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„Unheil“. John Bocks Mittelalterfiktion in der Galerie Sprüth Magers zwischen Grusel und Glaubenskonzepten

von Rabea Kaczor (15.12.2018)
vorher Abb. „Unheil“. John Bocks Mittelalterfiktion in der Galerie Sprüth Magers zwischen Grusel und Glaubenskonzepten

Installation view, John Bock, 'Unheil', Sprüth Magers, Berlin, November 24, 2018 - January 19, 2019 Photography: Timo Ohler

John Bocks Kunst kann eine*m Schauer über den Rücken jagen und Ekel hervorrufen, zugleich übt sie eine Faszination aus. So lässt auch Bocks Film „Unheil“ und die zugehörige Installation in der Galerie Sprüth Magers eine*n nicht unberührt – der Wahlberliner erschafft hier eine düstere, teils grausige Fiktion des Mittelalters voller Aberglauben und Rituale.
Im ersten Teil der Ausstellung wird der Film gezeigt, im Nebenraum die in Szene gesetzten Requisiten. Dieser multimediale Ansatz ist typisch für Bock, der sich kaum auf eine Kunstgattung festlegen lässt. Als Performancekünstler, Bildhauer, Autor und Filmemacher gibt er seinen oftmals skurrilen und makabren Ideen auf verschiedenste Weise Raum. Mit dem Medium Film beschäftigt er sich schon länger: Seit über 10 Jahren entwickelt Bock in Zusammenarbeit mit professionellen Schauspieler*innen Szenarios vor der Kamera, die an Spielfilme erinnern und mittlerweile das zeitliche Format eines Kinofilms erreichen. Erst letztes Jahr zeigte die Berlinische Galerie Bocks abendfüllenden Western „Hells Bells“ im Rahmen der Ausstellung „Im Moloch der Wesenspräsenz“, einem großartigen Konglomerat aus Absurditäten.

Das mit 91 Minuten ebenfalls umfassende Geschehen von „Unheil“ nimmt in einem tristen mittelalterlichen Dorf nahe einem Wald seinen Lauf. Für Bock ist die Wahl des Settings nicht ungewöhnlich: der Künstler wuchs selbst auf einer Farm auf und macht das Bäuerliche gern zum Thema seiner Kunst. Im Dorf von „Unheil“ nun lebt eine Mutter (Effi Rabsilber) mit ihrer Tochter (Jose Marlit Schneider) allerdings ohne Vater, was in ihrer Umgebung zu äußerster Unbeliebtheit beiträgt. Das Kind ist vermutlich an Pest erkrankt, eine Eiterbeule am Hals deutet darauf hin. Die abergläubischen Dorfvertreter fordern die Mutter auf, dem mystischen Wald, dem sogenannten „Unheilmonochrom in der Zone“, auf sein angebliches Verlangen hin das Kind zu opfern. Nachvollziehbarerweise weigert sich die Mutter, woraufhin ihre Tochter spurlos verschwindet. Jetzt folgt der Auftritt Lars Eidingers, der als Schamane aus dem Morast des Waldes kommt. Er will der Mutter helfen und das Rätsel rituell lösen. Mittels seltsamer Konstruktionen verzaubert er die Mutter, die in traumartigen Sequenzen durch den Wald irrt, Wirklichkeit und Halluzination verschmelzen.

Ohne Untertitel wäre der in seiner Rolle sehenswerte Lars Eidinger kaum zu verstehen. Nuschelnd quillt ihm ständig Erde aus dem Mund, während er für Bock typische Wortphantastereien von sich gibt. Überhaupt zeigen die bemerkenswerten Dialoge deutlich die Handschrift des Drehbuchautors John Bock. Die unterschiedlichen Sprechweisen des Schamanen und der Dorfgemeinschaft bringen zum Nachdenken über Sprache als Versuch der Welterfassung. Wie wird die Welt innerhalb bestimmter Glaubenssysteme begrifflich gemacht? Die Unterschiedlichkeit des Sprechakts verweist auf verschiedene Weltanschauungen. Die Welt der Dorfbewohner ist geprägt vom Aberglauben, der Schamane steht für eine nach Erkenntnis strebende und zugleich rituelle Gegenwelt. Ihr schließt sich die Mutter an, während das Dorfoberhaupt sie verteufelt.


