellung: "Mark Lammert: REVOLUTIONSSPLITTER" Galerie Pankow | Breite Straße 8 | 13187 Berlin
Pacific Fiction (64), 2016
© Julian Charrière
VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Klimawandel, massenweise Plastikmüll im Ozean und Luftverschmutzung – seit Jahren sorgen diese Themen in Medien, Politik und Bekanntenkreisen für Gesprächsstoff. Es mag kein Zufall sein, dass sich der Künstler Julian Charrière (* 1987 in Morges / CH ) genau in diesem Moment für das Verhältnis von Mensch und Natur interessiert, wie seine Ausstellung zum GASAG Kunstpreis „As we used to float“ in der Berlinischen Galerie zeigt. Die multimediale Rauminstallation des diesjährigen Preisträgers nimmt dabei allerdings die 70 Jahre zurückliegenden Kernwaffentests auf dem Bikini Atoll im Pazifischen Ozean zum Ausgangspunkt.
Nachdem die Bikinianer*innen mit der Aussicht umgesiedelt wurden, bald auf das Atoll zurückkehren zu können, wurden die Tests durchgeführt, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind. So ist die Inselgruppe noch immer nicht bewohnt: Die Bikinianer*innen zogen in den 1970er Jahren zunächst zurück, mussten das Gebiet jedoch bald darauf wieder verlassen, da die Nahrung radioaktiv belastet war. Hier zeigen sich die Einwirkungen des Menschen auf die Erde, die insbesondere seit den 1950er Jahren massive weltliche Veränderungen hervorrufen und mit dem Begriff des Anthropozäns beschrieben werden. Charrière machte sich auf die Reise zum Atoll und beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit eben dieser Epoche. In überwältigender Weise setzt der Künstler die vom Menschen geprägte Natur des Ortes in Szene und zitiert dabei immer wieder kritisch die zerstörerischen Kernwaffentests.
Die Fotografie im Eingangbereich stellt romantische Natur-Bilder in Frage. Das kitschig anmutende Sehnsuchtsbild von Palmen und Strand wurde mit radioaktivem Sand bearbeitet, dessen Spuren das Motiv überlagern. Im Hintergrund zeigt sich ein spannungsgeladener lila Himmel. Das radioaktiv bearbeitete Naturschauspiel wirkt zugleich ästhetisiert und beunruhigend. Im nächsten Raum nimmt uns Charrière durch einen sehenswerten Film mit zum Bikini Atoll und bewegt sich mit der Kamera über und unter Wasser. Die Relikte der Kernwaffentests im Meer - versenkte ausgediente Kriegsschiffe - sind längst überwachsen, Fische schwimmen um Wrackteile herum. Die Natur hat sich das Menschengemachte ein Stück weit angeeignet. An Land sehen wir Panoramaaufnahmen, Bildausschnitte der belasteten Natur und Gebäude, die zugleich das Leben und das Leblose der Umgebung herausstellen. Das Zerstörerische der Kernwaffentests wird durch die dramatischen Sounds des Videos erinnert.
As We Used to Float
USS Saratoga, 2016
© Julian Charrière
VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Charrières Filmen unter Wasser ist für sein Thema – das untrennbare Verhältnis von Mensch und Ökosystem – symptomatisch. Mithilfe von Technik bewegt er sich in einer Tiefe im Meer, die dem Menschen eigentlich nicht zugänglich ist. Wie sich der Tauchgang anfühlt und welche Auswirkungen die Tiefe auf Körpergefühl und Orientierung hat, beschreibt Charrière in einem Buch, das dem Ausstellungskatalog beigefügt ist. Als eine Mischung aus Reisetagebuch, wissenschaftlicher Recherche und philosophischen Essays erfährt man mehr über die Geschichte des Ortes und die Erfahrungen des Künstlers.
GASAG Kunstpreis 2018
Installationsansicht, Berlinische Galerie
Foto: Harry Schnitger
© Julian Charrière
© VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Im letzten Raum der Ausstellung wird das Tauchen noch einmal Thema. Hier findet sich eine Taucherglocke, aus der Atemgeräusche dringen. Die Glocke kann sich bezeichnenderweise nur durch das gegenpolige Gewicht von Plastikbeuteln halten, die mit Meerwasser und Algen gefüllt sind – womit wir thematisch wieder bei der Verschmutzung der Ozeane angelangt wären. Auf dem Boden liegen Objekte herum, die zuerst am Kanonenkugeln erinnern. Tatsächlich handelt es sich aber um mit Blei umhüllte Kokosnüsse. Während Blei bei den Versuchen genutzt wurde, um die Strahlung abzuhalten, sind die Früchte noch immer belastet. Gemeinsam bilden sie architektonische Formen – als Monument für die Bikinianer*innen und die koloniale Vereinnahmung des Landes?
Zwischen ihnen hindurch geht es weiter zum namensgebenden Werk der Ausstellung, die fünfminütige Aufnahme der Antriebsschraube eines Kriegsschiffes. Seltsam, wie nicht von dieser Welt steht das Getriebe monumental im Stillstand. Und doch ist es genau unsere Welt, die Charrière beschreibt, erinnert und konfrontiert.
Ausstellungsdauer: 27.09.2018–08.04.2019
ÖFFNUNGSZEITEN
Mittwoch–Montag 10:00–18:00 Uhr
Dienstags geschlossen
BERLINISCHE GALERIE
Landesmuseum für Moderne
Kunst, Fotografie und Architektur
Stiftung Öffentlichen Rechts
Alte Jakobstraße 124–128
10969 Berlin
www.berlinischegalerie.de
julian-charriere.net
Titel zum Thema Julian Charrière:
Kunst im Anthropozän. Julian Charrière in der Berlinischen Galerie
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