Installation view, John Bock, 'Unheil', Sprüth Magers, Berlin, November 24, 2018 - January 19, 2019 Photography: Timo Ohler

Aufgrund dieser spannenden, an philosophischen Themen angrenzenden Fragestellungen ist „Unheil“ empfehlenswert. Dabei fehlt es Bock weder an Ernsthaftigkeit noch an Sinn für situative Ironie und groteske Absurditäten. Das Dorfoberhaupt besitzt beispielsweise eine sarkophagähnliche Holzfigur, aus deren Körpermitte er Fleisch holt, als würde er mit dessen Eingeweiden spielen.
Dennoch hat der Film seine Längen, die Geschichte hätte komprimiert werden können, ohne an Inhalt einzubüßen. Wie viel Zeit man vor dem von Bock liebevoll als "Leinwandbrocken" (Interview: Christiane Meixner) bezeichneten Film verbringt, der sich zwischen Kino und Kunst bewegt, ist natürlich allen selbst überlassen. Zudem braucht das Publikum (wie des Öfteren in John Bocks Ausstellungen) angesichts verschreckender und auch Ekel erregender Szenen teils starke Nerven, das empfohlene Mindestalter liegt nicht umsonst bei 16 Jahren. Spätestens als geräuschvoll Zähne gezogen werden, muss die Frage vertieft werden, zu welchem Zweck hier die Brutalität dient. Der Künstler erzielt eine unmittelbare Reaktion, eine Verbindung zwischen Film und Publikum, einen Schreckmoment und ein Innehalten. Damit erreicht er sowohl eine unheimliche Nähe als auch Distanzierung, manche Besucher*innen verlassen recht hastig den Raum. Jedenfalls wird somit nicht nur die Welt der Mutter im Film, sondern auch die eigene ein wenig erschüttert, und vielleicht geht es auch gerade darum.


Installation view, John Bock, 'Unheil', Sprüth Magers, Berlin, November 24, 2018 - January 19, 2019 Photography: Timo Ohler

Das mulmige Gefühl, das der Film vermittelt, hält auch beim Begehen der Installation an. In dem dunklen Raum fehlt zunächst die Orientierung. Aus vier Lautsprechern in den Ecken des Raumes tönen unheimliche Geräusche aus dem Soundteppich des Films und irritieren zusätzlich. Filmrequisiten und Teile des Filmsets sind in Grüppchen angeordnet und beleuchtet. Unter ihnen findet sich beispielsweise die Holzfigur des Dorfoberhauptes. Als Ding zwischen Requisite, dem filmisch ritualisiertem Objekt und Skulptur gewinnen die einzelnen Objekte eine eigene künstlerische Qualität. Ein Video dokumentiert Bocks künstlerische Kreativität und zeigt seine Hände beim Kneten von Material oder Skizzieren während seiner Performance am Eröffnungsabend. Zwischen den Objekten hindurch geht es tiefer in den Raum hinein, wobei stets etwas im Verborgenen bleibt oder gar zu lauern scheint. Durch die Beleuchtung, den Sound und das Arrangement bekommt das Ganze etwas Szenisches: Bock verwebt Film und Installation, das Publikum ist mittendrin. Sowohl in der Inszenierung der Objekte als auch im Film scheint Bock sein Publikum permanent ansprechen, schockieren, zum Nachdenken bringen zu wollen, was blendend funktioniert. Seine phantastische Fiktion wirft interessante philosophische und künstlerische Überlegungen auf und lohnt einen Blick in John Bocks ganz eigenes Mittelalter.

Ausstellungsdauer: noch bis 19.1.2019

Sprüth Magers
Oranienburger Straße 18
10178 Berlin
spruethmagers.com

Rabea Kaczor

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